Hamburg. Weil seit dem Falck-Aus täglich Rettungswagen ausfallen, hat Innensenator Grote brisante Post erhalten. Sorgen um Ausbildung.
Am Ende der vergangenen Woche erhielten Innensenator Andy Grote und Staatsrat Thomas Schuster (beide SPD) Post. In dem zweiseitigen Brief hieß es im fett gedruckten Betreff: Hilfsangebot zur Stärkung und Stabilisierung der Notfallrettung. Das (unmoralische) Angebot in Kurzform: Weil die Notfallrettung seit dem erzwungenen Aus des privaten Anbieters Falck am 16. November (Abendblatt berichtete) hinten und vorne nicht mehr funktionieren würde, bietet Falck-Geschäftsführer Klaus Runggaldier nun an, dass sein Unternehmen als Helfer in der Not einspringt.
Wörtlich heißt es in dem Schreiben: „Dem Vernehmen nach kommt es seit dem 17. November zu zahlreichen Ausfällen von Rettungsmitteln der Notfallrettung im öffentlichen Rettungsdienst der Stadt Hamburg. So sind beispielsweise in den letzten Tagen täglich zehn oder sogar noch mehr Notfallrettungsmittel nicht einsatzbereit und aufgrund von Personalmangel abgemeldet gewesen.“ Dies sei laut Runggaldier „ein untragbarer Zustand“. Deswegen würde man der Stadt Hamburg ab sofort anbieten, vier Rettungswagen (RTW) inklusive des qualifizierten Fachpersonals in der Notfallrettung einzusetzen. Und weiter: „Binnen kurzer Zeit könnten wir zudem auch wieder insgesamt bis zu neun RTW im einsatzstarken Tagesdienst zur Verfügung stellen.“
Feuerwehr Hamburg: Wieder zahlreiche Abmeldungen in der vergangenen Woche
Eine Antwort hat Runggaldier bislang nicht erhalten – und daran dürfte sich auch nach dem Adventswochenende nichts ändern. Längst sind die Fronten zwischen Innenbehörde und dem ausgebooteten Rettungsunternehmen verhärtet. Via Abendblatt hatte Michael Beitz, Geschäftsbereichsleiter Falck Hamburg, sogar eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.
Doch ist die Lage im Rettungsdienst ohne den privaten Anbieter tatsächlich so dramatisch wie von Falck dargestellt? Ein Blick auf die Zahlen seit dem ersten Abendblattartikel „Rettungsdienst: Erste Krisensitzung seit dem Falck-Aus“ lässt eine klare Antwort zu: Die Lage ist noch viel dramatischer.
War die angespannte Situation im Rettungsdienst Hamburg seit Monaten absehbar?
Dem Abendblatt liegen interne Daten vor, nach denen es in nur einer Woche deutlich mehr als 50 Abmeldungen von RTW gegeben hat. Die vier Hilfsorganisationen Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) und Malteser Hilfsdienst (MHD) scheinen nach dem Falck-Aus immer mehr Probleme mit der rettungsdienstlichen Versorgung zu haben. Den Vorwurf vieler Feuerwehrstimmen, die seit Monaten behaupten, dass genau vor dieser Situation gewarnt wurde und dass sie längst absehbar war, widerspricht eine ASB-Sprecherin: „Die Feuerwehr Hamburg hatte sich auf diese Situation eingestellt und Sonderbedarfe abgerufen, um für diese Übergangsphase über zusätzliche Ressourcen verfügen zu können“, schreibt sie. Und: „Die dann eingetretene hohe Krankheitsquote war nicht planbar und daher auch nicht absehbar.“
Sehr vehement widerspricht die ASB-Sprecherin auch der Behauptung, dass die Einsätze für die prestigeträchtigen RTW einer Gewinnerzielungsabsicht unterliegen. „Diese ist uns als gemeinnützige Bieterorganisation nicht gestattet“, schreibt sie – und hat recht. Doch die Frage, warum die Innenbehörde im vergangenen Jahr einen Sinneswandel hatte und plötzlich auf das umstrittene Aus von Falck beharrte, bleibt weiterhin unbeantwortet.
Akute Personalnot im Rettungsdienst: In ganz Deutschland wird nach Notfallsanitätern gesucht
Dabei sind die Probleme hausgemacht. Denn nicht nur die vier Hilfsorganisationen und die Feuerwehr haben akute Personalsorgen, ganz Deutschland hat im Rettungsdienst einen gravierenden Fachkräftemangel. Besonders Notfallsanitäter werden händeringend gesucht. Und die unausgesprochene Hoffnung der Hilfsorganisationen, dass sich nach dem Falck-Aus die 40 bis 45 Notfallsanitäter des Unternehmens einen neuen Job suchen, erfüllt sich bislang nicht.
Als größter Krankentransport-Dienstleister Hamburgs hat Falck offenbar genug Arbeit, um die begehrten Notfallsanitäter vorerst auch weiter an sich zu binden. In der Szene gilt das Rettungsdienstunternehmen ohnehin als beliebter Arbeitgeber. Also die gute Nachricht für die Beschäftigten: Sorgen um den Job muss sich keiner der Notfallsanitäter machen – im Gegenteil.
Die schlechte Nachricht für alle Patienten: Die ohnehin angespannte Situation im Rettungsdienst nach dem Falck-Aus könnte sich langfristig zu einem echten „Super-GAU“ entwickeln. So jedenfalls wird innerhalb der Feuerwehr hinter vorgehaltener Hand das drohende Szenario bezeichnet, dass Falck nach dem erzwungenen Hamburg-Aus irgendwann auch mit einem Ausbildungs-Aus reagieren könnte. „Dann können wir den Laden endgültig dichtmachen“, sagt ein Feuerwehrmann.
Ausbildungs-Aus für Rettungssanitäter in Hamburg? Feuerwehr schließt ungewöhnlichen Deal ab
„Dadurch, dass mit allen Mitteln versucht wird, die Lücken in der Rettung zu stopfen und dadurch, dass weniger ausgebildet werden kann, werden künftig viel weniger Krankenwagen fahren und die Patienten noch viel länger auf ihre Fahrt zur Dialyse oder zum Arzt warten müssen“, sagt Runggaldier. Das Problem: Aktuell bildet Falck an der Akademie in Wandsbek zwar weiterhin Notfallsanitäter theoretisch aus, kann diese aber seit dem 16. November nicht mehr praktisch weiterbilden. Denn: Notfallsanitäter müssen im Rahmen ihrer Ausbildung Pflichtpraktika auf einem RTW absolvieren. Doch Falck darf diese ja seit drei Wochen nicht mehr betreiben. Betroffen sind hiervon insgesamt 85 Auszubildende, die nach dem Ende ihrer in der Regel dreijährigen Ausbildung dringend gebraucht werden.
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„Die Ausbildung von Notfallsanitätern, die nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit händeringend gesucht werden, wird nun eingestellt, da Falck ja wegen der Hamburger Behörde keine Rettungswagen mehr besetzen darf und daher die Frauen und Männer an der Akademie nicht mehr ausbilden kann“, sagt Runggaldier. Damit aber noch nicht genug. Falck bildet zudem rund 300 Rettungssanitäter pro Jahr aus. Im Gegensatz zu den Notfallsanitätern beträgt hier die Ausbildungszeit nur drei Monate. Zirka 170 davon bleiben bei Falck im qualifizierten Krankentransport, rund 75 von ihnen wechseln zu anderen Krankentransportunternehmen in Hamburg.
Doch sowohl die Nofallsanitäter als auch die Rettungssanitäter müssen auch in der Praxis auf einem RTW ausgebildet werden. Damit ein Nachwuchsengpass vorerst vermieden wird, haben sich jetzt Feuerwehr und Falck auf einen ungewöhnlichen Deal eingelassen: Die aktuellen beiden Notfalllehrgänge wurden von der Feuerwehr aufgekauft. Das heißt: Sie werden weiter an der Falck-Akademie ausgebildet, werden aber von der Feuerwehr bezahlt und machen auf Feuerwehr-RTW ihre Pflichtpraktika.
Rettungsassistenten in Hamburg dürfen bis 2029 Einsatzleitung übernehmen
Ende gut, alles gut? Von wegen! Zum einen soll diese Einigung der Innenbehörde ein Dorn im Auge sein. Und zum anderen hat auch die Feuerwehr nur begrenzt Kapazitäten auf den RTW. Auch deswegen wurde bereits zum wiederholten Male die Ausnahme im Rettungsdienstgesetz verlängert, dass Rettungsassistenten (nun bis 2029) die Einsatzleitung übernehmen dürfen.
Eine langfristige Lösung scheint es wohl nur zu geben, wenn man doch noch zu einer Kompromisslösung zwischen Innenbehörde und Falck kommt. Diese gilt allerdings als nahezu ausgeschlossen. „Die fehlende Besetzung von Rettungswagen ist ein untragbarer Zustand, der im schlimmsten Fall Menschenleben kosten wird, der aber auch die bereits sehr belasteten Einsatzkräfte des öffentlichen Rettungsdienstes und der Feuerwehr noch stärker belasten wird, was zu mehr Personalausfällen und mehr Fahrzeugstillständen führt“, orakelt Runggaldier.
Trotz des Streits macht Falck der Innenbehörde Hamburg ein Angebot
Immerhin: Am Ende seines Briefes schreibt der Falck-Geschäftsführer versöhnlich: „Wir können ab sofort und jederzeit mit Fahrzeugen und Fachpersonal helfen, die Bürgerinnen und Bürger Hamburgs in der Notfallrettung besser und zuverlässiger zu versorgen!“ Und das höfliche „Mit freundlichen Grüßen“ ganz zum Schluss des Briefes lässt hoffen, dass das allerletzte Wort in dieser Sache doch noch nicht gesprochen ist. Oder geschrieben.