Hamburg. Neues Straßenverkehrsgesetz überraschend gescheitert – damit auch viele Neuerungen. Bürgermeister schreibt Brief an Verkehrsminister.
Hamburgs Grüne haben geschäumt, aber sie konnten nichts tun. Wie in fast allen Koalitionsverträgen ist auch in Hamburg zwischen SPD und Grünen festgelegt: Wenn man sich bei bundespolitischen Themen nicht einig ist, dann enthält sich das jeweilige Bundesland im Bundesrat. Das passierte nun auch Ende November bei der Abstimmung über die geplante große Reform des Straßenverkehrsgesetzes: Statt der Vorlage der Bundesregierung zuzustimmen, enthielt sich Hamburg, was faktisch einem Nein gleichkommt. Denn die Hamburger SPD wollte das über Monate zwischen Bund und Ländern verhandelte Gesetz plötzlich nicht mehr abnicken, das u. a. deutlich mehr Tempo 30 in Ortschaften ermöglicht hätte.
Damit war Hamburg das einzige ausschließlich von Ampel-Parteien regierte Bundesland, das die Vorlage der Bundesregierung ablehnte. Obwohl sogar einige CDU-geführte Länder zustimmten, scheiterte das Gesetz schließlich. Und aller Voraussicht nach ist damit die seit Langem größte Reform der Regeln im Straßenverkehr tot – obwohl das Vorhaben auch im Ampel-Koalitionsvertrag verankert ist. Dort heißt es: „Wir werden Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen.“
Verkehr Hamburg: Grüne sauer, weil SPD im letzten Moment Zustimmung verweigert
Faktisch hätte dies bedeutet: Auch Ziele wie Klima-, Umwelt- oder Gesundheitsschutz (Schutz vor Lärm und Abgasen) hätten künftig ausgereicht, um Tempo-30-Strecken festzulegen, nicht mehr allein Sicherheitsaspekte wären ausschlaggebend gewesen. In der Folge hätte es wohl auch auf Hamburgs Straßen deutlich mehr Tempo 30 gegeben, auch auf großen Straßen. Daraus wird nun nichts.
Warum Hamburgs SPD im letzten Moment dem Gesetz der SPD-geführten Bundesregierung die Stimme verweigerte, schien zunächst rätselhaft. Bei den Hamburger Grünen war die Empörung jedenfalls groß. Wenn es darauf ankomme, sei Hamburgs SPD am Ende immer gegen mehr Klimaschutz, hieß es nach der Bundesratssitzung vom 24. November wütend. Offiziell gibt man sich mittlerweile diplomatischer, gleichwohl deutlich genug.
Doch nicht mehr Tempo 30? Zähneknirschen in der Verkehrsbehörde
„Aus unserer Sicht war der Entwurf zur Reform des Straßenverkehrsgesetzes eine sinnvolle Weiterentwicklung des hier in die Jahre gekommenen Bundesrechts“, sagte Dennis Heinert, Sprecher von Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) dem Abendblatt. „Fragen wie der Klimaschutz, die Gesundheit der Menschen, aber auch städtebauliche Pläne sind Themen, die uns alle im Jahr 2023 maßgeblich prägen. Sie in Zukunft stärker zu berücksichtigen bedeutet am Ende auch ein Mehr an Verkehrssicherheit.“ Und dann mit einem lauten Zähneknirschen zwischen den Zeilen: „Für das Abstimmungsverhalten des Senats bitten wir Sie, sich an die Senatspressestelle zu wenden.“
Der Sprecher von SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher, Marcel Schweitzer, lieferte schließlich eine Begründung dafür, warum Hamburg nach monatelangen Verhandlungen in letzter Minute als einziges ausschließlich von Ampel-Parteien geführtes Bundesland die große Reform ablehnte.
Verkehr Hamburg: Die Genossen sorgen sich um die „Leichtigkeit“
„Hamburg hat nicht zugestimmt, weil die Sicherheit des Verkehrs bei der Einrichtung von Busspuren, Radwegen, Tempo-30-Zonen oder anderen Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden darf. Dieses war mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht hinreichend sichergestellt“, sagte Schweitzer. Warum es im Verkehr unsicherer werden sollte, wenn Autos langsamer fahren, wurde damit zwar nicht unmittelbar klar.
Entscheidender für die Ablehnung der Reform scheint aber für die Hamburger Genossen auch ein anderer Punkt gewesen zu sein. Dieser wird klar aus der Ergänzung, die sie laut Schweitzer für das Gesetz gefordert haben. Diese lautet: „Die Rechtsverordnungen und auf ihnen beruhenden Anordnungen müssen auch die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigen und dürfen die Sicherheit des Verkehrs nicht gefährden.“ Diese „Leichtigkeit des Verkehrs“ scheint hier der wesentliche Punkt zu sein. Auch in der SPD-geführten Innenbehörde scheint man nämlich gefürchtet zu haben, dass immer mehr Tempo 30 auch auf Hauptstraßen den Verkehr und die Verkehrsteilnehmer in Hamburg beeinträchtigen könnte.
FDP-Minister sauer: Wissing will keinen Kompromiss mehr suchen
Leider habe der Bund „die vom Bundesrat geforderte ergänzende Klarstellung im Gesetz nicht vorgenommen“, so Schweitzer. „Die Mehrheit der Länder – einschließlich des grün geführten Baden-Württembergs – hat dem Gesetzentwurf daher nicht zugestimmt.“ Das dürfte daran liegen, dass in Baden-Württemberg der Koalitionspartner CDU die Zustimmung verhinderte. CDU-geführte Länder wie Berlin (Große Koalition) und Schleswig-Holstein (Schwarz-Grün) dagegen stimmten anders als das rot-grün regierte Hamburg für die Reform. Letztlich kamen aber nur 31 der benötigten 35 Stimmen zusammen. Hamburg hat drei Stimmen.
Die große Reform zugunsten von Klima- und Gesundheitsschutz im Verkehr ist damit nun wohl vollständig gescheitert. Denn FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat nicht vor, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um doch noch einen Kompromiss mit den Ländern zu finden, wie das Ministerium auf Abendblatt-Anfrage mitteilte.
Verkehr Hamburg: Bürgermeister Tschentscher schreibt Brandbrief an den Bund
„Die Bundesregierung wollte den Kommunen mehr Handlungsspielraum vor Ort geben. Sie wollte den Umwelt- und Klimaschutz im Straßenverkehr stärken sowie es den Kommunen ermöglichen, Kinder durch die punktuelle Anordnung von Tempo 30 z. B. an Kindergärten und Spielplätzen besser zu schützen. Der Bundesrat hat dies bedauerlicherweise durch die Ablehnung der geplanten Änderung des Straßenverkehrsgesetzes verhindert“, so eine Wissing-Sprecherin. „Die ablehnende Haltung der Länder im Bundesrat war eine politische Entscheidung und keine inhaltliche. Daher stellt sich aktuell nicht die Frage nach einem Vermittlungsausschuss.“
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Das wiederum finden die Hamburger Genossen nun aber auch nicht gut. SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher habe „dem Bundesverkehrsminister in einem Schreiben mitgeteilt, dass ein Vermittlungsverfahren aus seiner Sicht sinnvoll wäre, um die erwähnte Klarstellung im Gesetz vorzunehmen“, sagte Senatssprecher Schweitzer. „Ein entsprechendes Schreiben soll es auch vom Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg geben.“
Verkehr Hamburg: CDU freut sich über das Scheitern des Gesetzes
Mithin: Nun wollen diejenigen, die das Gesetz abgelehnt haben, es doch noch retten – wenn denn die Leichtigkeit des Verkehrs und seine Sicherheit noch einmal als wichtigste Ziele betont werden. Gefreut über das Scheitern des Gesetzes hat sich dagegen der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß. „Der Vorschlag der Ampel-Koalition hätte zu mehr Staus, einem schlechteren öffentlichen Nahverkehr und im Ergebnis zu weniger Klimaschutz geführt“, glaubt der CDU-Verkehrspolitiker. „Der Autoverkehr ist dann am klimafreundlichsten, wenn er flüssig und sicher organisiert ist und wir einen starken öffentlichen Nahverkehr haben.“
Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann sieht das ganz anders. „Die Änderung der Straßenverkehrsordnung wäre ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Doch wenn es um mehr Verkehrssicherheit und weniger Straßenlärm geht, bewegt der Senat sich nicht mal im Schneckentempo, sondern erstarrt einfach“, sagte Sudmann. „Mehr Tempo 30 in der Stadt bringt so viele Vorteile für Mensch und Umwelt. Doch der Senat, allen voran die SPD, scheut sich, dem Autoverkehr Vorgaben zu machen. Der rot-grüne Senat ist ja nicht mal der bundesweiten Städteinitiative für Tempo 30 beigetreten.“
Tempo 30: Linke kritisiert Abstimmungsverhalten des Senats
Bei dem Thema seien selbst CDU-Bürgermeisterinnen und Bürgermeister weiter, so Sudmann. „Die Angst, Wählerinnen und Wähler zu verlieren, lässt den Senat kurzsichtig und verantwortungslos handeln.“
Die kürzlich bekannt gewordenen Pläne für mehr Tempo 30 in Hamburg zum Lärmschutz, die auf EU-Regelungen basieren, sind vom Aus des neuen deutschen Straßenverkehrsgesetzes nicht betroffen.