Hamburg. Vorwurf gegen Karl-Heinz Schwensen lautete auf Fahren ohne Führerschein. Warum das Verfahren beinahe zu einer endlosen Geschichte geworden wäre.
Der Fall hatte das Zeug für eine unendliche Geschichte. Denn fast schien es so, als würde das Verfahren um Kiezlegende Karl-Heinz Schwensen wohl nie geklärt werden. War er es, oder war er es nicht? Fuhr er ohne Führerschein im Bereich der Reeperbahn Auto? Mehr als 13 Jahre liegt jene Begebenheit zurück, die den heute 70-Jährigen in das Visier der Ermittlungsbehörden gebracht hat. Es wurde eine Justizposse in fünf Akten. Nun, endlich, kam der Prozess zu einem Abschluss.
Das Urteil gegen Schwensen: Das Verfahren wurde jetzt in einem Berufungsprozess vor dem Landgericht eingestellt. Es ist ein Urteil ohne Schuldfeststellung, also, ohne dass darüber befunden wird, ob sich eine Tat so ereignet hat, wie es die Anklage aufgelistet hat. Der Grund für diese Gerichtsentscheidung ist, dass das Verfahren mittlerweile extrem lange gedauert hat, offenbar unzumutbar lange. Die Kiezlegende selber hat in der jüngsten Hauptverhandlung nur einen Satz gesagt und ausdrücklich betont: „Ich bin damals nicht gefahren.“
Prozess Hamburg: Ein Verfahren, das so lange gedauert hat wie wohl kein anderes
Damit hat der Mann, der schon seit Jahrzehnten das Image des „Mister Superlässig“ pflegt, auch seinen persönlichen Schlusspunkt unter ein Verfahren gesetzt, das die Hamburger Justiz so lange beschäftigt hat wie wohl kein anderes zuvor. Es ging dabei mitnichten um ein schweres Verbrechen oder hochkomplexe Sachverhalte, die nur durch jahrelange intensive Ermittlungen aufzuklären wären. Die Kernfrage war zugespitzt formuliert vielmehr, ob eine dunkle Sonnenbrille, zur Nachtzeit getragen, automatisch bedeutet, dass der Träger der Brille Karl-Heinz Schwensen sein muss. Und ob damit bewiesen werden kann, dass die Kiezgröße sich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht hat.
Die getönte, große Pilotenbrille wurde schon vor einer halben Ewigkeit zum Markenzeichen für Schwensen. Auch wenn kein Sonnenstrahl zu sehen ist, verzichtet der Hamburger nicht auf dieses markante Accessoire. Die fast zum Kultobjekt erhobene Pilotenbrille nahm der Hamburger nicht einmal ab, als er am 23. August 1996 in einem Restaurant angeschossen und auf einer Trage zum Notarztwagen gebracht wurde. Die Brille gehört ebenso zu seinem ewig gleichen Look wie der charakteristische Schnauzbart und ein schicker Anzug. Dieses konsequent kultivierte Trio trägt neben seinem Status als Kiezlegende dazu bei, dass Schwensen einen hohen Wiedererkennungswert genießt.
Kiezlegende Schwensen: Die Pilotenbrille wurde zu seinem Markenzeichen
Doch was oft ein einträgliches Alleinstellungsmerkmal sein kann, mag in anderen Fällen zur Belastung werden. Für Schwensen bedeutete es konkret, dass er seit 13 Jahren immer wieder in Prozessen zunächst vor dem Amtsgericht und später vor dem Landgericht gestanden hat, insgesamt fünfmal mit höchst unterschiedlichem Ausgang. Einen Höhepunkt bildete dabei ein Husarenstück, das Schwensen selber inszeniert hatte, indem er quasi „oben ohne“, also ohne Brille und Schnauzbart, in einem Prozess aufgetreten war. Und später, nachdem es einen dritten vergeblichen Anlauf gegeben hatte, das Verfahren zu einem Ende zu bringen, hatte der Hamburger gespottet: „Mein Vertrauen in die Justiz reicht so weit, wie ich einen 30-Tonnen-Lkw schmeißen kann.“ Nach 2017 schließlich hatte es über Jahre keinen weiteren Verhandlungstermin gegeben. Bis jetzt.
Seit 2017 gab es keinen Prozesstermin – bis jetzt
Das Drama in fünf Akten hatte seinen Ursprung in einem Vorfall in den späten Abendstunden des 2. Februar 2011. Damals soll die Kiezlegende auf der Balduinstraße unterwegs gewesen sein, am Steuer eines Mercedes – und ohne Fahrerlaubnis. Die hatte Schwensen einen Monat zuvor abgeben müssen, nachdem er das 18-Punkte-Limit in Flensburg erreicht hatte. Ein halbes Jahr später wurde der Fall erstmals vor Gericht verhandelt.
Der Prozess endete mit einer Verurteilung des Clubbetreibers zu einer Geldstrafe von 110 Tagessätzen à 100 Euro. Das Gericht stützte sich dabei auf die Aussage zweier Polizisten: „Ich bin in Hamburg aufgewachsen, ich weiß, wie Herr Schwensen aussieht“, hatte einer der Beamten ausgesagt. Und der andere Polizist hatte erklärt: „Ich habe in meinem Leben nur zwei Menschen erlebt, die im Dunkeln eine Sonnenbrille tragen, Heino und Herrn Schwensen. Und Heino war es nicht.“
Der Trick mit dem „doppelten Schwensen“ ging schief
Diese vielleicht etwas kurzsichtige Schlussfolgerung schien Schwensen dazu angestachelt zu haben, zu einem Trick zu greifen. Und so war es bei einer Berufungsverhandlung im Oktober 2012 zu einer Art Rollentausch gekommen, der zeigen sollte, wie leicht man Menschen mit wenigen Accessoires täuschen könne: Im Gerichtssaal war ganz kurz ein Doppelgänger im typischen Schwensen-Look erschienen und dann sofort wieder verschwunden. Dann kam der echte Schwensen – ohne seine Markenzeichen Sonnenbrille, Schnauzbart und Anzug, dafür im schlichten Strickpulli.
Doch anstatt damit einen Coup zu landen, ging der Auftritt des „doppelten Schwensen“ nach hinten los. Die Richterin verwarf seine Berufung. Ihre Begründung: Der Mann, der sich als Schwensen ausgegeben habe, „ist nicht Herr Schwensen“, sagte sie entschieden. Auch dass der Angeklagte noch angeboten hatte, seine Fingerabdrücke nehmen zu lassen, und im Saal zudem seinen Pullover anhob und seine Jeans ein wenig herunterschob, um in seiner Körpermitte die Narben seiner alten Schusswunden zu zeigen und so seine wahre Identität zu beweisen, half nicht.
Er habe zur angeblichen Tatzeit „Deutschland sucht den Superstar“ geguckt, sagte der Angeklagte
Gegen diese erste Entscheidung in einer Berufungsinstanz legte die Kiezlegende zusammen mit seinem langjährigen Verteidiger Klaus Hüser erfolgreich Rechtsmittel ein. Im dritten Akt dieses Verfahrens, bei einem neuen Prozess vor einer anderen Kleinen Strafkammer Ende 2013, erschien Schwensen erneut ohne Brille und ohne Bart. Diesmal kam es zu einer Beweisaufnahme, in der Schwensen beteuerte, dass er zu der Zeit, als er laut Anklage ohne Führerschein Auto fuhr, gemeinsam mit einer Bekannten „Deutschland sucht den Superstar“ gesehen habe. Doch weil die Polizeibeamten erneut als Zeugen bekundeten, sie hätten den Autofahrer zweifelsfrei als Schwensen erkannt, kam es wieder zu einer Geldstrafe. Diese fiel mit 90 Tagessätzen à 15 Euro niedriger aus als das frühere Urteil des Amtsgerichts.
Auch gegen diese Entscheidung ging die Verteidigung im Jahr 2014 erfolgreich in Revision. Ein nächster Termin vor einer anderen Kammer am 2. Juni 2017 endete, bevor er überhaupt begonnen hatte. Hintergrund war, dass es keine Einigung über die Anregung der Verteidigung gab, das Verfahren einzustellen. Daraufhin sollte es einen neuen Prozess geben, zu dem mehrere Zeugen geladen werden sollten. Doch ein nächster Termin ließ fast sieben Jahre auf sich warten. „Dieses Verfahren ist kein Ruhmesblatt für die Hamburger Justiz“, sagte dazu Verteidiger Hüser damals dem Abendblatt.
Verteidiger: „Dieses Verfahren ist kein Ruhmesblatt für die Justiz“
Nachdem sich also mehr als 13 Jahre lang an der Frage, ob der Mann am Steuer Schwensen war oder nicht, die Geister schieden, ging der jüngste Prozess vor dem Landgericht jetzt allerdings eher geschmeidig – und vor allem einvernehmlich – zu Ende. Das Verfahren wurde eingestellt. Entscheidend für dieses Urteil war der Umstand, dass nach übereinstimmender Einschätzung von Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Verfahrensdauer inzwischen ein Ausmaß angenommen hat, das als unzumutbar gilt. Juristisch wird dies so formuliert: Es besteht ein „sogenanntes Verfahrenshindernis, das einer weiteren Verfolgung der mutmaßlichen Tat entgegensteht“, erklärt Gerichtssprecher Kai Wantzen dem Abendblatt auf Anfrage.
Prozess Hamburg: Jetzt ging das Verfahren plötzlich einvernehmlich zu Ende
Normalerweise würden Verfahrensverzögerungen, die von der Justiz zu verantworten sind, zugunsten des Angeklagten dadurch kompensiert, dass ein Teil der am Ende verhängten Strafe als vollstreckt gilt, so Wantzen. „Im vorliegenden Fall würde das jedoch als Ausgleich für die lange Verfahrensdauer nach Auffassung des Gerichts inzwischen nicht mehr ausreichen.“
„Was die Verfahrensdauer angeht, handelt es hier um einen Extremfall, bei dem es verschiedene Faktoren gegeben hat, die das Verfahren leider immer länger haben werden lassen“, erläutert Wantzen weiter. Unter anderem sei die in der Sache Schwensen zuständige Kammer hoch belastet gewesen, vor allem mit Haftsachen, die vordringlich zu verhandeln sind. Zudem hätten sich die Einschränkungen ausgewirkt, die infolge der Corona-Pandemie zu erheblichen Rückständen geführt haben. „Leider“, erklärte Wantzen, „war es auch seitdem nicht gelungen, das Berufungsverfahren zu einem Abschluss zu bringen.“
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„Nach meiner Kenntnis ist das der zweitlängste Prozess, der je in Deutschland verhandelt wurde“, sagt Klaus Hüser, der Verteidiger von Schwensen, dem Abendblatt. „Es ist jedenfalls der längste, den ich je geführt habe – und auch der bizarrste“, meint der erfahrene Anwalt und zieht die Bilanz: „Die Justiz hat dieses unselige Verfahren zu einem anständigen Ende gebracht.“