Hamburg. Polizei ist mit Großkontrolle zufrieden, Politik nur bedingt. Mehrheit fühlt sich weiter unsicher. Nun kommt das Alkoholverbot.
Es war schon ziemlich spät, als sich vor wenigen Tagen eine interessierte Uhlenhorsterin selbst ein Bild von der Sicherheitslage am Hamburger Hauptbahnhof machen konnte. Die Mutter stand mit dem Auto direkt vor dem verwaisten Hachmannplatz, weil sie auf ihre bereits erwachsene Tochter wartete, die erst gegen 1.30 Uhr in der Nacht mit dem Fernzug aus Frankfurt ankommen sollte.
Die besorgte Mama, die all die Berichte über steigende Kriminalitätsraten und die Debatten über die Sicherheit am Hauptbahnhof gelesen hatte, verriegelte die Autotüren von innen und schaute aus dem Auto die Szenerie um sie herum an. Sie sah ein paar Obdachlose, ziemlich viele Junkies – und jemanden, der plötzlich an die Seitenscheibe klopfte.
Bei Großkontrolle am Hamburger Hauptbahnhof wurden kaum Waffen gefunden
Dieser jemand war ein Polizist, der die erschrockene Mutter höflich, aber sehr bestimmt aufforderte, aus dem Parkverbot zu fahren. Die Hamburgerin fragte noch, ob sie nicht mitten in der Nacht und ohne Verkehr ganz kurz stehen bleiben dürfte, weil sie auf ihre Tochter warte und angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit ungern aussteigen würde. Doch der Polizist blieb hart: Sicher ist sicher, aber Parkverbot ist auch Parkverbot.
Dass Parken rund um den Hauptbahnhof schwierig ist, dürfte nicht nur der Mutter aus Uhlenhorst mittlerweile klar sein. Wie sicher oder unsicher der Hauptbahnhof aber wirklich ist, bleibt auch nach ihrem späten Abend am Hachmannplatz unklar. Fragt man beim Senat oder der Polizei nach, dann lautet die Antwort: eher sicher. Fragt man bei der Opposition nach, dann lautet die Antwort: komplett unsicher. Und fragt man in einer repräsentativen Umfrage bei den Hamburgern nach, dann lautet die Antwort: Unentschieden.
Abendblatt-Umfrage: 56 Prozent fühlen sich unsicher oder sehr unsicher
So fühlen sich 56 Prozent der 1068 Befragten einer exklusiven Abendblatt-Umfrage am Hauptbahnhof eher unsicher oder sogar sehr unsicher, 44 Prozent fühlten sich eher sicher oder sogar sehr sicher. Interessant: Es gibt eine klare Diskrepanz zwischen Frauen und Männern. So fühlen sich beispielsweise nur zwei Prozent aller befragten Frauen sehr sicher am Hauptbahnhof. Auch die Parteienpräferenz spielt offenbar bei der Sicherheitslage eine große Rolle. 67 Prozent der AfD-Wähler unter den Befragten wählten als Antwortmöglichkeit unsicher oder sogar sehr unsicher aus.
Die Innenbehörde kennt diese Zahlen – und hat zum 1. Oktober mit der Einrichtung einer dauerhaften Waffenverbotszone im und um den Hauptbahnhof reagiert. Ein erstes Zwischenfazit wurde nun am vergangenen Wochenende gezogen, als rund hundert Beamte und Beamtinnen von Bundespolizei und Polizei Hamburg sowie Mitarbeitende der DB-Sicherheit und der Hochbahnwache eine Großkontrolle in der Waffenverbotszone durchführten.
Hauptbahnhof: Polizei zieht positives Zwischenfazit nach Waffenverbot
Die Ausbeute des mehrstündigen Einsatzes: zwei Reizstoffsprühgeräte, vier Messer, sowie zwei sogenannte Polenböller. „Die jetzt doch verhältnismäßig niedrigen Sicherstellungszahlen zeigen, dass die Einführung der Waffenverbotszone sich bewährt hat“, zog der Erste Hauptkommissar Jörg Ristow ein positives Fazit.
Deutlich negativer sieht es Dennis Thering, der nicht müde wird zu betonen, dass der Hamburger Hauptbahnhof „der gefährlichste Bahnhof Deutschlands“ sei. „Die beschlossene Waffenverbotszone reicht nicht weit genug, so wurden wichtige Bereiche wie der Steindamm ausgelassen. Das führt lediglich zur Verlagerung von Kriminalität“, sagt der Vorsitzende der Hamburger CDU-Fraktion.
Noch deutlicher formuliert es AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann, der ebenfalls immer wieder gerne vom „gefährlichsten Bahnhof Deutschlands“ spricht: „Besonders der starke Anstieg der nicht deutschen Tatverdächtigen ist besorgniserregend. Hamburg hat ein Problem mit migrantischer Kriminalität“, so der innenpolitische AfD-Sprecher. „Ich fordere die Altparteien auf, endlich dieser Tatsache ins Auge zu blicken und wirksame Maßnahmen zu ergreifen.“ Sein Fazit: „Viele Hamburger meiden mittlerweile so gut es geht den Hauptbahnhof, das ist eine traurige Entwicklung.“
Eine angebliche Entwicklung, die allerdings nicht wirklich den tatsächlichen Zahlen entspricht. Denn nach Angaben der Deutschen Bahn sind die Besucherzahlen am Hauptbahnhof stark steigend. Aktuell zählt man täglich 550.000 Besucher, Reisende und Pendler, was den Hamburger Bahnhof tatsächlich zum am stärksten frequentierten Bahnhof in Deutschland macht.
Hamburger Hauptbahnhof ist gar nicht so gefährlich wie sein Ruf
Dass der Hamburger Hauptbahnhof allerdings gleichzeitig auch der gefährlichste Bahnhof der Republik ist, geben aktuelle Zahlen nicht wieder – im Gegenteil. Nimmt man die Bahnhöfe mit den meisten Gewaltdelikten im Verhältnis zu den Reisenden, kommt Hamburg in der Top 10 der kriminalitätsbelasteten Bahnhöfe sogar eher auf einen der hinteren Plätze.
Also alles gut? Natürlich nicht! Denn richtig ist auch, dass Gewalt- und Sexualdelikte in den vergangenen Jahren genauso zugenommen haben wie Verstöße gegen das Waffengesetz am Hauptbahnhof. Nach Auskunft der Innenbehörde hat man das Problem allerdings erkannt: „Seit Herbst vergangenen Jahres wurden auf verschiedenen Ebenen die Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung intensiviert“, lässt Behördensprecher Daniel Schaefer ausrichten. „Unter anderem wurde die Polizeipräsenz noch einmal deutlich erhöht.“
Innensenator Andy Grote wollte sich nicht äußern. Der SPD-Politiker weiß aber ganz genau, dass man mit der inneren Sicherheit in Hamburg Wahlen gewinnen kann. Oder verlieren. Jeder Genosse in Hamburg kann sich beispielsweise noch gut an 2001 erinnern, als die CDU und die rechtspopulistische Partei Rechtsstaatliche Offensive die Bürgerschaftswahlen in Hamburg gewannen. Die neu aufgestellte „Schill-Partei“, wie PRO nach ihrem Gründer Ronald Schill genannt wurde, holte aus dem Stand 19,4 Prozent (!) der Stimmen. Für die Hamburger SPD war das eine Art „Mutter aller Wahlniederlagen“.
Ähnliches soll im Hier und Jetzt auf jeden Fall verhindert werden. Deswegen ist Grote nach mehreren Skandalen und Skandälchen nun sichtbar bemüht, in die Sicherheit des Hauptbahnhofs zu investieren. Im Rahmen der „Allianz sicherer Hauptbahnhof“ sind beispielsweise seit April Mitarbeitende der Polizei Hamburg, der Bundespolizei, der DB Sicherheit und der Hochbahnwache mit erhöhter Schlagkraft überall rund um den Hauptbahnhof unterwegs. Seitdem wurden auf den gemeinsamen Streifen mehr als 8400 Personen überprüft, rund 630 Strafanzeigen gefertigt. In mehr als 2000 Fällen wurde das Hausrecht durchgesetzt.
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Auch die Hilferuf-App Safenow wurde seit dem Start Ende Oktober bereits rund 50.000-mal heruntergeladen. Rund 25-mal wurde ein Alarm ausgelöst. Dabei handelte es sich unter anderem um medizinische Notfälle, körperliche Auseinandersetzungen und Belästigung.
Nicht ganz unumstritten soll nun auch die Videoüberwachung im Bereich des Hauptbahnhofs ausgeweitet werden. Die ersten Baumaßnahmen für die geplanten zehn Standorte sollen Anfang 2024 beginnen. Zeitgleich bereitet die Innenbehörde ein Alkoholkonsumverbot auf dem Hachmannplatz und dem Heidi-Kabel-Platz vor, das ab Frühjahr des nächsten Jahres in Kraft treten soll. Hintergrund der Maßnahme ist laut der Behörde eine Vielzahl an Straftaten unter Alkoholeinfluss.
Die Polizei-Bilanz der Waffenverbotszone: 115 verbotene Gegenstände
Und last but not least: die Waffenverbotszone. Seit ihrem Inkrafttreten am 1. Oktober wurden durch die Bundespolizei im Hauptbahnhof 58 verbotene Gegenstände im Sinne der Verordnung festgestellt. Die Polizei Hamburg zählte im gleichen Zeitraum insgesamt 115 verbotene Gegenstände.
Eine Bilanz, die bei Cansu Özdemir keinen Applaus auslöst. „Mehr Polizei, Videoüberwachung oder Waffen- und Alkoholverbote werden der Situation am Hauptbahnhof nicht gerecht“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Linken. „Diese Maßnahmen setzen allein auf Vertreibung und Verdrängung und erschweren den Zugang zu sozialen Hilfesystem. Der Senat verfolgt mit den ordnungspolitischen Maßnahmen eine reine Symptombekämpfung und Schaufensterpolitik.“
Waffen- und Alkoholverbotszonen sollen Hauptbahnhof sicherer machen
Immerhin: Trotz der Kritik aus der Opposition ist die Innenbehörde zumindest mit sich selbst zufrieden. Das neue Sicherheitskonzept habe sich bewährt, lässt sie ausrichten. Und die Mama aus Uhlenhorst? Hat jedenfalls kein Ticket fürs Falschparken bekommen. Und durfte sich darüber freuen, dass ihre Tochter heil und unversehrt aus dem Urlaub – und aus dem Hauptbahnhof gekommen ist.