Hamburg. Juristen spielen Theater: Im echten Leben verhandeln sie Straftaten, hier planen sie sie selbst. Im kurzweiligen Stück von Oscar Wilde.

Die Augen strahlen. Das ganze Gesicht leuchtet in freudiger Erwartung. Ein Mord! Fast wirkt es so, als könne der Mann es gar nicht abwarten, zur Tat zu schreiten. Butler Baines reibt sich begeistert die Hände. Seinem Chef Lord Arthur Savile kann geholfen werden, wenn dieser jemanden wirklich um die Ecke bringen will. Baines hat da auch schon eine Idee, wie sein adeliger Chef möglichst effektiv meucheln kann.

Lord Savile und Butler Baines heißen im richtigen Leben Carsten Rinio und Thorsten Schmidt. Rinio ist Staatsanwalt, Schmidt Strafrichter am Landgericht. Wenn diese beiden Juristen, von Berufs wegen zuständig für die Verfolgung und Aburteilung von Straftätern, auf der Bühne gemeinsam einen Mord planen, dann ist das schon per se eine bizarre und sehr lohnenswerte Geschichte.

Und weil das Stück „Lord Arthur Saviles Verbrechen“, das diese beiden Hamburger zusammen mit anderen Richterkollegen und Staatsanwälten vom Hamburger „Richtertheater“ aufführen, ein Werk aus der Feder von Oscar Wilde ist, dem Altmeister für schwarzen Humor, dann liegt auf der Hand: Das hat was. Das wird bestimmt unterhaltsam. Und in der Justiz offenbart sich eine Menge mimisches Talent!

Hamburger Richtertheater: „Auch mal extreme Charakterzüge zeigen“

„Ich finde es toll, in andere Rollen zu schlüpfen und mich in denen auszuprobieren“, erzählt Staatsanwältin Ulrike Grocke. In dem Stück spielt sie eine sehr mädchenhafte, etwas naive junge Frau. „Das sind beides Eigenschaften, die ich mir eher nicht zuschreiben würde“, sagt Grocke. „Aber wenn man dann auch noch in ein passendes Kostüm schlüpft, fühlt man sich auf einmal wie eine ganz andere Person und kann sich wie diese verhalten und auch so sprechen. So kann man viel Neues austesten.“

Auch Richter Thorsten Schmidt, seit mehr als 20 Jahren beim Richtertheater dabei, schätzt an der Schauspielerei, „auch mal extreme Charakterzüge zu zeigen. Man lernt etwas über die eigenen Möglichkeiten zu kommunizieren und auf andere zu wirken“.

Richter und Staatsanwälte als Schauspieler: Die Juristen aus Hamburg führen demnächst ein Stück von Oscar Wilde auf.
Richter und Staatsanwälte als Schauspieler: Die Juristen aus Hamburg führen demnächst ein Stück von Oscar Wilde auf. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Claus-Dieter Loets, mittlerweile pensionierter Richter am Landessozialgericht, hat so viel Freude bei den Proben und auf der Bühne, dass er seit den Anfängen des Richtertheaters vor nunmehr 41 Jahren Mitglied des Ensembles ist. „Ich finde es toll, in andere Identitäten einzutauchen“, sagt Loets. Seine aktuelle Rolle begeistert ihn besonders. „Es ist lustig, einen verhinderten Bombenbauer zu spielen.“

„Es ist lustig, einen verhinderten Bombenbauer zu spielen“

Als einer, der sich angeblich mit dem perfiden Morden auskennt, unterstützt Loets alias Frederick Winkelkopf den freundlichen, aber überforderten Lord Arthur und seinen zu allen Schandtaten bereiten Butler Baines immer wieder dabei, möglichst effizient die liebe und zugleich lästige Verwandtschaft zu dezimieren. Es gestaltet sich als schwieriges Unterfangen. „Versuchen Sie nie, einen Mord zu begehen!“, lamentiert Lord Arthur Savile alias Staatsanwalt Rinio später. „Sie ahnen ja nicht, wie schwer das ist.“

Staatsanwalt Carsten Rinio als Lord Arthur Savile, seine zukünftige Frau Sybil Merton (dargestellt von Staatsanwältin Ulrike Grocke) und Butler Baines, der von Richter Thorsten Schmidt verkörpert wird (von links). Die drei Juristen sind Teil des Ensembles aus Richtern und Staatsanwälten, das im Mai das Stück „Lord Arthur Saviles Verbrechen“ von Oscar Wilde aufführt.
Staatsanwalt Carsten Rinio als Lord Arthur Savile, seine zukünftige Frau Sybil Merton (dargestellt von Staatsanwältin Ulrike Grocke) und Butler Baines, der von Richter Thorsten Schmidt verkörpert wird (von links). Die drei Juristen sind Teil des Ensembles aus Richtern und Staatsanwälten, das im Mai das Stück „Lord Arthur Saviles Verbrechen“ von Oscar Wilde aufführt. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Mit dieser Erfahrung des Adeligen wird die Handlung des höchst amüsanten Oscar-Wilde-Stücks gut auf den Punkt gebracht: Der junge, reiche, aber nicht allzu intelligente Lord Arthur Savile ist schwer verliebt in Sybil Merton; in wenigen Tagen wollen die beiden heiraten. Doch die Mutter der jungen Frau ist misstrauisch, ob der Bräutigam in spe ihrer Tochter würdig ist. Da kommt es gerade recht, dass beim gelangweilten Landadel ein Handleser herumgereicht wird. „Er sucht in deiner Hand nach Grausamkeiten und Verbrechen. Er hat neun Scheidungen und sechs Unterhaltszahlungen verursacht“, wird der Chiromantist angepriesen.

Gespielt wird ein höchst amüsantes Stück von Oscar Wilde

Lady Julia Merton besteht darauf, dass sich Lord Arthur von diesem Handleser die Zukunft weissagen lassen soll, um sicher zu gehen, dass ihre Tochter glücklich wird. Dabei kommt heraus, dass der bis dahin tadellos beleumundete Lord Arthur einen Makel aufweist: Er wird einen Mord begehen! Damit das Glück seiner Ehe später nicht durch ein solches Verbrechen befleckt wird, beschließt er, den Mord so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, mithilfe seines Butlers. Doch trotz dessen höchst engagierter und fachkundiger Unterstützung sind die Attentate von Pleiten, Pech und Pannen begleitet…

„Ich freue mich total darüber, beim Richtertheater mitzuwirken“, meint Staatsanwalt Daniel Austen. Schon in der Schule hatte der Jurist das Fach „Darstellendes Spiel“ belegt und kann seine Erfahrungen mit der Schauspielerei in der Rolle des charismatischen, aber dubiosen Chiromantisten ausleben. „Die Schauspielerei macht richtig viel Spaß“, findet auch Staatsanwältin Nora Kaiser, die neu im Ensemble des Richtertheaters ist und im Stück eine sehr exzentrische Adelige darstellt. „Man muss sich in die überkandidelte Person reinfinden und darauf achten, dass es überzeugend rüberkommt, aber man nicht zu sehr übertreibt.“

Die Regisseurin unterschreibt ihre Mail oft mit „Eure Dompteuse“

Dass die Amateurdarsteller möglichst authentisch ihre Rollen verkörpern, dafür sorgt Regisseurin Karen-Ann Roschild. „Ich unterschreibe meine Mails oft mit ,Eure Dompteuse’“, erzählt die Hamburgerin, die als Regisseurin und Schauspielerin auch im richtigen Leben auf der Bühne zu Hause ist. „Und die Darsteller hören auf mich“, ergänzt sie. Sie treibt die Amateurschauspieler an, wenn der Text noch nicht richtig sitzt oder die Performance noch optimiert werden kann. „Nicht ganz so behäbig“, ruft sie etwa in die Runde. Oder: „Das muss beiläufiger kommen!“ Und: „Diese Szene bitte noch mal von vorn.“

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Zum Ensemble gehören aktuell fünf Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, ein Strafrichter vom Landgericht, eine pensionierte Familienrichterin und ein ebenfalls pensionierter Familienrichter sowie ein früherer Richter vom Landessozialgericht. Seit 1983 gibt es das Richtertheater, und das Repertoire der schauspielernden Juristen ist breit. „Allerdings waren wir früher politischer“, sagt Staatsanwalt Rinio, der seit 21 Jahren Mitglied des Ensembles ist. „Aber auch heute müssen die Stücke einem gewissen Anspruch genügen.“

Mord und Totschlag: Ohne schlechtes Gewissen – Hauptsache, es ist elegant

Aus dem Team könne „jeder ein Stück vorschlagen, dann wird abgestimmt, und die Entscheidung fällt“, erzählt Rinio. „Das jetzige Stück wurde an einem Abend gemeinsam gelesen, und alle waren spontan sehr angetan, sodass die Entscheidung leicht fiel. Uns hat gefallen, dass Oscar Wilde die eigentlich schwierigen Themen Mord und Totschlag mit so leichter Hand und mit einem Augenzwinkern abhandelt. Letzten Endes geht es dem Protagonisten gar nicht so sehr darum, dass er eine schwere Straftat verüben soll, sondern wie man den Mord auf möglichst elegante Weise begeht.“

Eigentlich hatte das Team das Stück schon 2020 aufführen wollen. „Doch Corona hat uns ausgebremst“, sagt der Staatsanwalt. Ausgebremst wird auch Oscar Wildes Lord Savile, der nacheinander mehrere Versuche startet, die ihm prophezeite Tötung endlich hinter sich zu bringen. Gift, eine tückische Falle, Sprengstoff: Das Repertoire der Mordanschläge, von seinem Butler geflissentlich dargeboten, scheint unerschöpflich. Doch irgendwas geht wieder und wieder schief. „Bis jetzt waren wir ein bisschen, sagen wir, zu kompliziert“, bilanziert der Butler. Er wolle nun etwas Schlichteres vorschlagen. „Die erfolgreichsten Methoden waren oft auch die einfachsten.“ Ob das wirklich gut geht?

„Lord Arthur Saviles Verbrechen“, Hamburger Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23, Borgfelde, Aufführungen am 4. und 11. Mai, jeweils 20 Uhr, und am 5. und 12. Mai, jeweils 19 Uhr. Karten: 20 Euro, ermäßigt 15 Euro. Tickets erhältlich unter Karten@richtertheater.de; Infos unter www.richtertheater.de