Hamburg. „Hamburgs Oscar für Mitmenschlichkeit“: Bertini-Preis für sechs Projekte engagierter Jugendlicher. Für einige wurde es sehr emotional.
Hohe Umfragewerte für die AfD, wachsender Antisemitismus, eine zunehmend polarisierte Gesellschaft – und dann sind da diese 131 jungen Hamburgerinnen und Hamburger, stellvertretend für viele weitere, auf der Bühne des Ernst Deutsch Theaters. Sie machen Mut, geben Hoffnung.
Für ihren Einsatz gegen das Vergessen, gegen Ausgrenzung und Intoleranz, für Zivilcourage und das Eintreten für andere wurden sie am Sonnabend (27. Januar) bei einer Festveranstaltung im Theater an der Mundsburg mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet, der auf den Hamburger Schriftsteller Ralph Giordano und seinen Schlüsselroman „Die Bertinis“ zurückgeht. Oder kurz „Hamburgs Oscar für Mitmenschlichkeit“, wie Moderatorin Julia-Niharika Sen sagte.
Sechs Projekte hat die Jury in diesem Jahr gekürt. Beworben hatten sich 30 Gruppen – so viele wie nie zuvor. „Ihre Kraft ist unsere Hoffnung“, sagte Lehrer Hedi Bouden vom Helmut-Schmidt-Gymnasium, der mit Schülergruppen bereits viele engagierte Projekte auf den Weg gebracht hat.
Zivilcourage: Zwei Schülerinnen organisieren im Alleingang Demo
In dem internationalen Kunstprojekt „architecture of hope“ entwickelten die Helmut-Schmidt-Gymnasiasten jetzt gemeinsam mit jüdisch-israelischen Schülern aus verschiedenen Kibbuzim unweit des Gazastreifens und arabisch-israelischen Schülern aus Rahat einen Ort der Begegnung, an dem sie sich mit den jeweils anderen Perspektiven und Narrativen beschäftigten. Als die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfiel, saßen sie bereits auf gepackten Koffern, um die israelischen Jugendlichen zu treffen. Sie blieben in engem Kontakt, bauen weiter an der Brücke der Verständigung und sagen: Jetzt erst recht.
Emma Kiesel und Klara Busche, zwei Schülerinnen des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums, pflanzten nicht nur „Narzissen gegen Nazis“, sondenr organisierten auch kurzfristig eine Demonstration durch Poppenbüttel, nachdem ihre Schule 2022 mit 106 Hakenkreuzen beschmiert worden war. Die Landesfeuerwehr Hamburg organisiert unter anderem Wochenendseminare „Geschichte anders erleben“ in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. In Booten nähern sie sich dem ehemaligen KZ-Gelände auf einem Stichkanal, den damals die Häftlinge ausheben mussten.
Junge Muslima erforschen Schicksal ermorderter Juden
Beeindruckend auch die jungen Muslima der Stadtteilschule Mümmelmannsberg, die im Projekt „Ich wandere durch Theresienstadt“ den Schicksalen von verschleppten und ermordeten Jüdinnen und Juden nachspürten, die in diesem KZ zu Tode kamen. „Diese Geschichten haben uns sehr berührt“, erzählten sie auf der Bühne. „Wir nehmen daraus den Auftrag mit, uns auch jetzt stark und deutlich zu positionieren, um unsere Demokratie zu schützen.“
Die Musik-Theater-Performance „emPOWER“ der Otto-Hahn-Schule verschafft denjenigen Stimmen Gehör, die selbst verschiedenste Formen von Diskriminierung erfahren. Schülerinnen und Schüler der Heinrich-Hertz-Schule haben einen „Diversity-Rat“ geschaffen, der daran arbeitet, ein inklusives Umfeld in der Schule und darüber hinaus zu schaffen.
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Der deutsch-jüdische Schriftsteller Ralph Giordano (1923–2014), dessen Roman über seine zunehmende Ausgrenzung und Verfolgung in seiner Jugend im nationalsozialistischen Hamburg dem Preis seinen Namen gab, überlebte die NS-Zeit nur knapp. Die Großeltern von Ruben Herzberg, in Israel geborener früherer Leiter der Klosterschule und ehemaliger Leiter der Jüdischen Gemeinde, hingegen wurden von den Nazis ermordet.
Hamburger Jugendliche mit Zivilcourage: „Wir brauchen euch“
Er zitierte in seiner Rede den im März 2023 in die Hamburger Verfassung aufgenommenen Zusatz zur Präambel, wonach „die Freie und Hansestadt Hamburg die Würde und Freiheit aller Menschen“ schütze und „sich gegen Rassismus und Antisemitismus sowie jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ einsetze. „Diesen Geist tragen eure Arbeiten“, rief er den Jugendlichen im Theater zu. „Und diesen Geist zu verbreiten, ist unser aller Aufgabe.“ Herzberg forderte, es müssten schulspezifische Konzepte entwickelt werden, um diese Leitgedanken „vor Ort, Tag für Tag, in allen Schulen“ zu verankern.
Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) rief die Bertini-Preisträger dazu auf, dranzubleiben und sich weiter zu engagieren. Denn: „Unser Land und unsere Demokratie braucht Menschen, die sie verteidigen“, sagte sie. „Wir brauchen euch.“