Hamburg. Von wegen „Klimakinder“: 59-jähriger Hamburger engagiert sich bei Letzter Generation. Er will die Klimapolitik vor Gericht bringen.

Der Mann hat ein Anliegen. Dafür bezieht er Position, dafür zeigt er sein Gesicht. Christian S. will öffentlich eintreten für seine Überzeugung. Und für die Zukunft der Erde und die seiner Kinder. Um die, sagt der 59-Jährige, macht er sich Sorgen. Weil die Klimakrise sich immer weiter entfalte, meint der Hamburger. Weil es mittlerweile eine „Notstandsituation“ gebe. Und weil die Bundesregierung zu wenig unternehme, um ein Fortschreiten der Katastrophe abzuwenden. „Es wird alles noch viel schlimmer“, meint Christian S. auf dem Flur vor dem Gerichtssaal. Das Tempo, in dem die Politik sich bewege, „geht vom Kriechgang in den Rückwärtsgang“.

Christian S. hat sich vorgenommen, „die Alarmsirene“ zu spielen. Schon zum zweiten Mal steht der Mann, der sich bei den Klimaaktivisten der Letzten Generation engagiert, vor Gericht. Für eine Aktion, bei der sich mehrere Anhänger der Umweltbewegung „Letzte Generation“ auf einer der Hauptverkehrsadern in Hamburg versammelt, teilweise festgeklebt und so den Verkehr blockiert haben, wurde der Ingenieur bereits vor dem Amtsgericht verurteilt. „Wir werden weitermachen“, hat er nach dem Prozess gesagt. Und genau das tut er jetzt. Gegen das Urteil ist er in Berufung gegangen, über die jetzt vor dem Landgericht verhandelt wird.

Letzte Generation: Angeklagter kämpft in Hamburg für einen Freispruch

Und hier kämpft der Hamburger nun um einen Freispruch. Aber vor allem kämpft er weiter um die Sache und darum, dass man sein Anliegen versteht. Der Richter am Amtsgericht habe bei seinem Urteil, mit dem gegen Christian S. eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 10 Euro wegen versuchter Nötigung verhängt wurde, „in keiner Weise berücksichtigt, warum ich das gemacht habe“, meint Christian S..

„Das“ ist laut Anklage eine Aktion, bei der sich der Hamburger am 4. Februar 2022 gemeinsam mit acht weiteren Personen auf der Kreuzung Billhorner Brückenstraße/Billhorner Röhrendamm so auf die Fahrbahn gesetzt hat, dass Fahrzeuge nicht mehr passieren konnten. Durch die Blockade des morgendlichen Berufsverkehrs habe der 59-Jährige versucht, größtmögliche Aufmerksamkeit für die Aktion der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ zu erregen. Außerdem hätten sie Banner gezeigt.

Aktivisten klebten teilweise auf der Straße fest – Verkehr staute sich

Den Ermittlungen zufolge hatten sich mehrere Mitstreiter von Christian S. auf der Straße festgeklebt. Auf allen Fahrspuren Richtung Innenstadt staute sich der Verkehr damals. Die Aktion habe insgesamt 20 Minuten gedauert und wurde dann von der Polizei beendet.

Ob man nicht einen Klimaforscher als Sachverständigen im Prozess zu Wort kommen lassen könne, regt Christian S. jetzt gegenüber dem Landgericht an. So habe man das kürzlich in einer vergleichbaren Verhandlung in Berlin gemacht zu der Frage, „ob die Bundesregierung genug tut, um die Klimakrise abzuwenden“.

„Wir sägen mit Volldampf an dem Ast, auf dem wir sitzen“

Die persönliche Überzeugung des Angeklagten: nein, tut sie nicht. Er sei noch genau so besorgt wie vor knapp einem Jahr, als er erstmals vor Gericht stand, erzählt Christian S. nach der Verhandlung. Und ja: Er engagiere sich weiter, „weil wir nach wie vor Probleme haben“.

Welche das seiner Ansicht nach sind, hat Christian S. im Prozess vor dem Amtsgericht ausführlich dargelegt. „Es gibt Gesetze, die dafür sorgen, dass wir mit Volldampf an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen“, hat der Angeklagte dort erklärt. Die Folgen der Klimaerwärmung seien mittlerweile für jedermann sichtbar. „Wir haben ein Riesenproblem, reagieren aber, als wäre es Pillepalle“. Die Proteste müssten deutlicher und spürbarer werden, auch um den Preis, dass er vor Gericht lande.

Der Angeklagte spricht von „Verzweiflungstaten“ und „Klimanotstand“

Christian S. hat seinerzeit von „Verzweiflungstaten“ gesprochen, von einem „Klimanotstand“ und von der Angst um das Lebensumfeld seiner Kinder. Und er hat gesagt, dass Fridays-for-Future-Demonstrationen nicht mehr ausreichten, um wirklich wahrgenommen zu werden. Man müsse regelrechte Störaktionen unternehmen: „Es gibt keine andere Möglichkeit mehr.“ In unserer Gesellschaft sei nun mal das, „womit man die meiste Aufmerksamkeit bekommt, eine Straße zu blockieren“.

Und jetzt, im Prozess, schildern Polizisten als Zeugen, dass es damals, bei der Blockade an der Billhorner Brückenstraße, wirklich große Aufmerksamkeit gegeben habe. Aufmerksamkeit, aber offenbar wenig Sympathie für die Aktion. Die Personen in den blockierten Autos seien „teilweise aggressiv“ geworden, erzählt ein Beamter, der seinerzeit bei dem Einsatz als einer der Ersten vor Ort war und mithalf, die Demonstranten von der Straße zu tragen. Bei einigen der Protestler sei es allerdings nicht möglich gewesen, diese schnell von der Fahrbahn zu entfernen, weil sie sich mit Sekundenkleber an der Straße festgeklebt hätten und diese Verbindung erst habe gelöst werden müssen. Das funktioniere durch einen „chemischen Prozess“, erzählt der Polizist, ohne auf die Details weiter eingehen zu wollen. Nur so viel: „Die Personen werden nacheinander gelöst.“

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Christian S. ist allerdings einer von jenen Demonstranten der „Letzten Generation“ gewesen, die sich nicht festgeklebt, sondern lediglich auf die Fahrbahn gesetzt haben. So erzählt es der Polizeizeuge, und das betont auch der Angeklagte selber. Es sei ihm und seinen Mitstreitern auch wichtig gewesen, eine Rettungsgasse zu belassen. Aber er habe so lange auf der Fahrbahn gesessen, „bis ich von der Straße weggetragen wurde“. Die Billhorner Brückenstraße habe sich seiner Meinung nach sehr gut für die Aktion geeignet, weil dort „besonders viel Verkehr ist“. Sprich: Auch in kurzer Zeit staut sich der Verkehr schon beträchtlich. Und die Aktion wird wahrgenommen.

Letzte Generation vor Gericht: Verteidigung sieht eine Nötigung nicht erreicht

Allerdings habe die Verkehrsstörung insgesamt nicht so lange gedauert, dass das „die Schwelle einer Nötigung erreichen würde“, argumentiert der Verteidiger des Angeklagten. Die Autos hätten bald die Spur gewechselt und weiterfahren können. Schon deshalb sei eine Verurteilung seines Mandanten nicht gerechtfertigt gewesen.

So sieht das auch der Angeklagte Christian S. Außerdem hofft der 59-Jährige darauf, dass bei einem Fortsetzungstermin des Prozesses in zweieinhalb Wochen ein Klimaforscher als Sachverständiger gehört wird. Und der Angeklagte hat sich eingehend darauf vorbereitet, gegebenenfalls selber die Argumente vorzutragen, warum man nicht mehr tatenlos zusehen könne, wie der Klimawandel fortschreite. „Wir haben ein Recht auf eine intakte Zukunft“, meint er nach dem Prozess. Und die Bundesregierung habe ihre „Verpflichtung“, dafür einzutreten, „nicht erfüllt“.