Hamburg. Harte Zeiten für Hamburg. Neben Wirtschaftskrise und Online-Boom gefährden Benkos Baustellen und das Überseequartier den Handel.
Es ist bald ein Jahrzehnt her, dass der damalige Bürgermeister Olaf Scholz und sein SPD-Senat eine weitreichende Entscheidung für die Entwicklung der Stadt trafen. Das südliche Überseequartier in der HafenCity, dessen Baugrube sich mehr und mehr in ein Biotop zu verwandeln drohte, wurde an einen Großinvestor übergeben – Unibail-Rodamco.
Auf einen Schlag waren alle früheren Versprechen, wonach die neue HafenCity nicht zu einer Konkurrenz zur alten City werden sollte, hinfällig.
Handel Hamburg: Abwarten und zuschauen reicht nicht zur Rettung der Innenstadt
Statt einer bloßen Erweiterung der Stadt entsteht dort ein gigantisches Einkaufszentrum, das mehr als zweimal so groß wird wie die Europa-Passage an der Alster. Elf sogenannte Flaggschiff-Geschäfte großer Marken werden an der Elbe eröffnen – darunter Marken wie Breuninger, H&M, Zara, Intersport Knudsen, C&A oder Adidas.
Insgesamt entstehen rund 200 Geschäfte – das sind mehr als die Mö und die Spitalerstraße zählen. Und die knapp 70.000 Quadratmeter Einzelhandelsflächen sind mehr, als die Bezirkszentren Bergedorf oder Wandsbek aufweisen.
Fast ein Jahrzehnt wurde die Vernetzung der City mit der HafenCity versäumt
All diese Zahlen sind nicht neu. Und doch ist in den vergangenen neun Jahren so gut wie nichts passiert, um die beiden neuen Stadtzentren vernünftig zu verknüpfen. Zwar werden immer wieder gute Ideen diskutiert – zuletzt die „High Line“, eine begrünte Brücke über die Domachse als Vorschlag von SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf –, aber passiert ist bislang nichts. Und so charmant die Idee der City-Management-Geschäftsführerin Brigitte Engler auch ist, eine Art Cable Car zwischen den Stadtteilen kreisen zu lassen, man ahnt doch: Bis Ostern 2024, wenn das Westfield-Hamburg-Überseequartier eröffnet, wird das nichts werden.
In Hamburg tagen Arbeitskreise und runde Tische, Beraterstäbe und Koordinatoren, am Ende aber tut sich so gut wie nichts. Dabei ist die Lage inzwischen so ernst wie nie zuvor. Denn zu der schlagartigen Angebotserweiterung in der HafenCity gesellen sich Trends, die schon einer Innenstadt ohne neue Konkurrenz zu schaffen machen: Das Wachstum des Onlinehandels geht unvermindert weiter, die Generation Internet kennt Einkaufen nur noch als „Sendung mit der Maus“. Zugleich nähen Wirtschaftskrise und Inflation die Taschen der Verbraucher zu.
Schieflage des Signa-Imperiums eines René Benko verschlimmert die Lage
Seit der Schieflage des Signa-Imperiums eines René Benko hat sich die Lage für die Hamburger Innenstadt noch einmal zugespitzt: Zwar mag der Elbtower am Rande der HafenCity stehen, viel schlimmer aber sind die Benko-Brachen im Herzen der Stadt. Die alte Gänsemarkt-Passage ist abgeräumt, doch etwas Neues wird auf sich warten lassen. Die schönen Ideen für den Gerhart-Hauptmann-Platz, an den gleich drei Signa-Immobilien grenzen, sind passé. Und auch die Eins-a-Immobilien Alsterhaus, Alsterarkaden und Kaufmannshaus gehören zum verschlungenen Reich des Österreichers.
Für eine Verbesserung sind alle gefragt: Vermieter, Händler, Konsumenten
Nicht besser macht die Lage, dass der Jungfernstieg zur Partyzone und die Spitalerstraße zur Obdachlosenmeile zu verkommen drohen. Abwarten und wegschauen ist keine Lösung.
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Und auch wenn für die Verbesserung der Lage alle gefordert sind – bescheidenere Vermieter, kauflustige Bürger und kreative Einzelhändler –, darf sich die Politik nicht davonstehlen. Was muss noch passieren, bevor die Lage der City ganz oben auf der Prioritätenliste des Senats erscheint? Zwar präsentieren alle Parteien bunte Papiere, aber daraus wird noch keine Innenstadtstrategie.
Abwarten und zuschauen mag im vergangenen Jahrzehnt funktioniert haben, nun läuft die Zeit ab.