Hamburg. Können Hilfsdienste den abservierten Anbieter nicht kompensieren? Die möglichen Folgen und welche Stadtteile betroffen sind.

In der vergangenen Woche war die Rettung von Menschen in Hamburg einmal mehr ganz oben auf der Tagesordnung. Von Mittwoch bis Freitag fand der 23. Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. im CCH statt. Auch im Zentrum der Fachtagung war der Rettungsdienst, der gleich mit insgesamt neun Vorträgen im Programm stand.

Nicht auf dem Podium thematisiert, aber sehr wohl in dem einen oder anderen vertraulichen Hintergrundgespräch besprochen, wurde das gerade erst vollzogene Hamburg-Aus des Hilfsanbieters Falck nach 34 Jahren in der Notfallrettung.

Feuerwehr Hamburg: Aus internen Kreisen wurde mehrfach gewarnt

Trotz mehrfacher Warnung aus Kreisen der Feuerwehr waren in der Nacht vom 16. auf den 17. November die verbliebenen acht Rettungswagen des privaten Rettungsdienstes ein letztes Mal auf Hamburgs Straßen im Einsatz. Die Innenbehörde wollte an der vor ein paar Monaten getroffenen Entscheidung trotz großer Widerstände festhalten. Und so war im CCH die viel diskutierte Frage unter den Experten: Kann das wirklich gut gehen?

Die Antwort nach dem ersten Eindruck muss wohl lauten: nein.

Falck-Aus: Können Hilfsorganisationen die Lücke nicht auffangen?

Nach Abendblatt-Informationen hat es bereits wenige Tage vor dem Falck-Aus eine erste Krisensitzung der Feuerwehr mit den vier Hilfsorganisationen Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) und Malteser Hilfsdienst (MHD) in Hamburg gegeben. Der Grund: Die acht Rettungswagen (RTW), die Falck betrieben hatte, konnten offenbar trotz erfolgter Ausschreibung personell nicht ersetzt werden. So soll der ASB SOS gefunkt haben, da man vier der RTWs besetzen wollte, sich dabei aber offenbar verkalkuliert hatte.

Dies bestätigt auch die Innenbehörde. Beim ASB relativiert man auf Nachfrage: „Von den vier uns zugeteilten RTWs, die der ASB vom 17. November an besetzen sollte, konnten wir einen RTW direkt besetzen. Ab Anfang 2024 wird der ASB Hamburg dann alle weiteren RTWs komplett übernehmen, bis dahin werden die drei RTWs von allen Hilfsorganisationen gemeinsam besetzt.“

Pro RTW-Einsatz verdienen Hilfsorganisationen mehr als 600 Euro

Dabei muss man wissen, dass für die vier Hilfsorganisationen besonders die Besetzung der insgesamt 42 RTWs ein sehr lukratives Geschäft ist. Hierbei können die Anbieter pro Einsatz etwas mehr als 600 Euro verdienen. Bei den Krankentransporten (KTWs) ist es dagegen nur rund ein Drittel, das man als Anbieter pro Einsatz verdienen kann. Mit anderen Worten: Das RTW-Geschäft ist verlockend – und wer im Konzert der Großen nicht mehr mitspielen darf, der ist verstimmt.

Das ist noch untertrieben. „Falck wird alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausschöpfen, da es nicht sein kann, dass ein so zuverlässiger und langjähriger Garant für eine stabile Notfallversorgung in Hamburg aufgrund von politischer Willkür und zur Wahrung lobbyistischer Partikularinteressen nicht mehr tätig sein darf und gleichzeitig die Versorgung der Bevölkerung dadurch verschlechtert und sogar gefährdet wird“, sagt Michael Beitz, Geschäftsbereichsleiter Falck Hamburg – und kündigt nun sogar eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an.

Falck spricht von „im Einzelfall sogar tödlichem Weg“, den die Stadt geht

Doch Beitz‘ Kritik geht über die Androhung einer Klage hinaus. So sei es „neben der juristischen Dimension auch rein sachlogisch Wahnsinn, was die Stadt Hamburg gerade versucht“. Statt alle verfügbaren Ressourcen und Kompetenzen bestmöglich zu nutzen, um die Notfallrettung sicherer zu machen, gehe man „lieber einen sehr riskanten und für die Bevölkerung schmerzhaften und im Einzelfall sogar tödlichen Weg“, sagt er.

Eine Fundamentalkritik, die sich Innenbehörde und Feuerwehr so nicht gefallen lassen wollen. In einem gemeinsamen Statement betonen sie, dass die ausgeschriebenen RTW erfolgreich vergeben wurden: „Mit Beginn des Monats Oktober wurden noch einmal zehn zusätzliche Rettungswagen in Dienst genommen. Hierdurch konnte die rettungsdienstliche Versorgung der Hamburgerinnen und Hamburger, insbesondere zu den einsatzstarken Zeiten, noch einmal weiter verbessert werden.“

Laut interner Übersicht sind seit dem Falck-Aus zahlreiche RTWs ausgefallen

Doch läuft die rettungsdienstliche Versorgung ohne Falck tatsächlich so reibungslos, wie von Innenbehörde und Feuerwehr behauptet? Eine interne Übersicht der ausgefallenen Rettungswagen seit dem 19. November, die dem Abendblatt vorliegt, zeigt ein anderes Bild. Demnach sind nur in den vergangenen zwei Wochen 37 RTWs der Hilfsorganisationen ausgefallen, weil nicht genügend Mitarbeiter zur Verfügung standen.

„Seit dem 17. November können jeden Tag nachweislich zahlreiche RTW-Schichten durch die Hilfsorganisationen nicht besetzt werden“, schimpft auch Falcks Hamburg-Chef Beitz. „In Summe sind in den 14 Tagen mehrere Dutzende Schichten unbesetzt geblieben. So viele unbesetzte RTW-Schichten hat es bei Falck in den letzten zwei Jahren zusammen nicht gegeben.“

Mehr zum Thema

Feuerwehr Hamburg übernimmt Rettungsdienst als staatliche Aufgabe

Doch warum verzichtet die Stadt überhaupt auf die Dienste von Falck, der noch immer der größte KTW-Anbieter Hamburgs ist? Auf Nachfrage heißt es formaljuristisch: „Das Hamburgische Rettungsdienstgesetz von 1992 ist durch die Neufassung des Hamburgischen Rettungsdienstgesetzes vom 30.10.2019 (HmbRDG) aufgehoben worden. Mit diesem Gesetz ist seinerzeit der parallele Betrieb von Notfallrettung durch private Unternehmen und durch den öffentlichen Rettungsdienst abgeschafft worden, Notfallrettung ist seit dem 16.11.2019 als staatliche Ordnungsaufgabe die ausschließliche Aufgabe des öffentlichen Rettungsdienstes.“ Aufgrund einer Übergangsvorschrift dürften Inhaber von Genehmigungen nach dem alten Rettungsdienstgesetz von 1992 aber nur bis zum 16. November dieses Jahres noch von ihren Genehmigungen Gebrauch machen. „Diese Übergangsfrist ist inzwischen ausgelaufen.“

Juristisch ist das alles richtig. Trotzdem gibt es zahlreiche Stimmen innerhalb der Feuerwehr und der Innenbehörde, die es als großen Fehler und sogar Risiko bezeichnen, Falck ausgebootet zu haben. Intern heißt es, dass die Entscheidung gegen Falck Chefsache von Innensenator Andy Grote war. Nun müsse man aber davon ausgehen, dass zu den offiziell im System abgemeldeten RTWs sogar weitere dazugekommen sein dürften, die telefonisch abgemeldet worden sein sollen. Tendenz steigend.

Poppenbüttel, Barmbek und Rothenburgsort sollen vom Falck-Aus betroffen sein

Ein Beispiel für die unterschiedlichen Sichtweisen von Falck und der Innenbehörde sind die Stadtteile Rothenburgsort, Poppenbüttel und Barmbek, wo zwischen 1500 und 3500 Einsätze im Jahr gefahren werden. Diese Stadtteile seien seit dem Aus laut Falck nicht adäquat nachbesetzt worden.

Die Innenbehörde und die Feuerwehr sehen das ganz anders: „Die früheren Standorte der Firma Falck sind nicht im Rahmen einer Bedarfsplanung der Feuerwehr entstanden, sondern ergaben sich aus den Ergebnissen eines gerichtlichen Vergleiches mit der Firma Falck“, heißt es. „Mit dem Übergang der Rettungsmittel in den öffentlichen Rettungsdienst erfolgt die Besetzung daher nunmehr anhand der Bedarfsplanungen der Feuerwehr Hamburg.“

Rettungsdienst Hamburg: Falck-Chef kritisiert die Stadt, „RTWs nicht nachbesetzt“

Hamburgs Falck-Chef Beitz widerspricht: „Anders als offiziell von der Stadt behauptet, sind nachweislich nicht alle RTWs, die Falck in den Einsatzbereichen Rothenburgsort, Poppenbüttel und Barmbek bis zum 17. November betrieben hat, nachbesetzt worden. Da nützt es im Übrigen auch nichts, wenn wie im Beispiel Barmbek, in den Nachbarbereichen zusätzliche RTWs in Betrieb gehen, da die RTWs natürlich in erster Linie dort benötigt werden, wo die Einsätze anfallen. Dafür gibt es die Standorte ja. Alle genannten sind nicht nachbesetzt worden.“

Eine harmonische Lösung der unterschiedlichen Sichtweisen in der Adventszeit ist nicht in Sicht. Und so dürfte der Streit um die rettungsdienstliche Versorgung Hamburgs im kommenden Jahr vor Gericht ausgetragen werden. In diesem Sinne: Happy New Year!