Hamburg. Westfield will Überseequartier 2023 eröffnen – ein Stück Stadt in der Stadt mit zehn Kinosälen, Hotels, Wohnungen und mehr.

Es ist die Baustelle der Superlative: Direkt an der Elbe, im südlichen Überseequartier der HafenCity, entsteht ein neuer Stadtteil. Hier drehen sich 27 Kräne, hier wachsen 14 Gebäude in die Höhe. Die Investitionssumme beträgt mehr als eine Milliarde Euro, auf einer Gesamtfläche von 419.000 Quadratmetern entstehen 580 Wohnungen, Büros für 4000 Arbeitsplätze, drei Hotels, zehn Kinosäle sowie 200 Flächen für Einzelhandel, Gastronomie und Unterhaltung. Der Investor erwartet 16,2 Millionen Besucher jährlich. Der Herr dieser Riesenbaustelle ist Dirk Hünerbein, „Director of Development Austria & Germany“ bei Westfield. Im Gespräch mit dem Abendblatt beschreibt er das Riesenprojekt, das Ende 2023 Eröffnung feiern soll.

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„Die Idee der HafenCity war die Innenstadterweiterung an die Elbe“, sagt Hünerbein. „Bislang war mit ‚Stadt‘ der Ort um die Alster gemeint. Das Überseequartier wird als Herzstück der HafenCity nun die Verlängerung dieser ,Stadt‘ bis an die Elbe.“ Deshalb sei es von elementarer Bedeutung, eine Achse von der Innenstadt über den Domplatz bis zum Überseequartier zu schlagen. „Da müssen wir noch ein bisschen Gas geben. Keiner hat sich die Ost-West-Straße als Barriere gewünscht.“

Immobilien Hamburg: Überseequartier entsteht in der HafenCity

Vorerst gehe es um kleine Schritte, die Verbindung attraktiver zu gestalten, etwa über einen durchgehenden Fahrradweg und einen funktionierenden Fußweg. Die Innenstadt und die HafenCity sollten an mehreren Stellen vernetzt werden. „Im Idealfall gibt es einen Rundlauf durch beide Viertel – ein Viereck vom Rathaus zur Elbphilharmonie und über das Überseequartier zurück zur Mö.“ Hünerbein hat den Stadtplan im Kopf: „Der Weg ist viel näher, als viele denken. Wenn man bei der Petrikirche abbiegt, hat man schon die Speicherstadt vor Augen – und dahinter die HafenCity mit dem Überseequartier.“

Am Ende dieses Weges, direkt an der Elbe, soll ein Wahrzeichen entstehen – das 70 Meter hohe Bürogebäude „Skysegel“, ein weißes skulpturales Gebäude, das sich wie ein Segel aufspannt. Entworfen hat das Hochhaus der Pritzker-Preisträger Christian de Portzamparc aus Frankreich. Es ist eines von 14 Gebäuden, die das Quartier bilden und durch ein filigranes Glasdach zusammengehalten werden. An der Vorderseite bilden zwei gläserne Zwillingstürme das Entree.

16.06.2022, Hamburg: Dirk Hünerbein, Director of Development Germany bei Unibail-Rodamco-Westfield auf einer Baustelle im Überseequartier in der Hafencity. Foto: Thorsten Ahlf / Funke Foto Services
16.06.2022, Hamburg: Dirk Hünerbein, Director of Development Germany bei Unibail-Rodamco-Westfield auf einer Baustelle im Überseequartier in der Hafencity. Foto: Thorsten Ahlf / Funke Foto Services © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

„Wenn ich heute auf die Baustelle gehe, zieht es mich als Erstes zum Wasser. Die Elbe hat eine große Anziehungskraft“, sagt Hünerbein. Der Kritik, hier hätte ein großer Platz wie etwa der Markusplatz in Venedig entstehen müssen, widerspricht der Architekt und Stadtplaner. „Die Spannung einer Stadt zwischen Dichte und Weite lebt die HafenCity – und das Westfield Hamburg-Überseequartier.“ Dort fänden sich Gassen, die im Sommer Schatten spenden, und Freiflächen wie der geplante Überseeplatz. „Auch an der Elbe weitet sich ein Platz auf. Die Kritik stimmt einfach nicht.“

Für Westfield, einen internationalen Immobilienkonzern mit Sitz in Paris, ist das Hamburger Projekt ein Novum – dabei betreibt er mit den Einkaufszentren Stratford in London, dem Les 4 Temps in Paris oder dem Centro in Oberhausen Branchengrößen. „Im Westfield Hamburg-Überseequartier geht es um viel mehr als ums Einkaufen. Das ist das erste Projekt, bei dem wir ein Stück Innenstadt mit der ganzen Nutzungsmischung entwickeln, alle Aspekte des Lebens wie Wohnen, Arbeiten und Freizeit verbinden. In unserem Unternehmen richten sich viele Augen auf Hamburg“, sagt Hünerbein.

Sechstgrößtes Einzelhandelsumfeld

Das Überseequartier wird nach seiner Vollendung das sechstgrößte zusammenhängende Einzelhandelsumfeld der Bundesrepublik. Natürlich gehöre Einkaufen wie in jeder Innenstadt dazu, sagt der „Director of Development“: „Wir bauen aber keine Kiste, kein Shopping-Center, sondern ein offenes Quartier.“ In den Erdgeschossen gebe es 200 Einheiten für öffentliche Nutzung, Geschäfte, Restaurants und Freizeit. „Einkaufen muss in Zeiten des Internethandels nicht mehr zwangsläufig im Laden stattfinden, deshalb muss es zum Erlebnis werden. Wenn die Menschen sich entscheiden, shoppen zu gehen, haben sie die Erwartung, alles zu finden.“

So soll sich das Überseequartier von klassischen Einkaufszentren unterscheiden, die Westfield zuletzt im schwedischen Solna nördlich von Stockholm entwickelt hat. „Es gibt die Erwartung, bestimmte Marken vor Ort zu finden. Diese großen Weltmarken werden präsent sein. Wir sind aber hier an einem speziellen Ort in einer speziellen Stadt.“ Deshalb habe Westfield höhere Hürden aufgestellt, deshalb gebe es harte Verhandlungen. „Copy and Paste ist nicht genug: Die Marken werden sich vor Ort einzigartig präsentieren.“ Eine Wiederholung des Immergleichen soll es im Überseequartier nicht geben. So kommt das Luxuskaufhaus Breuninger erstmals in den Norden Deutschlands und wird auf 14.000 Quadratmetern Ankermieter. „Sie schaffen es, Markenwelten zu präsentieren.“ Neben dem erfolgreichen Onlinehandel investieren die Stuttgarter nun in einen Standort zum Anfassen – und mit großer Auswahl.

Hünerbein verspricht zudem Hamburger Lokalkolorit. „Wir haben eine Mischung mit lokalen Einzelhändlern – Perlen, die es so anderswo eben nicht gibt.“ In den Stadtteilen suche Westfield nach Anbietern, die passen. Und mit Rewe und Budni streben zwei Hamburger Urgesteine mit einem besonderen Konzept ins Quartier.

„Shopping wird die schönste Nebensache der Welt“, verspricht der 51-Jährige. „Wir setzen auch auf Freizeitgestaltung außerhalb der Öffnungszeiten.“ Zehn Kinosäle entstehen im Zentrum des Quartiers – das größte Lichtspielhaus der Stadt. Zudem gibt es mit dem Legoland Discovery Center, dem dritten Standort in Deutschland, Angebote für Familien. Ein weiterer Baustein der Unterhaltung wird der Port des Lumières, der Hafen der Lichter, nach dem Vorbild des französischen Ateliers des Lumières. Dort werden die Werke berühmter Künstler digital in Pixel zerlegt und auf Wände, Decken, Stützen und Böden projiziert. „Hier wird Kunst zum Erlebnis, man taucht in ein Kunstwerk ein, erlebt es gemeinschaftlich.“ Das Konzept gibt es weltweit siebenmal, etwa in Paris, Amsterdam, Dubai und Paris. „Man geht nicht nur zum Shoppen ins Quartier“, sagt der Vater von drei Töchtern.

Integration des neuen Kreuzfahrtterminals

Rund um die Uhr wird das Überseequartier geöffnet sein, jederzeit kann man ständig durch die Straßen schlendern. Das gastronomische Angebot ist umfassend – direkt an der Hafenkante wird Spitzengastronomie geboten, in einem der Doppeltürme ist eine Bar im 13. Geschoss geplant. Die Soulkitchen verspricht wie auf einem Markt schnelle und preiswerte Mahlzeiten, eine Braugaststätte und eine Kaffeerösterei runden das Konzept ab.

„Es gibt auch Nachfrage nach Clubs und Livemusik. Da sind wir noch etwas zögerlich. Wir wollen dieses neue Stück Stadt erst einstudieren. Das ist nicht trivial. Wir werden das Quartier ja nicht nur bauen, sondern danach auch betreiben.“ Nach 22 Uhr werde man etwas Rücksicht auf die Bewohner nehmen müssen – immerhin 579 Wohnungen sollen dort entstehen. Ein modernes Haus mit Serviceappartements für die Altersgruppe ab 60 ist ebenso geplant wie normale Wohnungen. Der heute übliche Drittelmix von Eigentums-, Miet- und Sozialwohnungen war zum Zeitpunkt der Planung noch nicht vorgesehen. Dafür hat der Investor die Anzahl der Wohnungen erhöht.

Teure, aber auch preisgünstige Hotels

Zudem machen drei Hotels in verschiedenen Segmenten an der Elbe fest. Neben einem preisgünstigen Haus wird es ein Drei-Sterne-Plus- und ein Vier-Sterne-Plus-Hotel geben. Integriert in das Quartier wird das neue Kreuzfahrtterminal, das als Provisorium schon einmal in der HafenCity lag. „Dabei ging es um die Frage: Wie können wir die Stadt am Kreuzfahrttourismus teilhaben lassen und die Abfertigung in die City holen?“ Die Gäste müssen keine Busse oder Taxis mehr besteigen, sondern können gleich in die U 4 im Keller steigen.“ Wie groß die Schiffe werden, werde noch diskutiert. „Es wird eher um die mittleren Größen gehen bis höchstens 1000 Passagiere. Niemand muss Angst haben, dass die Stadt mit Touristen überschwemmt wird. Aber sie gehören zu jeder Innenstadt – und sind wichtig für Hamburg und dieses Quartier.“

Umstritten ist das XXL-Quartier in der Hansestadt seit Jahren. Erst kürzlich hatte der renommierte Architekturkritiker Gert Kähler Dimension und Baumasse kritisiert. „Wir haben die HafenCity gebaut, weil die Lage so großartig ist. Die Elbe, die Brücken, die alten Hafenbecken machen diesen Ort einzigartig und zeigen das amphibische Hamburg“, sagte er im Podcast „Was wird aus Hamburg?“. Die Entscheidung für das südliche Überseequartier sei in der Finanzkrise aus der Angst heraus getroffen worden, das Areal sonst nicht entwickeln zu können. „Wahrscheinlich wäre es damals besser gewesen, noch fünf Jahre zu warten.“

Immobilien Hamburg: Manche Probleme hausgemacht

Hünerbein kennt die Kritik – und will sie mit einem funktionierenden Quartier widerlegen. Die Fertigstellung musste wegen Corona um ein Jahr verschoben werden und ist für Herbst 2023 angepeilt. „So Gott will, werden wir das schaffen.“ Die Lage mit der Pandemie, Lieferengpässen und Rohstoffpreisexplosionen sei schwierig. „Die Probleme sind brutal. Wir erleben nun, dass Kapazitäten in den Markt zurückkehren, weil große Firmen im Wohnungsbau aufgrund der Preise aussteigen.“ Die Lieferengpässe schlügen dramatisch auf die Baustellen an der Elbe durch: „Bauteile für die Haustechnik hängen in irgendwelchen Containern fest“, nennt er ein Beispiel. Auch Baustoffe wie Aluminium, Kupfer, Stahl würden knapp. „Ich bin fast überrascht, dass wir immer noch Baustahl finden. Der kommt glitzernd aus den Fabriken und muss noch auf der Baustelle anrosten. So etwas habe ich nie erlebt.“

Manche Probleme sind sogar hausgemacht – weil Unibail-Rodamco-Westfield in der HafenCity nachhaltigeres Bauen wagt. So ist der Beton CO2-arm. „Die Herstellung des Zements verbraucht am meisten Energie im gesamten Bauprozess. Erstmals haben wir Beton eingesetzt, der nur die Hälfte an CO2 verbraucht. Dieser wird genauso hart und fest, benötigt aber längere Trocknungsphasen. Das erschwert die Baulogistik, aber ist die Sache wert.“ Auch die Finanzmärkte treiben die Investoren inzwischen, nachhaltig und ökologisch zu bauen. Deshalb wurde der Aushub vor Ort nicht per Lkw, sondern von Schiffen abtransportiert. „Das Überseequartier ist noch kein Bauwerk von übermorgen“, sagt Hünerbein. „Aber es hat die besten Standards von heute.“

Knapp zehn Jahre nach Planung fertig

Doch wie modern kann ein Quartier sein, das 2014 erdacht wurde und ein knappes Jahrzehnt später fertig wird? „Das ist das Problem, das alle Immobilien haben – sie müssen zukunftsfähig sein. Wir mussten wegen Corona nichts umplanen. Das ist nicht angedacht, aber wir könnten beispielsweise Hotels oder Büros eines Tages in Wohnungen umwandeln. Das Quartier wird sehr lange funktionieren.“ Die Eröffnung an der Elbe ist im Ganzen geplant – vielleicht mit einer großen Party: „Man muss das Quartier als Ganzes fühlen, da muss Leben sein, da reichen nicht ein paar Läden.“