Hamburg. Zahlen zu Abschulungen auf Stadtteilschule zeigen: 40 Prozent hatten Gymnasialempfehlung. Was Linken-Fraktionschefin nun fordert.

  • Wenn Schüler auf dem Gymnasium nach der siebten Klasse nicht versetzt werden, müssen sie wechseln
  • Hamburger Senat gab nun Zahlen zu diesen Abschulungen auf Stadtteilschulen heraus
  • Es gibt auch ein Ungleichgewicht zwischen Jungen und Mädchen

Zwar geben die Grundschullehrer für jeden Schüler eine Empfehlung für die weitere Schullaufbahn ab, aber Eltern und Kinder können die Schulform in Hamburg frei wählen.

Erst am Ende der sechsten Klasse entscheiden die Noten. Wer nicht nach Klasse sieben des Gymnasiums versetzt wird, muss auf eine Stadtteilschule wechseln und hat bis zum Abitur ein Jahr länger Zeit. Die Zahl dieser Abschulungen ist im vergangenen Schuljahr 2022/23 mit 709 Schülerinnen und Schülern gegenüber dem Schuljahr 2021/22 (710 Abschulungen) nahezu gleich geblieben.

Schule Hamburg: An welchen Gymnasien es die meisten Wechsel auf Stadtteilschule gibt

Im längerfristigen Trend zeigt sich allerdings ein Rückgang – trotz insgesamt steigender Schülerzahlen: Im Schuljahr 2021/22 mussten noch 827 Jungen und Mädchen das Gymnasium am Ende von Klasse sechs verlassen, im Schuljahr 2019/20 waren 955 und im Jahr davor 933 Kinder.

Laut der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktionschefin Sabine Boeddinghaus hatten im abgelaufenen Schuljahr 38,6 Prozent der Schulformwechsler eine Gymnasialempfehlung. Ihnen war also am Ende der Grundschulzeit zugetraut worden, das Gymnasium in acht Jahren bis zum Abitur zu durchlaufen.

Mehr Jungen als Mädchen mussten Gymnasium nach der Sechsten verlassen

Es gibt ein Ungleichgewicht hinsichtlich der Geschlechter: Während nur 317 Mädchen (44,7 Prozent) das Gymnasium verlassen mussten, waren es 392 Jungen (55,3 Prozent). Bemerkenswert ist, dass die Abschulungsquoten am Ende der sechsten Klasse eine deutliche Spreizung zwischen den einzelnen gymnasialen Standorten aufweisen (siehe Grafik). Bei einem Drittel der 60 Standorte mussten mehr als zehn Prozent der Sechstklässler die Schule verlassen.

Mit 26,09 Prozent weist das Gymnasium Marienthal die höchste Abschulungsquote auf. Auf dem zweiten Platz folgt das Helmut-Schmidt-Gymnasium (Wilhelmsburg) mit 23,6 Prozent. Hier waren 38 Schülerinnen und Schüler betroffen, an keiner Schule waren es absolut gesehen mehr. Rund jeder fünfte Sechstklässler musste auch an diesen Standorten gehen: Gymnasium Osterbek (Bramfeld) 21,43 Prozent, Goethe-Gymnasium (Lurup) 21,09 Prozent und Louise-Weiss-Gymnasium (Hamm) 19,23 Prozent.

Abschulungsquote der Gymnasien liegt zwischen 0,6 und 26,09 Prozent

Unter den Gymnasien mit sehr wenigen „Rückläufern“, wie die Schulformwechsler auch genannt werden, finden sich auch mehrere traditionell sehr leistungsorientierte Standorte: Das Walddörfer-Gymnasium weist mit 0,6 Prozent die niedrigste Abschulungsquote aller Gymnasien auf, gefolgt vom Johanneum (Winterhude) mit 0,74 Prozent, dem Gymnasium Othmarschen mit 0,89 Prozent, dem Gymnasium Rissen mit 1,22 Prozent, dem Gymnasium Blankenese mit 1,81 Prozent und dem Christianeum (Othmarschen) mit 1,83 Prozent.

Schulformwechsel vom Gymnasium auf die Stadtteilschule sind auch in anderen Klassenstufen möglich. Im Vergleich zum Schuljahr 2021/22 mit 1431 Jungen und Mädchen ist die Zahl der Wechsel zwischen Klasse fünf und zwölf im Schuljahr 2022/23 leicht auf 1450 gestiegen. Auch hier ergibt sich jedoch ein Rückgang gegenüber früheren Jahren: 1607 Schulformwechsel waren es im Schuljahr 2018/19, 1663 im Schuljahr 2019/20 und 1474 im anschließenden Schuljahr.

Fast 40 Prozent der Schulformwechsler nach Klasse sechs hatten eine Gymnasialempfehlung

Dass die Gymnasialempfehlung am Ende der Grundschulzeit keine sichere Prognose für die weitere Schullaufbahn darstellt, zeigt auch der Blick auf die Klassenstufe zehn. Laut Senatsantwort auf die Linken-Anfrage hatte rund jeder vierte Zehntklässler (24,13 Prozent) am Gymnasium nach der vierten Klasse keine Empfehlung für diese Schulform erhalten. Hier fallen die Unterschiede zwischen Schülern (24,73 Prozent) und Schülerinnen (23,61 Prozent) relativ gering aus.

Auch für den Übergang in die Sekundarstufe II muss am Ende der zehnten Klasse ein bestimmter Notendurchschnitt erreicht werden. Rund ein Drittel (31,41 Prozent) der 640 Schülerinnen und Schüler, die die zehnte Klasse wiederholen mussten, hatte eine Gymnasialempfehlung. Dabei lag der Anteil der Wiederholer insgesamt an den Stadtteilschulen mit 8,8 Prozent des Jahrgangs deutlich über dem Anteil an Gymnasien mit 1,7 Prozent. Insgesamt 263 Schülerinnen und Schüler (4,07 Prozent) wechselten am Ende der zehnten Klasse in die elfte Klasse einer Stadtteilschule, um ein Jahr länger Zeit bis zum Abitur zu haben.

Aus Sicht von Linken-Fraktionschefin Boeddinghaus könnten Lehrkräfte genauso gut raten

Die Linken-Fraktionsvorsitzende Boeddinghaus lehnt die Gymnasialempfehlung ab. „Von den Schülerinnen und Schülern, die am Ende der sechsten Klasse des Gymnasiums verwiesen wurden, hatten fast 40 Prozent eine solche Empfehlung erhalten.

Sabine Boeddinghaus, Vorsitzende der Bürgerschaftsfraktion der Linken, lehnt die Gymnasialempfehlung am Ende der Grundschulzeit ab.
Sabine Boeddinghaus, Vorsitzende der Bürgerschaftsfraktion der Linken, lehnt die Gymnasialempfehlung am Ende der Grundschulzeit ab. © picture alliance / Christophe Gateau/dpa | Christophe Gateau

Bei dieser Quote könnten die Lehrkräfte genauso gut einfach raten“, sagt Boeddinghaus. Eine pädagogische Begründung für die Schulformempfehlung gebe es ohnehin nicht. „Dabei zeigen die geringeren Abschulungen während der Corona-Pandemie, dass es Gymnasien möglich ist, Schülerinnen und Schüler an ihren Schulen zu halten.“

Mehr zum Thema

Die Linken-Politikerin plädiert für die Abschaffung der Beurteilung. „Wir sollten unbedingt aufhören, die Schulen und die Familien mit dem Unsinn der Schulformempfehlung zu belästigen. Lehrkräfte urteilen aufgrund ihrer Annahmen über die Leistungsfähigkeit der Elternhäuser. Wer reich daherkommt, dem wird zugetraut, privat mehr in die Bildung des Kindes zu stecken. Dabei muss Fördern statt Auslesen endlich auf den Stundenplan“, sagt Boeddinghaus.

Am Ende von Klasse sechs kann eine Fünf im Hauptfach nicht ausgeglichen werden

Für die Versetzung in die siebte Klasse des Gymnasiums gelten strenge Regeln: Die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch müssen mindestens mit 4- bewertet sein. Eine Fünf in diesen Fächern kann nicht ausgeglichen werden. Der Durchschnitt der übrigen Fächer muss mindestens 4- betragen. In diesem Bereich können maximal zwei Fünfen durch zwei Dreien ausgeglichen werden. Die Schülerinnen und Schüler erhalten zum Halbjahr eine Prognose, ob die Versetzung nach Klasse sieben voraussichtlich erfolgen wird. Ist die Versetzung nach dem aktuellen Leistungsstand ausgeschlossen, erhalten die Eltern eine schriftliche Benachrichtigung.