Hamburg. Jurist spricht über die Auswirkungen von Drogen, wie er zum Image als „harter Hund“ kam und was sein größtes Anliegen für Hamburg ist.

Er ist für seine deutlichen Urteile bekannt, manche sehen in ihm sogar den „harten Hund“: Richter Johann Krieten hat sich nie gescheut, prägnant zu formulieren, dabei vielleicht sogar anzuecken.

Wer als Journalist bei dem Hamburger Juristen für ein Gespräch angefragt hat, bekam über viele Jahre einen Korb. Bis jetzt. Ende des Monats geht der 67-Jährige in Pension – und äußert sich nun zu Themen wie Haschisch-Freigabe, Psychiatrie-Patienten und sein Image als „Knallhart-Richter“.

„Katastrophal“: Hamburger Richter Krieten über Konsum von Cannabis

„Bei Straftaten spielt die Beeinträchtigung durch Cannabis eine größere Rolle als die durch Alkohol“, ist die Erfahrung von Krieten. „Und die Folgen des Cannabis-Konsums sind katastrophal und werden oft verniedlicht und verharmlost“, ist der Jurist überzeugt. „Wie die Legalisierung bisher geplant ist, halte ich für fatal.“

Wenn ein legaler Konsum ermöglicht werden solle, „kann das nur durch eine vollständige und kontrollierte Abgabe durch den Staat gehen, in legitimierten und kontrollierten Geschäften, vergleichbar mit dem Systembolaget in Schweden“, fordert Krieten. Dieses hat als staatliches Unternehmen ein Monopol auf den Einzelhandel von Getränken mit einem Alkoholgehalt von mehr als 3,5 Volumenprozent.

Drogen können zu schweren psychischen Schäden führen

Cannabis-Konsum könne den Menschen auf vielfältige Weise schädigen. Es entstehe beispielsweise eine „große Lethargie. Der Alltag wird nicht mehr geschafft, und Teilnahme am sozialen Leben gibt es in immer geringerem Umfang.“ Und speziell im Jugend- oder Heranwachsenden-Alter könne der Konsum zu schweren psychischen Schäden führen.

Hintergrund sei, dass sich im Gehirn eines Menschen bis zum Alter von etwa zwanzig Jahren vieles neu ordnet. „Durch Cannabis wird eine Art Klebstoff draufgelegt, und die Entwicklung wird verzögert oder bleibt stehen“, warnt Krieten. So werde unter Umständen auch die Entwicklung von Psychosen begünstigt.

Cannabis könne unter Umständen die Entwicklung von Psychosen begünstigen

Welche Auswirkungen das haben kann, damit ist Krieten als Jurist immer wieder konfrontiert. In den vergangenen 19 Jahren war er zuständig für alle Jugendlichen und Heranwachsenden, die durch Entscheidungen eines Gerichts in Hamburg in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden.

Eine solche Unterbringung wird angeordnet, wenn jemand schwere Straftaten begeht, also beispielsweise ein Tötungsdelikt, aber laut Experten-Gutachten die Schuldfähigkeit zur Tatzeit erheblich vermindert oder sogar ausgeschlossen war. Ein anderes Kriterium für die Unterbringung ist, dass durch den Täter eine weitere Gefahr für die Allgemeinheit besteht.

Krieten zu Cannabis: Mögliche Folgen sind Verfolgungswahn

„Eine ganz große Anzahl von dauerhaft in der Psychiatrie untergebrachten Menschen hat Psychosen“, erläutert Krieten, „die zu einem großen Anteil auch durch Cannabis-Konsum verursacht wurden“. Eine Folge davon könnte etwa Verfolgungswahn sein.

Johann Krieten an seinem letzten Verhandlungstag in Hamburg.
Johann Krieten an seinem letzten Verhandlungstag in Hamburg. © Bettina Mittelacher

Einmal pro Jahr haben solche Psychiatrie-Patienten Anspruch darauf, dass überprüft wird, ob sie – gegebenenfalls auf Bewährung – aus der geschlossenen Unterbringung entlassen werden können. „Ich muss überprüfen, ob eine Gefährlichkeit fortbesteht“, erklärt der Amtsrichter. Dafür hole er unter anderem das Gutachten eines psychiatrischen Experten ein und verschaffe sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen.

Richter Krieten: Zahl junger Psychiatrie-Patienten steigt

Die Zahl der jungen Psychiatrie-Patienten steige beständig an. Das sei unter anderem darin begründet, „dass man heute genauer hinschaut, dass ein Großteil einen Migrationshintergrund hat, schon vorher psychisch erkrankt oder traumatisiert war, aber nicht behandelt wurde. Oder dass seit dem Aufenthalt in Deutschland Drogen konsumiert wurden.“

Hierbei handele es sich überwiegend um Cannabis, aber auch um synthetische Drogen oder psychedelische Pilze.

Richter Krieten fordert eigene Psychiatrie für junge Menschen

„Es ist eine Schande“, sagt Krieten mit Nachdruck, „dass es in Hamburg keine eigenständige forensische Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt!“ Dass eine solche Einrichtung in Hamburg etabliert werden müsse, sei sein größtes Anliegen. Zu behaupten, es gebe für eine Jugendpsychiatrie keinen Bedarf, wie er es von Seiten der zuständigen Behörden höre, sei „unredlich“, kritisiert der Richter.

„Meine Zahlen sind andere. Im Augenblick bin ich als Richter für über 50 Menschen in der Psychiatrie zuständig, die alle zur Tatzeit 14 bis 21 Jahre alt waren. Und über die Jahre hat sich die Zahl der Untergebrachten, über die ich zu entscheiden habe, verdreifacht. Es gibt 15-Jährige, die betroffen sind und in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden müssen, weil aufgrund einer Psychose schwere Straftaten begangen wurden.“

Psychiatrie: Die jungen Patienten würden leichter zum Opfer

Der Vorteil einer eigenen Psychiatrie für Jugendliche und Heranwachsende wäre nach Überzeugung Krietens, dass man junge Menschen in ihrer eigenen Lebensphase besser begleiten könne und sie zudem nicht einem etwaigen übergriffigen Verhalten von Erwachsenen ausgesetzt seien. „Wenn eine gewisse Dominanz ist auf der Station, und da kommt jemand Zartes rein, ist der ein leichtes Opfer“, weiß Krieten.

Krieten ist es wichtig, dass auch die Schwachen gehört werden. Das zeigt er unter anderem, wenn er immer mal wieder in „seinen“ Vierteln unterwegs ist – auf St. Pauli und in der Schanze. Als Jugendrichter, der er auch ist, ist der Jurist für diesen Bereich der Stadt zuständig und damit für alle jungen Angeklagten, die dort wohnen. „Es ist mir ein Anliegen, die Unterstützung derjenigen zu gewährleisten, die nicht so laut schreien“, sagt Krieten.

Richter Krieten: Unterstützung für die schwachen der Gesellschaft

Das gelte beispielsweise für Obdachlose, für psychisch Beeinträchtigte und für sozial Benachteiligte. Deshalb schaue er sich an, wo es in der Region Problembereiche gibt und vielleicht geholfen werden könne. „Ich sehe mir die Einrichtungen an, wie beispielsweise den Abenteuerspielplatz oder die Obdachloseneinrichtung, und versuche daran mitzuwirken, dass diese Einrichtungen angemessene finanzielle Unterstützung bekommen.“

Durch die regionale Zuteilung der Zuständigkeiten als Jugendrichter bekomme er aber auch viele negative Seiten unmittelbar mit: dass beispielsweise in einer Familie, in der er früher schon die Eltern als Angeklagte vor sich sitzen hatte, dann auch die Kinder straffällig wurden.

Es fehle jungen Straftätern entscheidend an Vorbildern

„Wenn man den ältesten Sohn dann vor Gericht sieht, ist es nicht selten, dass irgendwann auch die jüngeren Geschwister auf der Anklagebank landen. Manche Entwicklungen kann man vorhersehen.“ Es fehle häufig ganz entscheidend an Vorbildern, die zeigen, wie wichtig es ist, ein gesetzeskonformes Leben zu führen.

Eine große Zahl an Jugendlichen und Heranwachsenden, mit denen er und seine Kollegen es am Strafgericht zu tun haben, habe einen Migrationshintergrund, sagt Krieten. „Wir haben mit ganz vielen Entwurzelten zu tun“, also jungen Leuten, die teilweise in ihren Herkunftsländern jahrelang auf der Straße hätten leben müssen.

Krieten: „Ich erlebe ganz viele Selbstsüchtige“

Diese Menschen müssten erstmal sozialisiert werden. Öfter erlebe er bei jungen Angeklagten eine „Erwartungshaltung. Es wird gesehen, wie viel Wohlstand hier im Land vorhanden ist, aber nicht erkannt, wie viel man leisten muss, um den Wohlstand zu erlangen und aufrecht zu erhalten“.

Es fehle in vielen Fällen die „gesellschaftliche Prägung“, also beispielsweise Rücksichtnahme. „Ich erlebe ganz viele Selbstsüchtige. Sie wollen das Beste – und zwar sofort. Einen Bedürfnisaufschub gibt es nicht.“

Krieten plädiert für die Unterbringungen von Geflüchteten in kleineren Wohneinheiten. „Die Idee ist, dass wir die, die die gleiche Sprache sprechen und auf dem gleichen Stand sind, zusammenbringen. Ihnen sollten Kontakte vermittelt werden, die gezielt Sprachunterricht erteilen und auch die Werte vermitteln, die hier zu akzeptieren sind.“

Richter Krieten: „Eine Strafe soll abschrecken“

Dass er in Teilen der Gesellschaft den Ruf habe, ein „Knallhart-Richter“ und ein „harter Hund“ zu sein, der eher hohe, wenn nicht sogar zu hohe Strafen verhänge, sieht Krieten gelassen. „Es sind einzelne Urteile gewesen, die mir diesen Ruf eingebracht haben“, sagt der Jurist.

Amtsrichter Johann Krieten mit der Staatsanwältin Katrin Kossow bei einem Ortstermin auf Neuwerk. In dem Prozess ging es um einen Wattwagenunfall, dessen Hintergründe und Ursachen der Richter genau klären wollte.
Amtsrichter Johann Krieten mit der Staatsanwältin Katrin Kossow bei einem Ortstermin auf Neuwerk. In dem Prozess ging es um einen Wattwagenunfall, dessen Hintergründe und Ursachen der Richter genau klären wollte. © Bettina Mittelacher

„Ich finde allerdings, dass eine Sanktion spürbar sein muss. Wir haben als Richter die Verpflichtung, individuell den Angeklagten zu betrachten – aber auch die Aufgabe, die Wirkung, die ein Urteil für die Gesellschaft hat, zu berücksichtigen. Eine Strafe soll abschrecken. Dieser Gedanke der Generalprävention steht auch im Gesetz“, sagt Krieten.

Deutliches Urteil beim G20-Gipfel für Flaschenwerfer

Große Beachtung bekam der Amtsrichter beispielsweise bei einem Urteil gegen einen jungen Mann, der beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg Flaschen auf Polizisten geworfen hatte. Krieten verhängte gegen den 21-Jährigen 31 Monate Haft.

Das deutliche Strafmaß erklärt Krieten damit, dass „zum Gipfel nach Hamburg Leute gekommen sind, die wollten Krawall machen. Das war Erlebnistourismus, bei dem man sich den Staat und Polizeibeamte als Opfer ausgesucht hatte, gleichsam wie eine Freizeitaktivität“, erinnert sich der Jurist. „Das habe ich in der Urteilsbegründung entsprechend formuliert und gesagt, dass Polizisten ‚kein Freiwild für die Spaßgesellschaft‘ seien.“

Der Vermutung mancher Beobachter, dass er sich mit harten Urteilen und markigen Urteilsbegründungen eine Plattform für eine spätere politische Karriere schaffen wolle, erteilt Krieten eine klare Absage. „Ich hatte nie politische Ambitionen. Wenn ich pointiert formuliert habe, dann diente es der Sache und sollte verkürzt deutlich machen, worum es mir mit dem Urteil geht.“

„187-Strassenbande“-Rapper bekam eine Haftstrafe

So wie eben bei dem G20-Randalierer. Oder auch bei Gzuz, dem Frontman der Rap-Gruppe 187 Strassenbande. Gzuz, dem unter anderem Verstoß gegen das Waffengesetz und Körperverletzung vorgeworfen wurde, verurteilte Krieten im September 2020 zu anderthalb Jahren Freiheitsstrafe – ohne Bewährung.

Außerdem verhängte er eine Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu 1700 Euro. „Wer, wenn nicht Sie, gehört in den Knast“, sagte Krieten an die Adresse des Angeklagten, gegen den zuvor schon mehrfach von anderen Gerichten Bewährungsstrafen ausgesprochen worden waren, ohne dass der Rapper daraus die Lehre gezogen hätte, nun keine Straftaten mehr zu begehen. „Sie sind ein Sozialrüpel“, hatte Krieten den Rapper belehrt.

Krieten zu Gzuz: „Wer, wenn nicht Sie, gehört in den Knast“

Dieser Prozess gegen Gzuz war einer derjenigen, in denen Krieten wieder mal unter Beweis stellte, dass er klare Kante zeigt. Und dass er überhaupt nicht schätzt, wenn er das Gefühl hat, man wolle ihm auf der Nase herumtanzen. Immer wieder hat der begeisterte Rennradfahrer gezeigt, dass er den längeren Atem hat, wenn es nach seiner Überzeugung der Wahrheitsfindung dient.

Johann Krieten (l.), Richter am Amtsgericht, und der Rapper Gzuz, im Jahr 2020 vor Prozessbeginn im provisorischen Gerichtssaal im Strafjustizgebäude.
Johann Krieten (l.), Richter am Amtsgericht, und der Rapper Gzuz, im Jahr 2020 vor Prozessbeginn im provisorischen Gerichtssaal im Strafjustizgebäude. © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Christian Charisius

Ein anderes Verfahren von Krieten, das viel Beachtung gefunden hat, war das gegen einen Immobilientycoon, der angeklagt war, einen Autofahrer beleidigt zu haben. Der damals 68-jährige Angeklagte, bekanntermaßen vermögend, hatte sich als insolvent bezeichnet. Doch von so einer Behauptung ließ Krieten sich nicht täuschen. Der Jurist ackerte sich durch Massen an Kontounterlagen und lud Banker und Insolvenzverwalter als Zeugen.

„Das war wohl die teuerste Beleidigung Hamburgs“

Das Ergebnis: Der Angeklagte, früher Besitzer zahlreicher Mietshäuser, war immer noch wohlhabend. Entsprechend verhängte der Vorsitzende eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 2000 Euro. „Das ist wohl die teuerste Beleidigung Hamburgs“, fasste Krieten in seinem Urteil zusammen.

Dass er sich so viel Mühe beispielsweise bei der akribischen Lektüre von Akten oder bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten gibt, die letztlich mit entscheidend für die Höhe einer Geldstrafe sind, begründet Krieten so: „Das ist der Anspruch an die hohe Qualität meiner Arbeit. Ich bin ein Überzeugungstäter, was gute juristische Leistung angeht. Ich kann mich nicht mit Halbheiten begnügen.“

Das war von Beginn an Krietens Maxime in seiner Richterkarriere: Erst in einer Mietekammer beim Landgericht, später war der Jurist acht Jahre lang am Landgericht tätig, wo er in einigen Mordverfahren den Vorsitz führte. So auch im Prozess gegen einen Mann, der seine Frau durch einen Auftragskiller ermorden ließ – und dann einen weiteren Lohnkiller engagierte, um den ersten Mörder umbringen zu lassen. Der Auftraggeber bekam lebenslange Haft und die besondere Schwere der Schuld.

Lebenslange Freiheitsstrafe für Auftraggeber eines Mordes

Als „prägendstes Verfahren“ seiner Karriere bezeichnet der Jurist einen Prozess am Schwurgericht gegen einen Mann, der seine beiden vier und sechs Jahre alten Kinder in der Badewanne ertränkte, nachdem sich seine Frau von ihm getrennt hatte. „Dieses Verfahren hat mich sehr mitgenommen“, erzählt der 67-Jährige. „All das Leid, das über die Opfer und die Angehörigen gekommen ist!“

Insgesamt aber, sagt Krieten, habe er seine Zeit als Richter als erfüllend empfunden. „Ich habe mich immer sehr wohlgefühlt und fühle mich hier auch immer noch wohl.“