Hamburg. Emotionale Debatte über neues Staatsangehörigkeitsrecht offenbart tiefen Graben zwischen den Rechtspopulisten und anderen Fraktionen.

„Die Ampel verramscht die Staatsangehörigkeit – Turbo-Einbürgerung erhöht massiv die Gefahr von Parallelgesellschaften in Hamburg“: Schon die Anmeldung zur Aktuellen Stunde der Bürgerschaft hatte die AfD-Fraktion bewusst provokativ formuliert, und das Kalkül ging auf: Der Graben zwischen der rechtspopulistischen Partei und den Fraktionen von SPD, Grünen, CDU, Linken und der FDP-Gruppe ist so tief wie nie. Die Abgrenzung vom Rechtsextremismus, wie sie in den Demonstrationen Hunderttausender in den vergangenen zwei Wochen zum Ausdruck gekommen ist, prägte auch die Debatte der Bürgerschaft.

Für den AfD-Fraktionsvorsitzenden Dirk Nockemann waren die Kundgebungen wie die auf dem Jungfernstieg oder der Willy-Brandt-Straße „von den Regierungen inszenierte Demozüge, die an schlimme Zeiten erinnern“. Doch Nockemann war schnell beim Thema Staatsangehörigkeit.

„Sie entwerten dieses Gut, indem Sie deren Erteilung an immer niedrigere Voraussetzungen knüpfen“, sagte der AfD-Fraktionschef mit Blick auf das neue Staatsangehörigkeitsrecht der Berliner Ampel-Koalition und malte das Szenario einer ungezügelten Einwanderung an die Wand. „Schon jetzt gleichen mehrere Stadtteile Hamburgs arabischen Enklaven. Ich nenne nur die Billstraße“, rief Nockemann.

Zehn Millionen Menschen leben in Deutschland ohne deutschen Pass

Doch die eigentliche Stoßrichtung seiner Rede war eine andere. „Weil ihnen die Wähler weglaufen, will sich Rot-Grün neue Wählerschichten erschließen“, behauptete Nockemann. Das Ziel sei es, sich über den Weg des neuen Einbürgerungsrechts „ein neues Volk zu suchen“. Nockemann kritisierte die Ermöglichung der doppelten Staatsbürgerschaft, weil „das Bekenntnis zum deutschen Staat damit nur halbherzig“ sei. „Rot-Grün will die kulturelle Homogenität Deutschlands opfern. Das lassen sich die Deutschen nicht länger gefallen“, sagte der AfD-Fraktionschef und erntete den scharfen Protest der Mehrheit der Bürgerschaft.

„Deutschland ist ein Einwanderungsland“, lautete der erste Satz der Entgegnung des SPD-Abgeordneten Kazim Abaci auf Nockemann. „Zehn Millionen Menschen leben hier ohne deutsche Staatsangehörigkeit, viele seit Jahrzehnten. Sie haben kein Wahlrecht. Ist das fair? Nein, und das ist auch nicht gut für unsere Demokratie“, sagte Abaci, der versuchte, die Debatte zu versachlichen.

Deutschland liege mit der Herabsetzung der Fristen bis zu einer möglichen Einbürgerung von acht auf fünf oder drei Jahre im europäischen Mittelfeld. „Wir verlangen von den Menschen bislang, sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Das fällt vielen sehr schwer. Es ist höchste Zeit für Mehrfachstaatsangehörigkeiten“, sagte Abaci.

Voraussetzungen für Erwerb der Staatsangehörigkeit sollen nicht erleichtert werden

„Es geht auch darum, die Lebensleistung der Gastarbeitergeneration anzuerkennen“, sagte der SPD-Abgeordnete. Es werde keine unkontrollierte Zuwanderung geben. „Die Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit werden nicht erleichtert, in manchen Punkten sogar verschärft. Unsere Werte sind ein nicht verhandelbar. Punkt“, so Abaci.

„Die AfD versucht, mit der Debatte zu spalten“, sagte die Grünen-Abgeordnete Feliz Demirel. In Deutschland lebten rund eine Million Menschen ohne deutschen Pass, obwohl sie hier geboren seien. „Dieses Defizit musste endlich behoben werden. Endlich zeigen wir den Menschen Respekt“, so die Grüne. Andererseits gehöre zu einer Willkommenskultur, die auch aufgrund der dringend benötigten Fachkräfte erforderlich sei, ein modernes Einwanderungsrecht.

CDU kritisierte das neue Staatsangehörigkeitsrecht als „integrationshemmend“

Der CDU-Abgeordnete Dennis Gladiator versuchte eine Gratwanderung. „Das neue Staatsangehörigkeitsrecht ist nicht modern, sondern integrationshemmend“, sagte Gladiator und fügte hinzu, es könne auch „einen Beitrag zu einer Spaltung der Gesellschaft“ liefern. „Die Einbürgerung sollte am Ende einer erfolgreichen Integration stehen. Die Staatsbürgerschaft sollte nicht leichtfertig vergeben werden“, sagte der CDU-Innenpolitiker. Scharf attackierte Gladiator aber auch die AfD, die die Diskussion über die Staatsangehörigkeit nur führe, „um Ängste zu schüren“.

Deutlicher wurde SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf: „Hass und Hetze haben hier nichts zu suchen.“ Wie rechtsextrem die AfD auch in Hamburg sei, zeige deren Reaktion auf das Treffen von Rechtsextremisten nahe Potsdam, in dem es unter anderem um die „Remigration“ von Zugewanderten gegangen sei. „Es war die Zivilgesellschaft, die aus Sorge um die Demokratie zu den großen Demonstrationen aufgerufen hat, nicht die Parteien“, sagte Kienscherf im zweiten Teil der Aktuellen Stunde, in dem es um die großen Kundgebungen gegen Rechtsextremismus unter dem Motto „Hamburg steht auf“ ging.

Jasberg (Grüne): „Der rechte Rand teilt die Gesellschaft in Menschen erster und zweiter Klasse ein“

„Die Pläne zur millionenfachen Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund sind entsetzlich und menschenfeindlich. Es ist ein unsäglicher Versuch der Spaltung unserer Gesellschaft. Der rechte Rand teilt die Gesellschaft in Menschen erster und zweiter Klasse ein“, sagte die Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg. „Die AfD hat Angst vor der Mobilisierung, die jetzt auf der Straße stattfindet. Sie haben mit ihren Themen nicht so viele Menschen mobilisieren können“, sagte Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir in Richtung der AfD-Fraktion.

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Auch CDU-Fraktionschef Dennis Thering grenzte sich scharf von der AfD ab. „Mehrere Hunderttausend Menschen sind in Deutschland gegen Hass und Hetze auf die Straße gegangen. Das war ein kraftvolles Zeichen. Wir sind in der Mehrheit, und wir lassen uns die Demokratie nicht schlechtreden“, sagte Thering. „Mich ärgert aber die pauschale Verurteilung von rechts, wie sie die Grünen in ihrer Anmeldung vorgenommen haben“, sagte der CDU-Fraktionschef. Die SPD habe sich korrekterweise nur auf Rechtsextremismus bezogen.

Innensenator Andy Grote (SPD) warf der AfD „Demokratieverachtung“ vor

Kaum ein AfD-Abgeordneter polarisiert in der Bürgerschaft so sehr wie Krzysztof Walczak. „Kein anständiger Demokrat sollte an einer der Demos teilnehmen, zu denen die Regierungen jetzt aufrufen“, sagte Walczak und erntete einen Sturm des Protests. Der Bericht über das Treffen nahe Potsdam enthalte „falsche Anschuldigungen und Lügen“, die mittlerweile von Teilnehmern widerlegt seien. „Die sogenannten demokratischen Parteien beteiligen sich an Hetzpropaganda“, sagte der AfD-Abgeordnete.

„Ich bin mir nicht sicher, ob das Bekenntnis zu den demokratischen Grundsätzen, das wir von neuen Staatsbürgern verlangen, von allen AfD-Mitgliedern akzeptiert wird“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD). „Im Kern geht es der AfD um eine ethnisch-biologische Volksgemeinschaft. Zuwanderung wird nur akzeptiert, wenn sie die Homogenität der Mehrheit nicht stört“, sagte Grote. Nockemann hatte in seiner Rede im nebenbei gesagt, die FDP werde bald von der politischen Bühne verschwinden. „Das zeigt die Demokratieverachtung dieser Partei. „Was passiert wohl mit solchen Bemerkungen, wenn die AfD noch mehr Macht bekommt“, sagte Grote unter starkem Beifall.

Weil Grote von der AfD-Vorstellung einer „ethnisch biologischen Volksgemeinschaft“ gesprochen hatte, sah sich Nockemann zu einer persönlichen Erklärung veranlasst. „Das ist eine böswillige Unterstellung. Mein Deutschen-Begriff orientiert sich am Grundgesetz und schließt Menschen mit Migration ein“, sagte Nockemann und warf Grote vor, seine Neutralität als Senator verletzt zu haben. Der SPD-Politiker quittierte die Kritik mit einem Lächeln.