Hamburg. In dem Sportschützenclub lernte Attentäter Philipp F. das Schießen. Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Waffenbehörde laufen weiter.

Der Amoklauf von Alsterdorf vor knapp einem Jahr hat die Menschen weit über Hamburg hinaus erschüttert. Am 9. März 2023 war Philipp F. in eine Gemeindeversammlung der Zeugen Jehovas an der Deelböge gestürmt und hatte mit einer halbautomatischen Pistole sieben Menschen und schließlich auch sich selbst getötet. Acht weitere Menschen wurden verletzt. Schon bald nach der Tat tauchte die Frage auf, ob Philipp F., der als psychisch labil gelten konnte, an eine Waffe hätte kommen dürfen. Der Hamburger war seit 2021 Mitglied im Hanseatic Gun Club, wo er das Schießen lernte.

Den Mitarbeitern war zuvor vorgeworfen worden, dem späteren Attentäter ein Blanko-Zeugnis über eine bestandene Sachkundeprüfung ausgestellt zu haben – ohne dass er die Prüfung bestanden hatte. Diese Sachkundeprüfung ist für die Erteilung einer Waffenbesitzkarte erforderlich.

Amoklauf Alsterdorf: Verfahren gegen Mitarbeiter der Waffenbehörde in Hamburg läuft weiter

Jetzt hat die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg die Ermittlungen gegen drei Mitglieder des Prüfungsausschusses im Hanseatic Gun Club eingestellt, wie sie am Mittwochmittag mitteilte. Die Schuld der drei Personen sei zu gering, es bestehe kein „öffentliches Strafverfolgungsinteresse“. Es zeigte sich allerdings auch, dass bei dieser und anderen Prüfungen zahlreiche Fehler begangen worden waren.

Maßgeblich für diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft seien auch die Mängel auf gesetzlicher und behördlicher Seite gewesen, hieß es weiter. Dadurch sei fraglich, ob die drei Beschuldigten ein etwaiges eigenes juristisches Fehlverhalten überhaupt hätten erkennen können, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Das Verfahren gegen einen Mitarbeiter der Hamburger Waffenbehörde läuft indes weiter, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaften, Liddy Oechtering, auf Anfrage bestätigte. „Hier dauern die Ermittlungen an.“ Sie waren eingeleitet worden wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in sechs Fällen sowie der fahrlässigen Körperverletzung im Amt in 14 Fällen.

Der Hanseatic Gun Club in der Hamburger Innenstadt: Nach dem Amoklauf in Alsterdorf vor knapp einem Jahr hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen drei Mitglieder des Schießclubs eingestellt. (Archivbild)
Der Hanseatic Gun Club in der Hamburger Innenstadt: Nach dem Amoklauf in Alsterdorf vor knapp einem Jahr hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen drei Mitglieder des Schießclubs eingestellt. (Archivbild) © Hamburg | picture alliance

Den drei Mitgliedern des Hanseatic Gun Clubs am Ballindamm war vorgeworfen worden, bei der Sachkundeprüfung des späteren Amokschützen Philipp F. „Falschbeurkundung im Amt“ begangen zu haben. Die Prüfung ist Voraussetzung dafür, eine Waffenerlaubnis zu erhalten. In ihrer Mitteilung macht die Generalstaatsanwaltschaft jetzt zahlreiche Details öffentlich und erklärt, wie die Sachkundeprüfung des Philipp F. vonstattenging. Dabei scheinen einige Dinge nicht ganz nach Vorschrift verlaufen zu sein.

So wird berichtet, wie der Amokschütze am 28. April 2022 an einem Prüfungsdurchgang teilgenommen und den theoretischen Test bestanden haben soll. Bei der praktischen Prüfung soll F. dann aber durchgefallen sein, weil er aus einer Distanz von 25 Metern eine 50 mal 50 Zentimeter große Zielscheibe nicht getroffen habe. Erst bei einer „Nachprüfung“ am 24. Oktober 2022 habe er dann bestanden, diese sei bei der Hamburger Waffenbehörde allerdings nicht angemeldet worden.

Amokschütze Philipp F. bekommt im Dezember 2022 eine Waffenbesitzkarte

Zudem heißt es: „Das abschließende Sachkundezeugnis wurde von den Beschuldigten bereits vor Beginn der (ersten) Sachkundeprüfung unter dem Datum 28. April 2022 unterzeichnet. Es attestiert F., er habe die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten im Schießen jeweils mit Kurz- und Langwaffen [...] nachgewiesen.“

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Laut den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erteilte die Hamburger Waffenbehörde dem späteren Amokschützen am 6. Dezember eine Waffenbesitzkarte. Von da an durfte F. eine Pistole vom Kaliber 9 Millimeter in seiner Wohnung lagern und „sich selbst große Mengen an passender Munition verschaffen“.

Amoklauf Alsterdorf: Es habe zahlreiche Verfahrensfehler und -mängel gegeben

Eine Übersicht:

  • Schießleistungen seien nur an drei Waffen erbracht worden. Eigentlich seien vier Pflicht. So habe es keine Prüfung am Repetiergewehr gegeben.
  • Das Ergebnis der praktischen Prüfung sei nur teilweise oder nur grob und unverständlich dokumentiert worden.
  • Es sei bei der Prüfung kein zertifiziertes Protokoll angefertigt worden.
  • Bei den verschiedenen Prüfungsteilen seien nicht zu jeder Zeit alle Mitglieder des Prüfausschusses anwesend gewesen.
  • Beim Nichtbestehen des praktischen Tests wurde die Prüfung nicht offiziell wiederholt.
  • Die Zeugnisse wurden von den drei Beschuldigten zum Teil schon blanko im Voraus unterschrieben.

Trotzdem kamen die Ermittlungen zu dem Schluss: Es gebe keine Anzeichen dafür, dass die drei Beschuldigten dem späteren Täter ein Zeugnis ausgestellt hätten, ohne dass F. die nötige Sachkenntnis dafür besessen habe.

Laut Staatsanwaltschaft seien diese und weitere Mängel strafrechtlich nicht von Belang. Das Ergebnis „bestanden“ sei im Ergebnis rechtlich nicht falsch gewesen. Und „wie“ bestanden wurde, müsse im Zeugnis nicht dokumentiert werden. Aus diesem Grund wurde das Verfahren wegen Falschbeurkundung im Amt eingestellt. „Die strafwürdigen Falschangaben bezweckten aus Sicht der Beschuldigten auch keineswegs, etwaiges Fehlverhalten zu verschleiern.“ Sie hätten überwiegend auf pragmatischen Gründen beruht.

Kritik an Hamburger Waffenbehörde politisch brisant

Die Staatsanwaltschaft spricht einen weiteren Punkt an, der politische Brisanz hat: „Zu berücksichtigen war fernerhin, dass die Hamburger Waffenbehörde offenbar aus Kapazitätsgründen davon absieht, einer örtlichen Sachkundeprüfung als ,weiterer Beisitzer im Prüfungsausschuss´ (§ 3 Absatz 4 Satz 3 Nummer 2 AWaffG) beizuwohnen sowie eine stichprobenartige Kontrolle von Prüfunterlagen vorzunehmen und dadurch die jeweiligen Prüfabläufe im Zuge der gebotenen Fachaufsicht zu überwachen.“

Nach dem vorbildlichen Polizeieinsatz bei dem Amoklauf, durch den die Beamten womöglich weitere Tote verhindert haben, kam bald Kritik an der Hamburger Waffenbehörde auf. Im Januar 2023 war dort ein anonymer Hinweis eingegangen, wonach die waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Mannes überprüft werden müsse und dessen psychische Verfassung infrage stehe.
Im Zuge der Ermittlungen hatte die Generalstaatsanwaltschaft den „Hanseatic Gun Club“, den Arbeitsplatz des Mitarbeiters in der Waffenbehörde sowie die Wohnungen der damals noch vier Beschuldigten im April 2023 durchsuchen lassen.

CDU kritisiert „erhebliche Mängel bei der Waffenbehörde“

Dem Mitarbeiter der Waffenbehörde wird vorgeworfen, Hinweise aus dem familiären Umfeld des späteren Amokläufers, wonach dieser psychisch sehr labil sei, weder dokumentiert noch ordnungsgemäß in der Behörde weitergeleitet zu haben. Und das, obwohl er persönlich um die Hintergründe wusste, weil er von einem Mitglied des Hanseatic Gun Clubs Informationen zu F. bekommen hatte. Als Konsequenz habe es nur eine unangekündigte Aufbewahrungskontrolle für die im Besitz von Philipp F. befindliche Schusswaffe gegeben, anstatt dass Mitarbeiter der Waffenbehörde sich gezielt weitere Informationen verschafft und die Schusswaffe nebst Munition sodann umgehend sichergestellt hätten.

Hamburgs CDU-Chef Dennis Thering findet es bedenklich, „dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Begründung auf erhebliche Mängel bei der Waffenbehörde verweist. So fehle es dieser offenbar an Kapazitäten, den notwendigen Prüfungen für Waffenbesitzer beizuwohnen. Auch gebe es keine ausreichenden gesetzlichen Vorgaben zum genauen Ablauf dieser Sachkundeprüfung. So fehle es beispielsweise an einer entsprechenden ,Prüfungsordnung‘. Hier müssen SPD und Grüne dringend Abhilfe schaffen und die Waffenbehörde personell noch weiter verstärken, alle offenen Stellen zügig besetzen und eine Prüfungsordnung auflegen“, so Thering. Die Waffenbehörde müsse in die Lage versetzt werden, ihrer wichtigen Aufgabe vollumfänglich gerecht werden zu können. Die Hamburgerinnen und Hamburger müssten sich darauf verlassen können, dass Waffenerlaubnisse nicht leichtfertig erteilt werden. Im Sinne der Opfer sei es „unerlässlich, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Mitarbeiter der Waffenbehörde wegen des Verdachtes der fahrlässigen Tötung sowie der fahrlässigen Körperverletzung in mehreren Fällen nun konsequent bearbeitet und zügig zur Anklage gebracht wird“.