Hamburg. Beihilfe zum Mord im KZ Stutthof: Richterin Meier-Göring wendet sich direkt an Bruno D. und verurteilt ihn zu zwei Jahren.
Der frühere KZ-Wachmann Bruno D. ist mitschuldig an beispiellosen Verbrechen. Aber der 93-Jährige muss dafür nicht in Gefängnis. Im sogenannten Stutthof-Prozess um die Ermordung Tausender Gefangener in dem Konzentrationslager Stutthof bei Danzig hat das Gericht den Hamburger zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt. „Sie waren einer der Gehilfen dieser menschgemachten Hölle“, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring an den Angeklagten gewandt über die Qualen der Gefangenen in dem Konzentrationslager der Nationalsozialisten.
Das Gericht sprach den Angeklagten der Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen sowie in einem Fall der Beihilfe zum versuchten Mord schuldig. Bruno D. hatte vom 9. August 1944 bis zum 26. April 1945 als damals 17-Jähriger beziehungsweise 18-Jähriger im Konzentrationslager seinen Wachdienst verrichtet und dabei auf dem Turm gestanden, mit dem Gewehr in der Hand.
"Sie hätten zumindest versuchen müssen, sich dem Grauen zu entziehen"
„Es war ein furchtbares Unrecht und strafbar, was Sie getan haben“, sagte Richterin Meier-Göring. „Sie hätten nicht mitmachen müssen. Sie hätten zumindest versuchen müssen, sich dem Grauen zu entziehen“, wie es einige andere getan hätten. Bruno D. hätte „nicht einen verbrecherischen Befehl befolgen und schon gar nicht sich darauf berufen dürfen“. Der Angeklagte verfolgte die mehr als einstündige Urteilsbegründung, ohne dass eine äußere Regung sichtbar wäre.
In seinem sogenannten letzten Wort hatte er am Montag gesagt: „Durch die Berichte der Zeugen und die Gutachten ist mir erst das ganze Ausmaß der Grausamkeiten und die Leiden bewusst geworden. Heute möchte ich mich bei denen, die durch die Hölle des Wahnsinns gegangen sind, und bei deren Angehörigen entschuldigen. So etwas darf niemals wiederholt werden.“
Gericht: Mord verjährt nie
Die Anklage hatte dem heute 93-Jährigen vorgeworfen, er habe mit seinem Wachdienst die „heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“, weil er Flucht und Revolte von Gefangenen des Lagers verhindert habe. Er sei „ein Rädchen in der Mordmaschinerie“ gewesen, hieß es in der Anklage.
„Dieses Verfahren war schwierig, rechtlich und menschlich“, sagte die Vorsitzende Richterin. „Es hat uns allen viel abverlangt, am allermeisten den Nebenklägern, die uns von der Hölle von Stutthof berichtet haben.“ Diese Überlebenden hätten von den damaligen Verhältnissen berichtet, weil sie sich „der Würde des Menschen, der Mitmenschlichkeit“ verpflichtet gefühlt“ hätten.
Die Kammer erkenne es an, dass Bruno D. es geschafft habe, sich in seinem letzten Wort bei den Opfern zu entschuldigen. „Sie haben angefangen, sich Ihrer Schuld zu nähern, und das in Ihrem hohen Alter.“ Allerdings habe Bruno D. damals seine Menschlichkeit und sein Gewissen vergessen. „Wie konnten Sie sich an das Grauen gewöhnen und es nur noch eintönig finden?“
Der Angeklagte müsse verstehen, dass er als Mensch „dieses entsetzliche Unrecht als Mensch angetan haben und dafür bestraft werden müssen, auch noch ganz am Ende ihres Lebens. Mord verjährt nie.“
Konzentrationslager Stutthof: Gaskammer und Genickschussanlage
Rund 65.000 Menschen wurden in Stutthof ermordet, in der Gaskammer, in hinterhältigen Genickschussanlagen, die als Mittel für medizinische Untersuchungen getarnt waren. Sie starben durch auch durch die katastrophalen Lebensbedingungen, mit extrem harter Zwangsarbeit, nur sehr wenig zu essen, bei Kälte, an Krankheiten, denen ihre Körper wegen ihres Ausgezehrtseins nichts mehr entgegen zu setzen hatten. Es waren Menschen, die mit ihrer Ankunft im Konzentartionslager von den Nazis nur noch als Nummer betrachtet wurden.
Gefangene, die dazu bestimmt waren, umgebracht oder gezielt sterben gelassen zu werden. Überlebende des Konzentrationslagers hatten im Prozess das Grauen geschildert, hatten von Erschießungen, von Sadismus, von Quälereien erzählt, vom ständigen Hunger. „Menschliche Leichen, das war der Alltag im Lager, fast an jeder Stelle“, hatte ein 93-Jähriger erzählt.
Erschütternde Berichte von Überlebenden
Ein anderer Überlebender hatte berichtet, seine Aufgabe sei es gewesen, Knochen zusammensammeln und „auf irgendwelche Wagen“ laden zu müssen. Eine 89-Jährige hatte beispielsweise berichtet, dass sie bei ihrer Ankunft in Stutthof eine „Riesenpyramide von Schuhen“ gesehen habe. Sie habe sofort befürchtet: „Hier kommst du nicht mehr lebend heraus.“ Die Zeugen schilderten Misshandlungen, die katastrophalen hygienischen Verhältnisse. Es fielen Worte wie „Tragödie“, „Unmenschlich“, „Markaber“, „Tortur“, „Willkür“.
Bruno D. hatte als Angeklagter zum Prozessauftakt gesagt, er habe „nur auf dem Turm gestanden“ und nie seine Waffe eingesetzt. Er habe damals im Konzentrationslager Stutthof zwar viele Leichen gesehen. Aber: „Ich habe niemandem ein Leid angetan“, hatte er beteuert. Er habe seinen Dienst auf dem Wachturm verrichten müssen. Andernfalls, wenn er Befehle verweigert hätte, hätte er sich selber in Lebensgefahr gebracht, hatte er immer wieder gesagt.
Sachverständiger widerlegt den Angeklagten
Ein historischer Sachverständiger hatte indes anhand von dokumentierten Beispielen anderer Wachleute aus der Nazizeit aufgezeigt, dass SS-Männer sich beispielsweise auf einen psychischen Notstand berufen, sich in Außenlager versetzen oder zur Wehrmacht hätten beordern lassen können.
Die Staatsanwaltschaft hatte für Bruno D. drei Jahre Freiheitsstrafe gefordert. Der damalige Wachmann habe den Genozid „als das begriffen, was er war: ein staatlich angeordneter Massenmord“, hatte Oberstaatsanwalt Lars Mahnke in seinem Plädoyer gesagt. Bruno D. habe „gewusst, um was es ging“. Verteidiger Stefan Waterkamp hatte dagegen auf Freispruch für seinen Mandanten plädiert. Der Anwalt hatte argumentiert, die alleinige Mitgliedschaft in der SS-Wachmannschaft sei in der deutschen Rechtssprechung bislang nicht als Beihilfe zum Mord gewertet worden.
Wachmann Bruno D. war erst 17 Jahre alt
Für die Haupttat, die Ermordung von 5230 Menschen zwischen August 1944 und April 1945, sei es egal gewesen, ob der Angeklagte auf dem Wachturm gestanden habe oder nicht. Den Terror gegen die Gefangenen hätten die SS-Mannschaften im Lager und deren Helfer, die sogenannten Kapos, ausgeübt. In jedem Fall war ein Urteil nach Jugendrecht erforderlich, weil der Angeklagte zur Tatzeit erst 17 beziehungsweise 18 Jahre alt war.
Das Gericht entschied, Bruno D. müsse nur einen Teil der Kosten des Prozesses tragen, auch weil dies ihn andernfalls finanziell ruinieren würde. Einen Großteil der Kosten müsse der Staat übernehmen. "Sie waren Gehilfe eines im wesentlichen vom deutschen Staat begangen Unrechts."