Hamburg. Angesichts anti-israelischer Demonstrationen hat das traditionelle Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 eine besondere Aktualität. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg beklagt, dass sich jüdische Deutsche nicht ohne Sorge zu erkennen geben können.
Überschattet von der Entführung von mehr als 230 Israelis durch die Hamas haben in Hamburg mehrere Hundert Menschen der Novemberpogrome von 1938 gedacht. Am Ort der damals geschändeten und später zwangsweise abgerissenen Bornplatzsynagoge versammelten sich am Donnerstag nach Polizeiangaben mehr als 600 Teilnehmer. Zwei Frauen aus Israel berichteten von der Ermordung und Entführung ihrer Familienangehörigen. „Der 7. Oktober verwandelte unser Leben in einen Alptraum“, sagten Lior Katz-Natanson (38) und ihre Nichte Mika aus dem Kibbuz Nir Oz. Sie baten die Zuhörer um Hilfe, ihre geliebten Angehörigen nach Hause zu bringen.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg, Philipp Stricharz, forderte, Deutschlands Demokratie müsse wehrhaft bleiben. „Dazu gehört auch, für das Recht anderer Demokratien einzustehen, sich gegen barbarische Angriffe zur Wehr zu setzen“, sagte Stricharz mit Blick auf die israelische Militäroperation gegen die Hamas im Gazastreifen. „Wir haben auch Mitgefühl für die palästinensischen Zivilisten, die wegen des Terrors der Hamas leiden.“
Zur deutschen Demokratie müsse auch gehören, dass man sich ohne Sorge und jederzeit als jüdischer Deutscher zu erkennen geben kann. „Das ist nicht der Fall“, beklagte der Gemeindevorsitzende und fügte hinzu: „Solange wir Hassparolen und Terrorrelativierungen auf unseren Straßen dulden, wird sich daran nichts ändern.“
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) betonte, dass der Hamburger Senat fest an der Seite Israels stehe. „Dazu gehört für uns, dass wir Antisemitismus und Anfeindungen gegenüber Israel in unserer Stadt nicht dulden.“ Tschentscher erklärte weiter: „Antisemitische Parolen und das Bejubeln terroristischer Angriffe sind in Deutschland Straftaten.“
Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs forderte klare Worte gegen den Hass. Als Vorsitzende des Interreligiösen Forums - an dem neben Christen, Juden, Buddhisten auch der Rat der islamischen Gemeinschaften (Schura) beteiligt ist - sage sie ausdrücklich: „Wir dürfen unsere heiligen Schriften mit ihrer Friedensbotschaft nicht den Fanatikern überlassen.“
Die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer erinnerte an ihren Urgroßvater, der wegen seines Widerstandes gegen die Nationalsozialisten im KZ Stutthof bei Danzig ermordet wurde. Sie griff das Motto der Veranstaltung auf und sagte stellvertretend, auch für ihre Hamburger Mitstreiter bei Fridays for Future: „Für uns ist klar, „Nie wieder ist jetzt“, da machen wir keine Kompromisse. Unsere Haltung hier ist eindeutig.“
Erinnern heiße, aufzustehen und zu intervenieren, wenn Diskriminierung und Antisemitismus wieder überhand nehmen. „Erinnern heißt, beim Aufmarsch von rechts einen Gegenaufmarsch zu organisieren.“ Auf die jüngsten Äußerungen von Greta Thunberg ging Neubauer nicht ein. Die schwedische Ikone der Klima-Aktivisten hat sich in den vergangenen Wochen mehrfach gegen Israel geäußert und dem jüdischen Staat ethnische Säuberungen, Apartheid und Völkermord vorgeworfen.
Der türkischstämmige Journalist Deniz Yücel appellierte an die islamischen Verbände, sich im eigenen Interesse von den „dschihadistischen Massenmördern der Hamas“ zu distanzieren. „Man kann sich nicht damit rausreden, dass all das nichts mit dem Islam zu tun habe.“ Die palästinensischen und arabischen Einwanderer sollten die Wortführerschaft nicht länger den Radikalen auf der Straße überlassen und auch den Antisemitismus verurteilen, der sich als Kritik an Israel tarne. „Wer von einem Kalifat träumt oder davon, Israel zu vernichten, der findet - inschallah - von alleine die Tür“, sagte Yücel.