Hamburg. Hamburger Oberlandesgericht sieht sich nicht zuständig für die Frage, wo die Kinder der Unternehmerin leben sollen. Wie es dazu kam.

Zwei Kinder zwischen allen Stühlen: Nach der Trennung der Eltern will der Vater das alleinige Sorgerecht. Aber genauso vehement beansprucht die Mutter exakt das Gleiche für sich. Sie will, dass die Kinder bei ihr leben und dass sie alle maßgeblichen Entscheidungen für deren Wohl und deren Zukunft treffen kann.

Es ist ein Streit, der in Deutschland in vielen Familien, die mittlerweile keine mehr sind, ausgefochten wird. Doch Christina Block und ihr Ex-Mann Stephan Hensel sind eben keine Eltern wie die meisten anderen. Insbesondere Mutter Christina Block ist als Unternehmerin und Tochter des Steakhaus-Unternehmers Eugen Block eine Person, die im Licht der Öffentlichkeit steht. Und damit auch ihr früherer Gatte, mit dem sie vier gemeinsame Kinder hat.

Sorgerechtsstreit: Stößt die Hamburger Justiz an ihre Grenzen?

Seit Jahren tobt mittlerweile ein Sorgerechtsstreit zwischen dem einstigen Traumpaar. Etliche Gerichte haben sich bereits damit befasst, wie es mit der Sorge um die beiden jüngsten Kinder des Paares weitergehen soll. Kompliziert wird es dadurch, dass Hensel seit Längerem in Dänemark lebt, während die Mutter weiterhin in Hamburg wohnt. Stößt die Justiz deshalb im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Grenzen?

Jedenfalls hat das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) jüngst mitgeteilt, dass es den deutschen Gerichten „an der internationalen Zuständigkeit für Entscheidungen über das Sorgerecht“ fehle. Dies liege darin begründet, dass die 13 Jahre alte Tochter und der zehnjährige Sohn inzwischen „ihren verfestigten Lebensmittelpunkt in Dänemark“ hätten.

„Zuständigkeit der Gerichte ist ohne Ermessensspielräume“

Bei der Entscheidung des OLG für beziehungsweise gegen seine Zuständigkeit gebe es praktisch keinen Spielraum, erklärt Gerichtssprecher Kai Wantzen auf Abendblatt-Anfrage. „Es ist keine Wollensfrage, sondern eine Frage der Anwendung von Recht, ohne dass Ermessensspielräume bestehen“, betont Wantzen.

Geregelt sei die internationale Zuständigkeit über die elterliche Sorge in dem Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ). Ausschlaggebend ist hierbei, in welchem Land die Kinder ihren sogenannten „gewöhnlichen Aufenthaltsort“ haben. Damit ist der verfestigte Lebensmittelpunkt gemeint, also wo die Kinder seit Längerem leben, wo sie ihr gewohntes Umfeld haben, wo sie zur Schule gehen. Daraus ergibt sich die jeweilige Zuständigkeit.

Dies sei auch sinnvoll, erläutert Wantzen, weil auf diese Weise festgelegt werde, dass jene Gerichte die Sorgerechtsentscheidungen treffen, wo die Kinder leben. Diese Gerichte seien „näher dran“ und im Zweifelsfall dann konsequenterweise auch befugt, die Entscheidungen in dem jeweiligen Land durchzusehen.

Der Fall Block habe gezeigt, dass die Zuständigkeit eines Gerichts „an der Staatsgrenze endet“. Es liege „auf der Hand“, so der Gerichtssprecher, dass ein deutsches Gericht keinen deutschen Gerichtsvollzieher und keine deutsche Polizei über die Staatsgrenze schicken könne. Stattdessen gelte die Staatsgewalt nur im eigenen Territorium und nicht darüber hinaus.

Die Gerichte sollen zuständig sein, wo die Kinder tatsächlich leben

„Dies ist auch der Grund, warum es spezielle Abkommen für sogenannte Entführungsfälle gibt“, sagt der Gerichtssprecher. In mutmaßlichen Entführungskontexten sollen die Gerichte Anordnungen über etwaige Rückführungen treffen können, wo die Kinder sich tatsächlich befinden. Das gelang hier in diesem Fall aber nicht. Sämtliche Bemühungen von Christina Block, die Gerichte in Dänemark zu einer Rückführung der Kinder zu bewegen, scheiterten.

Auch weigerten sich die dänischen Gerichte, die vom Hamburger OLG ursprünglich im Oktober 2021 zugunsten von Christina Block getroffene Entcheidung zu vollstrecken. „In Dänemark wird – im Unterschied zu vielen anderen EU-Staaten – vor Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung eine eigene Prüfung des Kindeswohls vorgenommen“, sagt Wantzen. „Das ist jeweils auf den Einzelfall bezogen. Dass dadurch die Entziehung oder Vorenthaltung von Kindern begünstigt wird, sehe ich nicht.“

Vater brachte die beiden jüngsten Kinder nach Besuch nicht zurück

Im Fall der Kinder von Christina Block und Stephan Hensel hatte sich das Paar im Jahr 2014 getrennt. Sieben Jahre lang lebten alle vier Kinder bei der Mutter in Hamburg, ehe die älteste, damals 17 Jahre alte Tochter zum Vater nach Dänemark zog. Wenig später brachte der Vater die beiden jüngsten Kinder nach einem Besuch nicht zurück zur Mutter.

Seitdem ringen die Eltern um das Sorge- beziehungsweise Aufenthaltsbestimmungsrecht. Im Oktober 2021 hatte das OLG zugunsten von Christina Block entschieden und ihr vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen. Später sollte in einem Hauptsacheverfahren entschieden werden, bei wem die Kinder künftig leben sollen.

Zum Jahreswechsel eskalierte die Situation erneut

Doch indem der Vater die Kinder nach einem Besuch im August 2021 im dänischen Gråsten behielt, anstatt sie zur Mutter zurückzugeben, wurden offenbar Fakten geschaffen, von denen er mittlerweile rechtlich profitiert. Mehrere Versuche Christina Blocks, den Beschluss des OLG jenseits der deutschen Grenze durchsetzen zu lassen, scheiterten.

Eine neue Dynamik und damit auch Zuspitzung hatte die Auseinandersetzung erfahren, nachdem in der Silvesternacht der Vater gemeinsam mit den beiden jüngsten Kindern in der Nähe seines Zuhauses in Dänemark ein Silvesterfeuerwerk betrachtet hatte. Bei dieser Gelegenheit soll der Vater von schwarz gekleideten und maskierten Männern zu Boden gebracht worden sein. Dann wurden die Kinder nach Darstellung der dänischen Polizei von den Angreifern gewaltsam in Autos gebracht und verschleppt.

Später fand man die Geschwister im Haus der Mutter in Hamburg vor. Das OLG entschied daraufhin in einem Eilverfahren, das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein auf den Vater zu übertragen. Und die Mutter müsse die Kinder an den Vater herausgeben.

Erst die Entscheidung zugunsten der Mutter, dann für den Vater

Eilentscheidungen, wie sie das Oberlandesgericht im Oktober 2021 und zuletzt am 5. Januar 2024 getroffen hat, werden in der Regel in einem Hauptsacheverfahren noch mal in Ruhe überprüft – nachdem beiden Seiten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird. Um eine solche Entscheidung herbeizuführen, hatte der Vater nach der Eskalation im Herbst 2021 ein solches Hauptsacheverfahren eingeleitet, in dem Block und Hensel darüber gestritten haben, wer langfristig die Kinder bekommen soll. Doch dazu hat jetzt das OLG entschieden, dass es keine Entscheidung treffen wird. Begründung: Die deutschen Gerichte hätten mittlerweile schlicht keine internationale Zuständigkeit mehr für langfristige Entscheidungen über das Sorgerecht, hieß es.

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Hiermit habe das OLG eine entsprechende erstinstanzliche Entscheidung des Familiengerichts bestätigt, gegen welche die Mutter Beschwerde eingelegt hatte, erklärt Gerichtssprecher Wantzen. Hintergrund: Mit Beschluss vom 17. Oktober 2023 hatte das Familiengericht die Sorgerechtsanträge beider Elternteile als unzulässig zurückgewiesen, weil die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Verlauf des Verfahrens entfallen war.

Die Gerichte sollen entscheiden, die „näher dran“ sind am Kind

Hier spielt die entscheidende Rolle, dass nach dem internationalen Kindschaftsrecht die Gerichte jenes Landes entscheiden sollen, die an dem Kind „näher dran“ sind – in diesem Fall also die dänischen, weil dort die Kinder seit nunmehr zweieinhalb Jahren leben, also dort ihren Lebensmittelpunkt und sich mutmaßlich ausreichend eingewöhnt haben. Wie dänische Gerichte in Zukunft entscheiden werden, lässt sich unterdessen nicht voraussagen.

Bei jeder Entscheidung, wo Kinder leben sollen und welches Elternteil das Sorge- beziehungsweise Aufenthaltsbestimmungsrecht erhält, ist nach dem Familienrecht bedeutsam, „was für das Kindeswohl in der gegenwärtigen Situation mutmaßlich das Beste ist“, erklärt Wantzen. Im Leben von Kindern, deren Entwicklung üblicherweise innerhalb kurzer Zeit sehr schnell voranschreitet, könne es sich deshalb auch die Prognose schnell ändern, wie dem Kindeswohl am besten Rechnung getragen werden könne.