Altstadt. Hunderte Wohnungen sollen die Innenstadt beleben – ein Spaziergang mit Oberbaudirektor Franz-Josef Höing zu den Plätzen des Wandels.
Manchmal wirken die Hamburger etwas pubertär. Ihre Stimmungen schwanken. Mal himmelhochjauchzend, dann zu Tode betrübt, erst selbstgewiss, dann zweifelzerfressen. Wer heute die Lage der Innenstadt der eben noch schönsten Stadt der Welt anspricht, bekommt Sorgenfalten und Sorgenmienen als Antwort.
Der Leerstand! Die Corona-Krise! Der Online-Handel! Das Überseequartier. Die Verwahrlosung des öffentlichen Raumes – im Stichwort-Stakkato entsteht ein Bild, das nicht unbedingt die Wirklichkeit zeigt. Nun sollte man die Probleme nicht kleinreden, aber auch nicht aufbauschen. Die City steht vor Herausforderungen, aber wer sagt, dass diese nicht zu meistern sind?
Ein Blick hinter die Bauzäune
Optimist von Berufswegen ist Oberbaudirektor Franz-Josef Höing. Er muss die Veränderung in der Stadt gestalten und lädt das Abendblatt zu einem Stadtbummel der anderen Art. Hier geht es nicht um die Auslagen in den Schaufenstern, sondern um Blicke hinter Bauzäune.
An vielen Stellen von Neu- und Altstadt entstehen derzeit neue Gebäude und ganze Viertel, die den alten City-Mix von Handel und Büroräumen substanziell erweitern – um Hotels, Gastronomie und Wohnungen. In den kommenden rund fünf Jahren sollen rund 900 Wohnungen entstehen. Und damit ein Makel des Nachkriegshamburg beseitigen helfen.
Bedeutungswandel für die Innenstadt
Die City ist lange Zeit eine Stadt zum Arbeiten, zum Einkaufen gewesen, aber kaum eine zum Leben. In den letzte eineinhalb Jahrhunderten sind die Wohnungen verschwunden, die Gängeviertel in Schutt gelegt und Wohnhäuser zerstört worden. Lebten 1880 noch rund 171.000 Menschen im Stadtkern, blieben es bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 66.000 Bewohner. Diese Zahl rutschte bis Ende der 70er-Jahre auf 12.000 ab. Inzwischen steigt die Bevölkerungszahl wieder. An vielen Stellen sprießt neues Leben.
Allen voran im Burstah-Quartier, selbstbewusst auf den Bauzäunen als „ein Viertel mehr Hamburg“ vermarktet, das nun seiner Vollendung entgegenstrebt. „Hier finden wir eine urbane Dichte, die aber angemessen ist“, sagt Höing. Dort, wo einst das Allianz-Hochhaus wie ein übergroßes Möbelstück die Stadt zugestellt hat, stehen nun wieder vier maßstäbliche Gebäude – und die einst überbaute Bohnenstraße kehrt auf den Stadtplan zurück.
Wohnen am Hopfenmarkt mit Blick auf die Elbphilharmonie
63 Wohnungen mit einer Kaltmiete ab 15 Euro den Quadratmeter sind dort entstanden, die ersten bereits bezogen. Von dort oben blickt man auf die Reste der Nikolaikirche über den Hopfenmarkt bis zur Elbphilharmonie, vom tosenden Verkehr der Ost-West-Straße ist hier oben nicht zu hören.
Doch nicht nur die Wohnungen, auch mehrere Gastronomieflächen sollen das Viertel beleben: Der Platz zur Kirche hin wird bestuhlt, die Pizzeria 60 Seconds to Napoli eröffnet ihren ersten Standort in Hamburg mit großer Terrasse zum Fleet. Ein Schweizer Küchenhersteller und der vietnamesische Autobauer Vinfast beziehen Showrooms.
Beachclub könnte ins Burstah-Quartier ziehen
Und in der letzten verbliebenen Baulücke neben dem Globushof plant Adam Filipiak, Geschäftsführer des Hamburger Projektentwicklers Bilton Real Estate, vorerst einen temporären Beachclub. 32.000 der 44.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche werden Büros sein. Ein zeitgemäßer Mix? „Büroflächen sind heiß begehrt, gerade in der Stadt“, sagt Filipiak.
Eine Einschätzung, die Dennis Barth ausdrücklich teilt. Der Geschäftsführer der Procom Invest plant nur einen Steinwurf entfernt das frühere Commerzbank-Areal neu. Er betont: „Die Nachfrage nach modernen Büroflächen ist gigantisch. Man muss den Mitarbeitern heute ein attraktives Umfeld bieten.“ Zudem werden Neubauten aus einem weiteren Grund attraktiv – die bessere Energieeffizienz senkt die Nebenkosten um bis zu fünf Euro im Vergleich zu wenig effizienten Bestandsbauten.
Große Pläne für die Nikolai-Insel
Procom Invest will bis 2027 die Nikolai-Insel neu bebauen. Das alte Verwaltungsgebäude der Commerzbank und das Hochhaus des Architekten Godber Nissen werden abgerissen; einer der beiden Neubauten des Büros Bruno Fioretti Marquez wird aber Elemente des weißen Altbaus aufgreifen. Geplant sind hier weitere 100 Wohnungen im Drittel-Mix – also die hamburgtypische Mischung aus Eigentums-, Mietwohnungen und gefördertem Mietwohnungsbau.
Auch an dieser Stelle richten sich hohe Erwartungen an die Kraft der Gastronomie, die laut Barth ein „urbanes Gebiet“ schaffen soll. Tatsächlich bedarf es nicht viel Fantasie, um sich hier ein Straßencafé mit Blick aufs Wasser und auf St. Nikolai vorzustellen. Auf lebendigen Restaurants, Cafés und Biergärten, vor allem aber dem Wohnen ruhen die Hoffnungen auf eine Wiederbelebung der Stadt.
Oberbaudirektor will überall Wohnungen bauen
„Jedes Projekt muss auf das Thema Wohnen einzahlen“, sagt Höing. „Jeder Investor muss sich damit auseinandersetzen. Das ist mitunter zäh und anstrengend, aber oft stehen am Ende innovative Lösungen.“ Der Oberbaudirektor spricht mit Blick auf die Stadt von „Trittsteinen, die überall entstehen“.
Bis vor wenigen Jahren wurde die Stadt fast ohne diese Trittsteine geplant. Wer heute durch die City schlendert, dem springen die Versäumnisse ins Auge. Bürobau grenzt an Bürobau, manche davon mit abweisenden Betonfassaden. Hier will die Politik Leben in die Stadt bringen. „Bislang haben wir Wohnungen eher auf Inseln wie in der Neustadt oder auf dem Cremon“, sagt Höing. „Wir wollen das Wohnen aber überall ermöglichen.“
Gastronomie soll die Straßen beleben
Wohnungen und Büros stehen dabei nicht unbedingt in Konkurrenz, sondern ergänzen sich. Sie müssen es auch, denn der Fehler früherer Jahre, als die Stadt nach Funktionen getrennt wurde und damit ein Stück weit starb, soll sich nicht wiederholen. Wo sich das Leben mischt, erlischt es nicht nach Feierabend. Deshalb ist eine Mischkalkulation längst geboten und die Einnahmen aus der Bürovermietung müssen dann beispielsweise Erdgeschossflächen quersubventionieren. „Gastro kommt wieder“, sagt Filipiak. „Da muss man manchmal aber auch Preisabschläge hinnehmen.“
Dem Neß kommt dabei eine wichtige städtische Funktion zu – denn er soll dereinst das Rathaus mit dem Überseequartier verbinden, eine Fußgängerzone schließt das neue Quartier an die City an. „Das wird einer der schönsten Orte der Innenstadt“, verspricht Barth. „Und eine hohe Aufenthaltsqualität bringt Leben.“ Derzeit ist es dort nicht. Der große Altbau der Bank steht längst leer und wird bald abgerissen, das Hochhaus wendet sich geradezu demonstrativ von den Straße ab.
Alter Fischmarkt steht vor der Umgestaltung
Gleich um die Ecke am Alten Fischmarkt steht die nächste Stadtreparatur an. „Bislang muss man den Alten Fischmarkt geradezu suchen“, sagt Höing. In der Domstraße plant nun der Projektentwickler Aug. Prien Großes. Hier sollen zwei Gebäude neu errichtet werden, die Büros, Gastronomie und 60 Wohnungen im Drittelmix beherbergen sollen. Ließe sich das Scientology-Haus an der Ecke zur Domstraße miteinbeziehen, könnte sogar das ganze Dreieck zwischen Rathausquartier, Kontorhausviertel und HafenCity neu gedacht werden. Das aber dürfte angesichts der Eigentumsverhältnisse scheitern.
Am Domplatz liegt einer der Schlüssel, um die neue mit der alten Innenstadt zu verbinden. „Die Menschen müssen über die breite Domstraße hinüber“, sagt Höing. Mit den beiden ambitionierten Neubauten, entworfen von Carsten Roth Architekt, und publikumsbezogenen Nutzungen soll das gelingen. Der bestehende Altbau, in dem sich heute die „Brooklyn Burger Bar“ befindet, wird abgerissen. Voraussichtlich 2028, vielleicht aber auch erst 2030, soll das neue Quartier fertig sein.
Johann Kontor am Klosterwall steht vor der Vollendung
Wesentlich weiter ist Aug. Prien am Klosterwall, wo das Johann Kontor entsteht. Ein gewaltiger Backsteinriegel ersetzt dort die vier Hochhäuser des City-Hofs. Im Norden zur Steinstraße entsteht ein Hotel mit 225 Zimmern, das im Herbst übergeben werden soll. Im Süden wird Maersk 2024 in das Büro- und Geschäftsgebäude einziehen. Dort sind die Gerüste schon gefallen.
Der mittlere Block mit 146 Wohnungen und einem Frischemarkt soll im Frühjahr/Sommer komplett fertig sein. Dort entsteht auch eine Kita und damit eine für das Wohnen wichtige Infrastruktur. „Das Johann Kontor wird eine richtig gute Adresse werden“, ist sich Frank Holst, Geschäftsführer beim Projektentwickler Aug. Prien sicher. „Das Quartier entwickelt sich und wird sich weiter beleben.“
Steinstraße wird umgestaltet
Noch braucht man dafür viel Fantasie – die Ecke rund um die Steinstraße liegt weiter in einem Dornröschenschlaf. Viel Ödnis, wenig Leben, Noch ist es eher Baustelle und Parkraum denn quirlige Stadt. Aber auch die Steinstraße wird sich verändern.
Das Parkhaus von Galeria Kaufhof, ein hässlicher Zweckbau aus vergangenen Zeiten der autogerechten Stadt, wird verschwinden und durch ein „bewohntes Kontorhaus“ ersetzt, wie Florian Reiff, Geschäftsführer bei Tishman Speyer, verspricht. Dort soll eine bewohnte Bürowelt wachsen, in der beispielsweise Start-up Unternehmer oder Agenturgründer in ihren Loftbüros leben.
Auch in den alten Kaufhof könnten Wohnungen ziehen
„So eine Mischung brauchen wir“, sagt Höing. Zugleich werde die Stadt dafür sorgen, dass die Bugenhagen- und die Steinstraße sich verändern. „Wir wollen die Steinstraße beleben und damit die Lage und das Wohnumfeld verbessern.“ Und auch die Straße Lange Mühren, noch tote Parkzone, soll erwachen. Schon bald könnten hier etwa über Container eine temporäre Nutzungen entstehen.
Der Umbau das alten Klöpperhauses nach Plänen von NoAarchitecten aus Brüssel steht in den Startlöchern. Im Dachgeschossen möchte Tishman Speyer 16 bis 18 ungewöhnliche Wohnungen schaffen. „Wir fangen jetzt an, die ersten Bauanträge sind schon eingereicht. Reiff verspricht neues Leben im alten Kaufhaus. „Vom denkmalgeschützten Bau soll so viel erhalten bleiben wie möglich.“ Um die tiefen Etagenschluchten zu belichten, wird ein aktiver Innenhof im Gebäude entstehen. .
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Auf die Umwidmung des alten Kaufhauses werden nicht nur Hamburger blicken – denn mit der Aufwertung dieses Tores zur Innenstadt steht und fällt auch das Schicksal der Mö. Das Kaufhaus-Dreieck aus Karstadt Sport, Saturn und Kaufhof ist längst nur noch ein Eineck, auch kreative Zwischennutzungen wie im Jupiter vermögen nicht die Anziehungskraft der alten Magneten zu entwickeln. Es geht darum, neue Zugpferde zu satteln: Lebendige Plätze, attraktive Gastronomie, Kultur -- und Wohnen, Wohnen, Wohnen.
Nun allerdings erschwert die Explosion der Baukosten und die gestiegenen Zinsen die ambitionierten Ziele. Die Hansestadt hält dagegen, indem sie das Planungs- und Bauordnungsrecht entschlackt und den Drittelmix seit 2021 erst ab Vorhaben mit mehr als 30 Wohneinheiten verbindlich verlangt.
Mit jeder neuen Wohnung kehrt ein wenig Leben zurück
Denn es muss schnell etwas passieren: Mit jeder neuen Wohnung kehrt ein wenig Leben zurück in die City, die einst nur zum Einkaufen und Arbeiten gedacht war. Ob 100 Wohnungen am Alten Wall, 50 Wohnungen an der Kleinen Rosenstraße, 61 im Gröninger Hof, kleine und größere Projekte hier und da, in der City aber auch etwa im Portugiesenviertel, am Venusberg oder im Deutschlandhaus, Hamburgs Herz wächst an vielen Orten.
„Die Innenstadt ist viel größer als die Mö“, sagt Höing. An vielen Orten bewege sich die Stadt: „Wir dürfen aber nicht nur reden, jetzt muss es konkret werden.“