Hamburg. Nach 33 Jahren führt Johann Krieten seinen letzten Prozess am Amtsgericht. Dabei trifft der Richter auf eine ihm sehr bekannte Familie.
Er kennt die Familie schon eine halbe Ewigkeit. Vor rund zwanzig Jahren, erzählt Amtsrichter Johann Krieten dem jungen Angeklagten, habe er dessen Vater verurteilt. Dann auch die Mutter. Und nun also sitzt der Sohn als Angeklagter vor ihm – und davor auch dessen Schwester. Es ist eine Familiengeschichte der speziellen Art, die an diesem Mittwoch im Amtsgericht verhandelt wird – aber auch ein besonderer Prozess für den Vorsitzenden.
Denn nach 33 Jahren im Dienst der Justiz, davon die ersten Jahre am Landgericht und schließlich 24 Jahre als Amtsrichter, ist es für Krieten das letzte Verfahren überhaupt. Ende des Monats geht der gerade 67 Jahre alt gewordene Richter in Pension.
Prozess Hamburg: Krieten war als „harter Hund“ bekannt
Etliche Kollegen sind gekommen, ebenso Mitarbeiter aus der Justiz, um an diesem speziellen Moment in Krietens Leben teilzuhaben. Er ist ein Jurist, den viele seiner engsten beruflichen Weggefährten als einen verlässlichen, fürsorglichen und freundlichen Menschen loben. Er ist aber ebenso ein Jurist, der polarisiert. Einige schätzen ihn wegen seiner deutlichen Worte und dass er in seinen Urteilen „klare Kante“ zeige.
Er ist aber ebenso ein Richter, der häufiger angeeckt ist, mit Entscheidungen, die manche als überzogen empfunden haben und ihm in Teilen der Gesellschaft den Ruf als „harter Hund“ eingebracht haben. Als Krieten beispielsweise im Jahr 2017 gegen einen G20-Flaschenwerfer zwei Jahre und sieben Monate Haft verhängte, fanden zahlreiche Menschen die Strafe zu hoch.
Junger Mann wird Prozess wegen Diebstahl gemacht
Doch dass er auch ganz anders kann, mit durchaus maßvollen Urteilen, ist häufig nicht wahrgenommen worden. Dieser Mittwoch, seine letzte Entscheidung, ist dann allerdings tatsächlich genau so ein Fall: Er verhängt ein Urteil gegen einen jungen Mann, der mehrfach wegen Diebstahls in Erscheinung getreten ist. Krietens Entscheidung, ein Schuldspruch mit einer ganz speziellen Bewährungsauflage, ist ebenso ungewöhnlich wie weitsichtig. Und im besten Fall könnte sie den Angeklagten dazu bringen, sein Leben in Zukunft ohne Straftaten zu verbringen.
- Leichenteile in Elbe- Opfer verfasste Zettel mit Botschaft
- Mädchen am Po begrapscht – es war der „onkelhafte“ Vermieter
- Seniorin getötet- Verdeckte Fanschal Lkw-Fahrer die Sicht?
Aber der Reihe nach. Laslo R. (Name geändert) hat in seiner Jugend schon wiederholt geklaut. Auch der jetzige Vorwurf, der den Hamburger auf die Anklagebank gebracht hat, lautet Diebstahl. Vor zwei Jahren, heißt es in der Anklage, habe der damals 20-Jährige ein Lastenfahrrad entwendet. Dann soll er versucht haben, das Diebesgut auf Ebay Kleinanzeigen zu verkaufen. Unmittelbar zuvor saß noch die Schwester von Laslo R. auf derselben Anklagebank – ebenfalls wegen Diebstahls beziehungsweise Hehlerei.
Angeklagter verweigert Aussage
Und früher, so erinnert sich der Richter, habe er bereits mit den Eltern der beiden jungen Angeklagten zu tun gehabt. Laslo R. sieht betroffen aus. Mit gesenktem Kopf sitzt der junge Familienvater da, fast reglos, schweigsam. Zu den Vorwürfen wolle er sich nicht äußern, gibt er zu verstehen.
Nun treten zwei Polizisten als Zeugen auf, die schildern, wie damals der Diebstahl angezeigt wurde, wie das Lastenrad dann unter „zu verkaufen“ auf der Plattform Ebay Kleinanzeigen angeboten wurde. Die Beamten versuchten zunächst, als angebliche Käufer mit dem Verdächtigen Kontakt aufzunehmen. Doch zu einem verabredeten Treffen mit den „Interessenten“ erschien er nicht. Daraufhin beobachteten die Ermittler die Region, in der der Anbieter offenbar wohnte – als ihnen plötzlich Laslo M. auf dem Lastenrad entgegenkam und sie ihn anhielten.
Geklautes Fahrrad angeblich am Straßenrand gefunden
Der Verdächtige behauptete seinerzeit, als er mit dem Vorwurf des Diebstahls konfrontiert wurde, er habe das Gerät am Straßenrand gefunden. Keine überzeugende Geschichte aus Sicht der Polizei. Die Beamten stellten das Rad sicher. Es konnte später den Besitzern, einer Kita, die es für den Transport von Lebensmitteln für ihre Schützlinge benutzte, ausgehändigt werden.
„Zwei Wochen ohne das Lastenrad waren schon heftig“, erzählt die Zeugin. Und wie gut es war, das Rad wieder zu bekommen. Schließlich legt Laslo R. doch noch ein Geständnis ab. „Es tut mir Leid“, sagt er über seine Tat. Am Ende entscheidet Krieten auf einen Schuldspruch – eine Maßnahme, die nur im Jugendrecht vorkommt. Das Ungewöhnliche ist die Bewährungsauflage, die der Richter ausspricht: Laslo R. muss handschriftlich einen zehnseitigen Aufsatz verfassen.
Prozess Hamburg: Strafe ist ein zehnseitiger Aufsatz
Thema: „Warum es wichtig ist, für meine Kinder eine Vorbildfunktion einzunehmen“ – und wie bedeutsam es ist, eine gute Berufsausbildung zu erlangen. „Finde ich gut“, meint der junge Hamburger und nimmt das Urteil sofort an. Überrascht ist er auch, als er hört, dass dieses hier die letzte Hauptverhandlung überhaupt ist, die Krieten leitet.
„Dann war ich also Ihr letzter Mann“, meint er, als der Richter ihm zum Abschied die Hand drückt und ihm alles Gute wünscht. „Es hat mir Spaß gemacht“, sagt Krieten lächelnd nach der Verhandlung. Und damit meint er diesen letzten Prozess – „aber insbesondere auch meine gesamte richterliche Tätigkeit“.