Hamburg. Der Tatverdächtige äußerte immer wieder offen seinen Hass auf Migranten. Bei den anderen Hausbewohnern ist er gefürchtet.

Üppige rote Rosenbüsche säumen den Weg zur Hausnummer 47 in der kleinen Sackgasse am Tibarg in Niendorf. Diese ist schwierig zu finden, denn das Gebäude steht in zweiter Reihe. Wo in Niendorf am Pfingstwochenende ein Nachbar durch die Wohnungstür auf eine Schwangere geschossen hat, herrscht Ruhe – doch hinter den Türen ist die Unruhe groß.

Uwe M., der 48 Jahre alte Schütze, der auf seine pakistanische Nachbarin (24) geschossen hat, sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Der Tatvorwurf gegen den Neonazi: versuchter heimtückischer Mord.

Niendorf: Neonazi tyrannisierte seine Nachbarn – „unberechenbar“

Die Häuser der Nummern 45, 47 und 49 sind baugleich. Hausnummer 45 steht vorn an der Straße, die anderen beiden Häuser sind wie ein Doppelhaus mit je fünf Wohnungen konzipiert und sind durch den Keller verbunden. Für die Nachbarn ist die Situation entsetzlich.

„Dass er unberechenbar ist, wusste ich. Aber dass es so eskaliert, damit habe ich nicht gerechnet“, sagt eine Nachbarin, die schon viele Jahre hier lebt. Man kenne hier alle, manche auch nur vom Sehen. Ihren Namen will sie lieber nicht in der Zeitung lesen – denn niemand könne ja wissen, ob und wann ihr Nachbar freikommt.

Schütze aus Niendorf hatte Schlaganfall – und lebte isoliert

Uwe M., der Tatverdächtige, habe vor ein paar Jahren einen Schlaganfall gehabt und seither nicht mehr gearbeitet, sagt sie. Davor sei er auf dem Bau tätig gewesen. Und er habe ziemlich isoliert gelebt. „Seine Frau ist bestimmt schon zehn Jahre weg. Sie hat die Tochter mitgenommen, die ist inzwischen 19 Jahre alt. Es hatte Streit gegeben.“

Ihr Nachbar habe vor einigen Jahren, als immer mehr Flüchtlinge kamen, angefangen, vehement und lauthals auf diese zu schimpfen, sagt ein anderer Nachbar. Tatsächlich habe es mit einer Familie im Haus, die aus dem arabischen Raum stammte, viel Ärger gegeben. „Die haben viel Party gemacht, auch ab 22 Uhr abends. Auch während Corona haben die da mit 20 Leuten gefeiert.“ Diese Familie habe schließlich ausziehen müssen.

Schuss auf Tür von Nachbarin – schwangere Frau kommt aus Pakistan

Als die Araber noch im Haus lebten, habe Uwe M. einmal den Strom für das ganze Haus abgestellt, um das nervige Partymachen zu beenden. „Er hat dann bei uns geklingelt und uns erklärt, warum es dunkel geworden ist.“ Dafür habe er sogar noch eine gewisse Sympathie gehabt, sagt der Nachbar.

Danach sei ein junges Paar aus Pakistan in die Erdgeschosswohnung eingezogen. „Die gehen arbeiten, die machen keinen Lärm, die sind friedlich“, so die Erfahrung ihres Nachbarn. Aber der Tatverdächtige habe keinen Unterschied gemacht: „Er schert alle über einen Kamm und äußert sich sehr rechts.“

Neonazi aus Niendorf soll lautstark gehetzt haben

Er selbst habe sich deshalb mit Uwe M. gar nicht mehr unterhalten mögen, weil dieser auch auf der Straße sehr lautstark gehetzt habe mit schlimmen Worten. „Er sprach von Affen, Kanaken, Mistpack und weiteren solchen Ausdrucksweisen. „Ich habe mich distanziert, denn er redete sehr laut und in sehr abfälliger Weise. Das muss ich nicht haben. Das fällt ja sonst auf einen selbst zurück.“

Vorbei an üppig blühenden Rosen führt der Fußweg zum Tatort im Haus, das in zweiter Reihe in Niendorf steht.
Vorbei an üppig blühenden Rosen führt der Fußweg zum Tatort im Haus, das in zweiter Reihe in Niendorf steht. © Elisabeth Jessen | Elisabeth Jessen

„Die Nachbarschaft hat Angst vor ihm, weil er so schnell ausrastet und die Leute beschimpft. Sie fühlen sich von ihm tyrannisiert – nicht nur die ausländischen Nachbarn. Er hat sich total reingesteigert. Er konnte es einfach nicht ab, dass nach den Arabern schon wieder Ausländer eingezogen sind“, sagt die Nachbarin.

Nachdem ein Schuss fiel, zitterte bei den Niendorfer Nachbarn der Sessel

Als am Sonnabend der Schuss fiel, hätten sie erst an einen Böller gedacht. „Der ganze Sessel hat gezittert.“ Uwe M. habe schon früher öfter mit Böllern hantiert. „Wir haben dann als Erstes bei uns in der Wohnung das Licht ausgemacht und wollten die Polizei rufen, aber die war dann schon im Hof zu sehen.“

„Wenn er nach diesem Knall bei uns geklingelt hätte, so wie damals, als er den Strom ausgeschaltet hat – diesmal hätte ich nicht aufgemacht“, sagt sein Nachbar.

Der Tatverdächtige habe sich offen rechts geäußert. Dass er Nazi-Devotionalien und illegale Waffen besaß, war in der Nachbarschaft nicht bekannt. Es sei ein schlimmes Gefühl, nicht zu wissen, wie es jetzt weitergeht. „Ich habe Angst und fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, dass er freikommen könnte“, sagt die Nachbarin.