Hamburg. Intensivere Zusammenarbeit von Waffenbehörde und LKA. Ermittler sind mit OSINT-Recherche psychisch auffälligen Gefährdern auf der Spur.
Nach dem Amoklauf vor einem Jahr war schnell klar: Täter Philipp F. (35) hatte im Königreichssaal der Zeugen Jehovas an der Deelböge (Alsterdorf) mit einer legal erworbenen Pistole sieben Menschen – zwei Frauen, vier Männer und ein ungeborenes Kind – getötet und neun weitere Menschen verletzt. Im Anschluss an die Tat wurde Kritik in erster Linie an der Waffenbehörde laut. Vor allem dort hat sich im vergangenen Jahr einiges geändert. So wird eine spezielle Recherche beim Landeskriminalamt angewandt, um psychisch erkrankten Menschen („Psychos“) auf die Spur zu kommen.
Die Waffe, eine Heckler & Koch P 30 L, hatte sich Philipp F. bereits am 28. Januar 2022 beschafft. Sie wurde im Hanseatic Gun Club (HGC), in dem er seit September 2021 Mitglied war, verwahrt. Nach Hause durfte er die Pistole erst ab dem 6. Dezember 2022 mitnehmen, nachdem er im zweiten Anlauf die Sachkundeprüfung bestanden und von der Behörde eine Waffenbesitzkarte ausgehändigt bekommen hatte.
Amoklauf in Alsterdorf: Was sich seit der Tat vor einem Jahr in Hamburg verändert hat
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es Warnungen gegeben hatte, nach denen Philipp F. psychisch instabil gewesen sei. Aktuell läuft deshalb noch ein Verfahren gegen einen Beamten der Waffenbehörde. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung in sechs Fällen durch Unterlassung vor. Der Beamte ist aktuell suspendiert. Ermittlungen gegen den dreiköpfigen Prüfungsausschuss, der zuerst am 28. April 2022 Philipp F. zusammen mit sieben anderen Anwärtern in den Räumen des Hanseatic Gun Clubs einem Sachkundetest unterzog, wurden eingestellt.
„Maßgeblich für diese Entscheidung waren auch gesetzliche und behördliche Mängel bei der Umsetzung der für den Erhalt einer Waffenerlaubnis notwendigen Sachkundeprüfung“, hieß es Mitte Februar von der Staatsanwaltschaft. Die Waffenbehörde mit Sitz an der Straße Grüner Deich (Hammerbrook), die für die Erteilung einer Genehmigung zum Umgang mit Waffen zuständig ist, wurde personell von 27 auf 33 Stellen aufgestockt. Die Zahl der Kontrollen, insbesondere zur vorschriftsmäßigen Aufbewahrung von Waffen und Munition, wurde erhöht. So steige die Zahl der Kontrollen von Waffenbesitzern von 569 in 2022 auf 2026 im vergangenen Jahr – das allerdings, ohne das die Zahl der Beanstandungen signifikant anstieg. In diesem Jahr gab es bis Ende Februar bereits 633 Kontrollen. Die Handlungsanweisungen und die Weiterbildung wurden verbessert.
LKA nutzt bei Hinweisen die Open Source Intelligence-Recherche (OSINT)
Insbesondere hat sich der Umgang mit Hinweisen verändert, wie es sie im Fall Philipp F. gab. Mittlerweile gibt es eine intensive Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt. Beim LKA wird in solch einem Fall die Open Source Intelligence-Recherche, kurz OSINT, angewandt, die auch schon länger von Geheimdiensten genutzt wird. Das ist eine besonders in die Tiefe gehende Online-Recherche in frei verfügbaren Quellen. Die so gewonnenen Ergebnisse werden anschließend verknüpft und analysiert.
Hinweise anderer Dienststellen und Behörden auf potenziell bevorstehende Gefahren für Leib und Leben sollen zukünftig über einen Single Point of Contact (SPOC) in die Polizei gesteuert werden. Dafür wurden zwei neue Stellen geschaffen.
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Bei der Polizei hat sich einsatztaktisch nach dem Amoklauf nichts groß geändert. Zwar wurde der Amoklauf und das Einschreiten der Polizeikräfte im Nachhinein analysiert. Der Fall gilt aber als „Bilderbucheinsatz“. Die für genau solche Fälle erst kurz zuvor gegründete Unterstützungseinheit (USE) war zum Zeitpunkt des Amoklaufs gerade in der Unterkunft auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei am Bruno-Georges-Platz (Alsterdorf) angekommen, um den Dienst zu beenden.
Sie war innerhalb weniger Minuten vor Ort und sofort schwer bewaffnet in das Gebäude gestürmt. Philipp F. hatte, als er das Eintreffen der Polizei registrierte, den Amoklauf abgebrochen und sich in einen Raum im ersten Stock zurückgezogen, wo er sich erschoss. Auch die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Polizeieinheiten und mit den Rettungskräften habe ebenso reibungslos geklappt, wie die Betreuung der aus dem Gebäude geholten Überlebenden, die an der Wache 23 an der Troplowitzstraße (Lokstedt) versorgt wurden. Das komplette Polizeirevier war dafür „ausgeräumt“ worden.
Die Erfahrungen, die die Hamburger Polizisten bei dem Einsatz machten, werden mittlerweile ebenfalls an Sicherheitsbehörden in ganz Deutschland weitergegeben. Gesetzlich hat sich beim Waffenrecht, insbesondere in Bezug auf den Erwerb von großen Mengen Munition und Magazinen, trotz einer entsprechenden Ankündigung nichts geändert. Tatsächlich zählt das deutsche Waffenrecht bereits jetzt zu einem der restriktivsten weltweit.