Hamburg. Polizeigewalt? Gegen drei Beamte wird nun doch Anklage erhoben. Die Linke kritisiert die G20-Aufarbeitung schwer. Hat sie recht?
Es gibt nicht viele Menschen, die wirklich wissen, was genau am 7. Juli 2017 am Bismarck-Denkmal in der Nähe der Reeperbahn passiert ist. Eigentlich sind bis heute nur zwei Dinge klar. Erstens: Im Rahmen der gewalttätigen G20-Proteste ist ein Mann bei einem Polizeieinsatz durch einen Schlagstock verletzt worden. Und zweitens: Sechseinhalb Jahre und zahlreiche Ermittlungen später glaubt die Staatsanwaltschaft nun doch, dass es genügend Ansatzpunkte gibt, um wegen dieses Schlagstockeinsatzes Anklage zu erheben.
Das ehrgeizige Ziel: Die Menschen sollen endlich ganz genau wissen, was an jenem 7. Juli passiert ist. Nun muss nur noch das zuständige Gericht entscheiden, ob es auch tatsächlich zum ersten Prozess gegen einen oder mehrere Polizisten aufgrund der G20-Ausschreitungen kommt.
G20: Ermittlungen zu Polizeigewalt wieder aufgenommen
So weit die Sachlage, die bereits seit einigen Wochen klar ist. Doch auch die stimmungsvolle Vorweihnachtszeit konnte nicht dazu beitragen, dass Cansu Özdemir gelassener mit eben jener Sachlage umgeht. Im Gegenteil. Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke ist empört darüber, dass es auch nach so langer Zeit nur sehr schleppend in Sachen G20-Aufklärung vorangeht.
„Die Botschaft ist fatal“, sagt die Politikerin nun dem Abendblatt. „Opfer von Polizeigewalt erfahren keine Gerechtigkeit, und Täter in Uniform bleiben straflos. Der gesamte Umgang mit Polizeigewalt während des G20-Gipfels belegt exemplarisch die Unzulänglichkeiten in der strafrechtlichen Aufarbeitung von Polizeigewalt und schwächt das Vertrauen in den Rechtsstaat. Es fehlt an unabhängigen Ermittlungsinstanzen, die eine unvoreingenommene Aufklärung gewährleisten.“
Gegen drei Beschuldigte wurde ein Tatvorwurf erhoben
Grund für Özdemirs Ärger ist eine Kleine Anfrage (SKA) der Linken zur mutmaßlichen Polizeigewalt rund um den G20-Gipfel und vor allem die Antworten des Senats. Dort heißt es nämlich: „Mit Anklage vom 7. September 2023 wurde gegen drei Beschuldigte der Tatvorwurf der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung im Amt erhoben.“ Laut SKA-Antwort sollen die Polizeibeamten als Mitglieder einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Polizei Hamburg „ungerechtfertigt Zwangsmittel in Form von Faustschlägen und Schlägen mit dem Mehrzweckeinsatzstab gegen einen Geschädigten eingesetzt haben, welcher daraufhin Prellungen an Kopf, Brust und Schulter sowie Hämatome auf dem Rücken erlitt.“
Diese neue Entwicklung in Sachen G20 reicht Özdemir allerdings noch nicht. „Dass nun gegen drei Polizisten Anklage erhoben werden soll, kann diese Defizite nicht wettmachen. Auch in diesem Verfahren lagen die Tatsachen von Anfang an auf dem Tisch“, sagt sie. „Das Verfahren wurde trotzdem eingestellt und wäre ohne den öffentlichen Druck auch nicht überprüft worden.“
Cansu Özdemir (Die Linke) erhebt schwere Vorwürfe
Schwere Anschuldigungen von Özdemir und den Linken. Doch haben sie auch recht?
Eine Nachfrage des Abendblatts hierzu wollte die Polizei Hamburg nicht konkret beantworten. Eine Sprecherin verwies lediglich darauf, dass die Polizei zu juristischen Entscheidungen oder politischen Äußerungen grundsätzlich keine Meinung abgeben oder diese bewerten würde.
Hunderte Protestierende wurde der Prozess gemacht – kein Polizist vor Gericht
Und so muss man bei den Fakten bleiben. Rund 31.000 Polizistinnen und Polizisten waren an jenen Tagen im Sommer 2017 im Einsatz, Zehntausende Protestierende gingen auf die Straßen. Und dort kam es zu schweren Auseinandersetzungen. Demonstranten randalierten, prügelten und plünderten – und Hunderte von ihnen wurde im Nachhinein auch der Prozess gemacht.
Doch auch aufseiten der Polizei soll es zu schwerwiegenden Fehlverhalten gekommen sein. Von den ursprünglich 169 Ermittlungsverfahren gegen Beamte und Beamtinnen der Polizei, davon 133 wegen Körperverletzung im Amt, blieb allerdings nicht viel übrig. Kein einziger Polizist musste aufgrund der G20-Geschehnisse vor Gericht.
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Bis jetzt. „Die Aufarbeitung der Polizeigewalt ist allein der öffentlichen Kritik und nicht den Strafverfolgungsbehörden zu verdanken“, sagt nun Özdemir, die daran erinnert, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft auch das Schlagstockverfahren längst eingestellt hatte, ehe der Hamburger Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich die Akten aller eingestellten Verfahren noch einmal prüfen ließ und in diesem Fall genügend Anhaltspunkte für eine Anklage sah. Auch in weiteren Fällen seien die Ermittlungen wieder aufgenommen worden.
In der Senatsantwort heißt es hierzu: „Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat das Verfahren am 1. Juli 2022 gemäß § 170 Absatz 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt, weil nicht mit erforderlicher Sicherheit festgestellt werden konnte, dass die Beschuldigten außerhalb ihrer gesetzlichen Befugnis gehandelt hatten.“ Und nun der entscheidende Satz: „Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hat das Geschehen am 19. Juli 2023 in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht anders bewertet.“
Die drei beschuldigten Polizisten sind alle noch für die Stadt Hamburg im Dienst
Die beschuldigten Polizeibediensteten sind im Übrigen noch immer für die Stadt Hamburg im Dienst. Aktuell ist einer der Beschuldigten als Mitarbeiter der Behörde für Inneres und Sport, die beiden anderen Beschuldigten sind als Mitarbeiter im Reviervollzug und als Mitarbeiter in der Einsatzhundertschaft in der Hamburger Polizei tätig.
Doch wie geht es nun weiter? Die Staatsanwaltschaft bestätigte, dass insgesamt sechs von 157 Verfahren wieder aufgenommen wurden – und in einem Fall Anklage erhoben wurde. Hier ist nun in Kürze das Gericht gefragt. Und dann wird man möglicherweise doch wissen, was genau am 17. Juli am Bismarck-Denkmal passiert ist.