Hamburg. Extremer Mehraufwand für Hamburger Gerichte und Staatsanwaltschaft. Müssen wegen Cannabis Inhaftierte jetzt schnell entlassen werden?

Bedeutet das neue Gesetz zur Legalisierung von Cannabis einen erheblichen Mehraufwand für die Justiz? In Hamburg müssen wegen der geplanten Straffreiheit für den Besitz von Cannabis bis zu einer Menge von 25 Gramm jedenfalls mehrere Tausend Verfahren überprüft werden. Und dabei ist Eile geboten.

„Die geplante Rückwirkung der Straffreiheit auf laufende Vollstreckungsvorgänge bringt einen ganz beträchtlichen administrativen Aufwand mit sich“, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen dem Abendblatt auf Anfrage. Dabei seien die Staatsanwaltschaft sowie die Gerichte betroffen. Allerdings sei das Ausmaß des Aufwandes noch nicht genau abzuschätzen. „Ein wesentlicher Teil der Vorarbeit“ zum Auffinden von Fällen, in denen zum 1. April Strafen erlassen oder reduziert werden müssen, sei bei der Staatsanwaltschaft schon geleistet worden. Hier hätten rund 3700 Vollstreckungsakten gegen Erwachsene „händisch gesichtet“ werden müssen, sagte der Gerichtssprecher – also habe jede einzelne Akte überprüft werden müssen.

Cannabis-Freigabe: In etwa 750 Verfahren müssen neue Strafen gefunden werden

„Aufgrund dieser Prüfung hat die Staatsanwaltschaft den Strafgerichten mitgeteilt, dass sie die Anzahl betroffener Verfahren gegen Erwachsene auf insgesamt rund 750 schätzt.“ Sprich: In etwa 750 Verfahren müssten voraussichtlich neue Strafen gebildet werden. Dies ist Folge der zum 1. April geplanten Legalisierung von Besitz geringer Mengen Cannabis.

Denn nach dem Gesetzesentwurf wirkt sich die Legalisierung nicht nur für die Zukunft und auf laufende Strafverfahren, sondern auch auf schon rechtskräftig verhängte Strafen aus, wenn die abgeurteilte Tat nach neuem Recht nicht mehr strafbar ist und die Vollstreckung der Strafe noch nicht abgeschlossen.

Hamburger Justiz muss „auf alle Eventualitäten vorbereitet sein“

„Staatsanwaltschaft und Gerichte müssen derzeit das Gesetzgebungsverfahren sehr genau beobachten, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein“, erklärt Wantzen. Die aktuelle politische Diskussion zeige, dass sich die Einzelheiten und auch der Zeitpunkt des Inkrafttretens möglicherweise noch ändern können.

Verlässlich sei deshalb der Bearbeitungsaufwand für laufende Vollstreckungsvorgänge zurzeit noch zu bemessen. „Zugleich bleibt uns nichts anderes übrig, als jetzt und prophylaktisch schon Vorbereitungen zu treffen, weil es bei einem Inkrafttreten zum 1. April für die laufenden Vollstreckungsvorgänge schnell gehen muss.“

Besonders dringend sind Cannabis-Fälle, in denen es Haftstrafen gab

Dringend, so der Gerichtssprecher, seien in erster Linie Fälle, in denen jemand wegen Cannabisbesitzes zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, die gerade vollstreckt wird oder bald vollstreckt werden soll. Wenn die abgeurteilte Tat nach dem neuen Gesetz nicht mehr strafbar wäre, müsse der Verurteilte vor dem 1. April entlassen werden. „Und das setzt voraus, dass der Vollstreckungsvorgang bei der Staatsanwaltschaft rechtzeitig im Voraus identifiziert wird, um die Entlassung vorzubereiten“, erläutert Wantzen.

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„Komplizierter ist es, wenn die Verurteilung auch wegen anderer Delikte erfolgte. In dem Fall muss die Strafe durch das Gericht insgesamt neu festgesetzt werden, was ebenfalls möglichst schnell gesehen muss, damit Klarheit über den neuen Entlassungstermin besteht.“ Entsprechendes gelte für nicht oder noch nicht vollständig vollstreckte Geldstrafen – auch hier müssten die Vollstreckungsvorgänge identifiziert werden, die zum Inkrafttreten des Gesetzes eingestellt oder angehalten werden müssen.

Staatsanwaltschaft, Amtsgericht und Landgericht belastet

Bei den rund 750 zu erwartenden Fällen, in denen voraussichtlich eine neue Strafe gebildet werden müssen, gebe es im Moment noch kein klares Bild, wie sich diese auf die Amtsgerichte und das Landgericht verteilen – und in wie vielen davon besonders eiliger Handlungsbedarf besteht, weil eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Die Gerichtsleitungen und die Staatsanwaltschaft seien hier im engen Austausch, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

Hinzuzurechnen bei der Bearbeitung seien darüber hinaus Vollstreckungsvorgänge gegen Jugendliche und Heranwachsende, bei denen die Vollstreckung nicht bei der Staatsanwaltschaft, sondern bei den Jugendrichtern des Amtsgerichts Hamburg-Harburg liege. Hier lägen noch keine Zahlen vor, weil die Sichtung der Verfahrensakten in diesen Bereichen noch andauere.

Insgesamt könne aber festgestellt werden, so Wantzen, dass die vom neuen Gesetz ausgelösten Folgen erheblich seien. „Die damit verbundene Mehrbelastung wird in den Gerichten vor allem den Geschäftsstellenbereich treffen, in dem die Situation wegen der dünnen Personaldecke ohnehin häufig sehr angespannt ist.“