Hamburg. Fünf Angeklagte müssen sich vorm Landgericht Hamburg verantworten. Was ihnen vorgeworfen wird – und wie sie selbst argumentieren.

Es soll der „Tag des zivilen Ungehorsams“ werden. Doch nach nicht einmal einer Stunde ist an diesem Morgen, an dem der G-20-Gipfel in Hamburg beginnt, ein Protestzug am Rondenbarg gestoppt. Für die Demonstranten gibt es kein Vorankommen mehr, Wasserwerfer sind im Einsatz. Der Grund: Unter den Protestlern sind offenbar Gewalttäter, die Polizisten attackiert haben.

Jetzt, gut sechseinhalb Jahre nach den Ereignissen vom 7. Juli 2017, hat am Donnerstag vor dem Landgericht Hamburg ein Prozess gegen fünf Angeklagte begonnen. Den drei Frauen und zwei Männern wird gemeinschaftlicher schwerer Landfriedensbruch und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte vorgeworfen.

G-20-Prozess in Hamburg: Angeklagte sollen sich an gewalttätigem Aufmarsch beteiligt haben

Weitere Anklagepunkte lauten auf versuchte gefährliche Körperverletzung, Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung. Im Einzelnen wirft die Staatsanwaltschaft den Frauen und Männern vor, sie hätten sich an einem Aufmarsch von 150 bis 200 einheitlich schwarz gekleideten und vermummten Gipfelgegnerinnen und -gegnern beteiligt, der am Altonaer Volkspark begonnen hatte. Das Ziel der Demonstranten sei es gewesen, während des Gipfels eingesetzte Polizeikräfte zu provozieren und zu binden.

Vor dem Strafjustizgebäude gab es vor Prozessbeginn eine Kundgebung der Initiative „Grundrechte Verteidigen!“.
Vor dem Strafjustizgebäude gab es vor Prozessbeginn eine Kundgebung der Initiative „Grundrechte Verteidigen!“. © dpa | Georg Wendt

Die Gruppe der Demonstranten war laut Anklage mit zahlreichen Steinen, pyrotechnischen Gegenständen und gefährlichen Werkzeugen ausgestattet. Und aus dieser Menge heraus wurden den Ermittlungen zufolge Polizistinnen und Polizisten aus Schleswig-Holstein mit Steinen beworfen. Als weitere Beamte den Aufmarsch auf der Straße Rondenbarg in Bahrenfeld stoppten, sollen sie massiv mit mindestens 14 Steinen und vier Feuerwerkskörpern angegriffen worden sein.

Die Angeklagten sollen Mittäter der einzelnen Gewalthandlungen gewesen sein, die aus dem Aufzug heraus begangen wurden. Jeder von ihnen habe von der mitgeführten Bewaffnung mit Steinen und Pyrotechnik gewusst und einen eigenen Tatbeitrag durch das Mitmarschieren geleistet, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft.

G-20-Proteste: Vorangegangenes Verfahren ist immer noch nicht beendet

Von den Polizistinnen und Polizisten in Schutzkleidung wurde bei der Aktion am Rondenbarg niemand verletzt. Dagegen erlitten nach früheren Angaben der Polizei mindestens 14 Beteiligte der G-20-Proteste teilweise schwere Verletzungen, als sie versuchten, über ein Geländer zu fliehen. An zwei zivilen Fahrzeugen, die in der Nähe geparkt waren, kam es darüber hinaus zu Sachbeschädigungen.

Es ist der erste Prozess im Zusammenhang mit den gewaltsamen G-20-Protesten am Rondenbarg gegen erwachsene Angeklagte. Ein vorangegangenes Verfahren gegen einen Jugendlichen beim Amtsgericht Altona wurde mittlerweile eingestellt. Und ein weiterer Prozess gegen jugendliche Angeklagte vor dem Landgericht wurde im Zusammenhang mit Corona ausgesetzt und hat noch nicht wieder neu begonnen.

G-20-Prozess: Vor dem Gerichtsgebäude kommt es zu einer Kundgebung

Nun also die Hauptverhandlung gegen die Frauen und Männer im Alter zwischen 28 und 51 Jahren. Das Interesse an dem Verfahren ist groß. Vor dem Strafjustizgebäude haben sich unter anderem Teilnehmer einer Kundgebung der Initiative „Grundrechte Verteidigen!“ versammelt und halten Transparente in die Höhe. „G20: Wer sind hier die Verbrecher*innen?“, hießt es beispielsweise und: „Ziviler Ungehorsam ist kein Terrorismus.“ Auch der Verhandlungssaal ist mit Prozessbeobachtern gut gefüllt.

Zum Auftakt des auf vorerst 25 Hauptverhandlungstage terminierten Prozesses wendet sich die Vorsitzende Richterin der Strafkammer an die Angeklagten, für die es wohl eine „erhebliche Belastung“ sein müsse, „dass man über Jahre nicht weiß“, was aus dem Strafverfahren wird. Die Vorsitzende lässt durchblicken, dass wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung, mit der der Prozess jetzt begonnen hat, den Angeklagten wohl keine hohen Strafen drohen.

Richterin lässt durchblicken: Es drohen wohl keine hohen Strafen

Selbst wenn sie jetzt noch verurteilt werden würden, gelte ein großer Teil der Strafe wegen der Verzögerungen schon als verbüßt. Die Richterin sagt: „Am Ende bleibt womöglich gar nichts übrig.“ Es gehe also im Wesentlichen noch um die Frage, ob die angeklagten Frauen und Männer schuldig sind oder nicht.

Dass es erst jetzt zum Prozess gekommen ist, liege unter anderem daran, dass die Kammer mit anderen Verfahren, in erster Linie Haftsachen, ausgelastet sei, erklärt die Richterin. Darüber hinaus sei der Aktenumfang „nicht ganz unerheblich“. Und schließlich sei es in der Hochzeit von Corona den Angeklagten, die aus allen Ecken der Bundesrepublik stammen, nicht zuzumuten gewesen, jeweils zu den Prozesstagen anzureisen.

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Eine der Angeklagten ist auch jetzt nicht zur Hauptverhandlung erschienen. Weil eine ganze Weile vergeblich auf sie gewartet wurde, aber auch wegen der hohen Sicherheitsvorkehrungen mit strengen Kontrollen für die Zuschauer begann die Hauptverhandlung mit rund anderthalb Stunden Verspätung. Das Verfahren gegen die fehlende 32-Jährige wurde abgetrennt.

Angeklagte meinen, sie würden wegen einer Demonstration kriminalisiert

Im Namen der insgesamt fünf verbliebenen Angeklagten verlesen ein 28-jähriger Wirtschaftsstudent und eine 34 Jahre alte Erzieherin aus Berlin eine gemeinsame Erklärung. Darin heißt es, dass keinem von ihnen eine individuelle Tat vorgeworfen werde. „Stattdessen soll eine bloße Beteiligung am Demonstrationszug ausreichen“, meinen die Angeklagten.

Damit würden die Proteste gegen den G-20-Gipfel kriminalisiert. „Wir stehen hier vor Gericht, weil Polizei und Staatsanwaltschaft offensichtlich verzweifelt versuchen, ihre Erzählung vom Feindbild ,Demonstrant*in‘ aufrechtzuerhalten“, heißt es in der Erklärung. Damit wolle die Polizei „die Einschränkung von Grundrechten“ legitimieren.

Staatsanwaltschaft: Aufmarsch war „von Anfang an unfriedlich“

Dagegen argumentiert eine Vertreterin der Staatsanwaltschaft im Prozess, dass mit der Anklage mitnichten das im Grundgesetz verankerte Recht, friedlich und ohne Waffen zu demonstrieren, infrage gestellt oder ausgehöhlt werden solle. Der Aufmarsch am Rondenbarg sei allerdings „von Anfang an unfriedlich gewesen“, die Teilnehmer „teilweise bewaffnet“, so die Staatsanwältin. Und die hier Angeklagten seien „Teilnehmer der unfriedlichen Menge“ gewesen. Es könne ihnen kaum verborgen geblieben sein, dass es zu Gewalttaten gekommen ist. In diesem Fall wären ihnen „die Gewalttaten mit zuzurechnen“.

„Keiner darf kriminalisiert werden, der friedlich demonstriert, während andere Steine werfen“, erklärt dazu Gerichtssprecher Kai Wantzen in einer Prozesspause. „Gleichzeitig schützt die Versammlungsfreiheit niemanden, der sich mit anderen verabredet, um gemeinsam Straftaten zu begehen. Man muss sehr genau hinschauen, welche Situation hier vorgelegen hat. Und das ist die Aufgabe der Hauptverhandlung.“

Im Prozess ist geplant, unter anderem Videos der damaligen Demonstration anzusehen, Zeugen, unter anderem von der Polizei, zu hören sowie einen Sachverständigen, der Politikwissenschaftler und Protestforscher ist. Termine sind bis Mitte August anberaumt.