Hamburg. Nun entscheidet sich, ob der Hamburger ein wichtiger Kanzler wird – oder nur Platzhalter zwischen Merkel und seinem Nachfolger.

Wahrscheinlich gab es seit Helmut Schmidt keinen Kanzler, der das Land durch so viele Krisen steuern musste wie Olaf Scholz. Die Ampel-Koalition, die mehr Fortschritt wagen wollte, sieht sich mit einem Rückfall in finstere Zeiten konfrontiert: Es herrscht Krieg in Europa, und manche überwunden geglaubte Krisen und Debatten sind plötzlich wieder aktuell.

Die Arbeitslosigkeit steigt, die Leitkultur-Diskussion ist angesichts einer ungebremsten Migration nach Deutschland zurück auf der Tagesordnung wie die Rückkehr zur Wehrpflicht. Und die klügeren Politiker in der Ampel wissen, dass manche ihrer Ideen, die im Koalitionsvertrag verabredet wurden, längst aus der Zeit gefallen sind. Die spannende Frage lautet: Findet die Koalition die Kraft, aus dem Rendezvous mit der Wirklichkeit die richtigen Schlüsse zu ziehen?

Meinung: Immer wenige Deutsche folgen noch der Politik der Ampel

Nach dem vergangenen Jahr – das zeigen die desaströsen Umfragewerte für SPD, Grüne und FDP – beschleichen viele Deutsche Zweifel: Die halbherzige Laufzeitverlängerung der Atomkraft ist angesichts der Energiekrise, steigender Preise und hoher CO2-Emissionen ein Fehler gewesen. Wann, wenn nicht jetzt, hätte ein um wenige Jahre verlängerte Nutzung der Atomenergie Sinn ergeben?

Die Verschärfung der Asylpolitik hatte die Innenministerin noch im Sommer hintertrieben. Im Juni erklärte sie, feste Grenzkontrollen würden die Entwicklung der EU „um Jahrzehnte zurückwerfen“ – im September führte sie diese dann doch ein. Und die weitere Erhöhung des Bürgergeldes zum Jahresbeginn um rund zwölf Prozent verschärft den Arbeitskräftemangel und zementiert Langzeitarbeitslosigkeit, wie Ökonomen kritisieren.

Olaf Scholz und die Ampel: zu spät, zu zaghaft und zu unentschlossen

Bislang hat die Regierung zu spät, zu zaghaft und zu unentschlossen auf die Herausforderungen reagiert. Andererseits hat Bundeskanzler Olaf Scholz als Hamburger Bürgermeister gezeigt, dass er führen kann: Er hat nicht nur in den ersten Jahren seiner Amtszeit konsequent gespart, sondern auch wie in der Innenpolitik mit der Einführung von Gefahren­gebieten Widerständen getrotzt und Prioritäten gesetzt wie in der konsequenten Wohnungsbaupolitik.

Vielleicht sollte er sich auf diese Zeiten besinnen. Natürlich ist die Zusammenarbeit in der zerstrittenen Ampel mit ihren drei sich weltanschaulich fremden Partnern ungleich schwieriger; hinzu kommt eine SPD, die sich mit der Wirklichkeit deutlich schwerer tut, als es in Hamburg stets der Fall war.

In Hamburg hat Olaf Scholz bewiesen, dass er führen kann

Aber Scholz bleibt nichts anderes übrig, als zu führen – auch auf die Gefahr hin, das Bündnis zu belasten oder gar zu sprengen. Die Aussichten auf eine Wiederwahl 2025 sind derzeit mikroskopisch klein. Will er im Amt bleiben, muss er die Mitte zurückgewinnen.

Kein Wähler kann und wird erwarten, dass Scholz den Ukraine-Krieg beenden kann. Aber alle erwarten, dass er die deutsche Wirtschaft vor der Deindustrialisierung und einem weiteren Rezessionsjahr bewahrt: Die Prognosen für 2024 sind düster, die Verlagerung von Betrieben ins Ausland ist im vollen Gange.

Jetzt drohen auch Verteilungskämpfe

Seit Jahrzehnten weiß man, dass Wahlen vor allem über Wirtschaftsfragen entschieden werden. Hinzu kommt das Mi­grationsproblem, aus dem in Zeiten knapper Kassen echte Verteilungskämpfe erwachsen. Hier wird die Regierung nicht mehr Fortschritt, sondern mehr Begrenzung wagen müssen.

Denn die Alternative haben alle drei Parteien im Blick: Wenn ihnen 2024 nicht der Umschwung gelingt, wird die Ampel krachend scheitern. Und aus dem Kanzler Scholz ein Irrtum der Wähler.

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