Hamburg. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist vor zwölf Jahren zurückgetreten. Seine Erinnerungen daran sind hochaktuell.

Er fasziniert die Deutschen noch immer: Karl-Theodor zu Guttenberg war gerade einmal 14 Monate Verteidigungsminister, und doch elektrisiert er die Bürger mehr als sein Vorgänger Franz-Josef Jung (47 Monate) oder sein Nachfolger Thomas de Maizière (33 Monate Amtszeit).

Das mag an seiner (Fehl-)Entscheidung gelegen haben, die Wehrpflicht auszusetzen, oder seinem Mut, Tacheles zu reden und den Krieg in Afghanistan als „Krieg“ zu bezeichnen. Wahrscheinlicher aber ist, dass er den Menschen ein Dutzend Jahre später vor allem wegen seines Auftretens erinnerlich ist. Der jugendliche Minister – bei Amtsantritt noch keine 38 Jahre alt – wirkte erfrischend anders und bot eine Projektionsfläche für die Wünsche und Sehnsüchte nach einer anderen Politik.

In Hamburg erzählt Guttenberg offen über sein Leben

Deshalb hört man ihm auch heute zu, beispielsweise vor einigen Tagen, als er im Oberhafenquartier auf Einladung des Allgemeinen Hamburger Presseclubs Position bezog. Gerade wie der frühere CSU-Politiker da über die Politik sprach, lässt aufhorchen. Denn was 2011 bei seinem Rücktritt galt, gilt heute umso mehr. Das Geschäft der Macht ist ein brutales, manchmal bitteres Geschäft – und das hat nicht nur mit internen Machtkämpfen zu tun, sondern auch mit dem Druck von außen, mit der Erwartung aller.

Schon das Arbeitspensum ist unmenschlich. Gäbe es Betriebsräte oder Gewerkschaften für Politiker, sie müssten sofort einen Arbeitskampf vom Zaun brechen. Guttenberg erzählt plastisch, wie er verschlafen morgens um halb 6 ein Marmeladenbrot schmierte und selten vor Mitternacht nach Hause kam. Seine damals kleinen Töchter sah der Minister drei Stunden. Nicht am Tag. In der Woche. Das werden manche für Selbstmitleid halten. Aber jeder prüfe sich angesichts seiner eigenen Work-Life-Balance-Philosophie, ob das Schimpfen auf „faule Politiker“ fair ist.

Für die Bezahlung ginge ein Manager nicht einmal zum Vorstellungsgespräch

Bezogen auf die Arbeitszeit sind Politiker lausig bezahlt – für die Entlohnung eines Oberbürgermeisters oder Bundesministers würde ein Manager nicht einmal zum Vorstellungsgespräch gehen.

Als Dankeschön mag es Wahlsiege und gelegentliche Beifallsstürme geben, oftmals aber gibt es vor allem eins auf die Mütze oder etwas tiefer gelegt mitten ins Gesicht.

Es reicht ein falsches Wort, ein lancierter Verdacht, eine gehässige Intrige, ja nur ein falscher Mensch auf demselben Foto, und das Problem ist da. Und es bleiben nur wenige Minuten für eine Reaktion, weil sich all das auf schrillen „Nachrichtenseiten“ im Internet und den asozialen Medien wie ein Lauffeuer verbreitet. Wer den Brand nicht sofort einhegt, kann ihn kaum noch stoppen. Dieser Druck hat sich in den vergangenen Jahren so weit gesteigert, dass Politiker kaum noch eine ruhige Minute haben. Natürlich sind die Parlamentarier nicht nur Opfer, sondern auch Täter – sie befeuern die Kanäle, aus denen sie beschossen werden. Aber jede ruhige Minute, jedes Abwägen, jedes Innehalten droht im politischen Prozess verloren zu gehen.

„Um 16 Uhr war damals Schluss mit der Jagd“

Früher, das erzählen nicht nur Guttenberg, sondern auch alte Fahrensleute, waren irgendwann die Zeitungen gedruckt und die Nachrichtenfilme gedreht. „Um 16 Uhr war damals Schluss mit der Jagd“, sagt der CSU-Mann.

Heute gibt es keinen Feierabend mehr. Der große Journalist Jürgen Leinemann hat schon 2004 in seinem Buch „Höhenrausch“ geschrieben: „Viele merken gar nicht, wie sie von einem Sog erfasst werden, der ihnen immer mehr äußeren Betrieb zumutet und immer mehr innere Freiheit nimmt.“ Guttenberg erzählt, dass er nach seinem Rücktritt monatelang ausgezehrt, matt, erschöpft war, er spricht von einem „Raubbau an Körper und Geist“.

Der Preis für einen Platz an der Sonne der Macht ist hoch

Das mag man eitel finden, vielleicht selbstmitleidig, aber es zeigt, wie hoch der Preis für den Platz an der Sonne der Macht ist. Eine Gesellschaft sollte ehrlich diskutieren, wie hoch sie diesen Preis noch treiben will. Irgendwann stellt sich die Frage, wer angesichts der Erwartungen und des Drucks noch bereit sein wird, in die Politik zu gehen. Guttenberg sagte der „Süddeutschen Zeitung“: „Es ist ein Geschäft, das zerstörerische Elemente hat. Ich bewundere diejenigen, die damit umgehen können und es nicht nur behaupten.“

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Die Demokratie aber benötigt freie Menschen, die sich auf allen Ebenen für das Gemeinwesen engagieren. Und da gilt unabhängig von Partei und Ausrichtung: Demokraten dürfen ihren Politikern auch einmal dankbar sein.