Hamburg. Die Bundesregierung leidet unter Vertrauensschwund – doch anders als früher profitiert davon nicht die CDU. Das könnte an Merz liegen.
Die CDU ist bescheiden geworden. Als nun das erste Meinungsforschungsinstitut der Union wieder den Sprung über die 30-Prozent-Hürde bescheinigte, frohlockte Parteichef Friedrich Merz: „Wir stehen in den Umfragen gut da.“
Es gab mal Zeiten, da hätten Aussichten auf 30 Prozent eine Palastrevolte in der Union ausgelöst. Noch im Wahljahr 2021 stand die CDU/CSU lange stabil in Umfragen bei 37 Prozent, bevor Armin Laschet den Turbo in den Abgrund schaltete.
Zu Oppositionszeiten lag die Union in Umfragen früher bei 50 Prozent
Angesichts der durchwachsenen Bilanz der Ampel sehen die Daten geradezu verheerend aus: Im Frühjahr 2003, bevor Kanzler Gerhard Schröder die rot-grüne Regierung auf Reformkurs zwang, kratzte die Union in den Umfragen knapp an der 50-Prozent-Marke. In der Geschichte der Bundesrepublik waren Opposition und Regierung stets kommunizierende Röhren – ging es beim einen abwärts, fuhr der andere aufwärts.
Damit ist es vorbei: Die Parteien der Ampelkoalition befinden sich alle mehr oder weniger im freien Fall – die Sozialdemokraten liegen rund zehn Prozentpunkte unter ihrem Bundestagswahlergebnis von 2021, die Grünen knapp darunter und die Liberalen sogar auf der politischen Intensivstation. Nun sind sie zwischenzeitlich unter die Fünf-Prozent-Marke gerutscht.
Die großen Gewinner sind die AfD - und die Freien Wähler
Doch der CDU ist es im Vergleich zur Bundestagswahl bislang nur gelungen, rund sieben Prozentpunkte hinzuzugewinnen, während die Ampel 17 Prozentpunkte verliert. Große Gewinner sind die Parteien am rechten Rand: Die AfD schöpft elf Prozentpunkte ab. Noch krasser war das Ergebnis in Bayern – hier wählte fast jeder Dritte eine Partei rechts der CSU. Der alte Satz von Franz-Josef Strauß, rechts von der CDU/CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, hat sich erledigt. Zugleich zeigt sich: Derzeit könnte für die Union rechts mehr zu gewinnen sein, als sie in der Mitte verlieren kann.
Angesichts dieser Zahlen darf man die Frage stellen, wie manche Kommentatoren und Merkelianer auf die Idee kommen, die Union dürfe bloß keinen Ausfallschritte nach rechts wagen – wer so argumentiert, gibt nicht nur beträchtliche Teile der Wählerschar auf, sondern stellt auch den Kern der Stabilität der Republik infrage.
Es ist klüger für die Mitte, die Ränder einzubinden
Es bleibt wichtig, Ränder politisch einzubinden. Zugleich zeigt sich, dass Friedrich Merz’ krasse Sprüche über ukrainische Sozialtouristen, Asylbewerber beim Zahnarzt, kleine Paschas oder seine seltsame Politgeografie („Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland“) beim Wähler offenbar besser ankommen als bei Leitartiklern. Geschadet haben sie der Union jedenfalls nicht.
Vielleicht muss die Republik nach Jahren der fehlenden Debatte sogar mehr Populismus aushalten. Populismus ist übrigens keine rechte Besonderheit – es gibt ihn auch von links, etwa wenn die Jusos wie jüngst für alle über 18-Jährigen ein Grunderbe von 60.000 Euro fordern.
Warum schafft Merz es nicht, die Union signifikant über 30 Prozent zu führen? Die einfache Antwort könnte lauten: Weil er es nicht kann. Zu viele Menschen fremdeln mit dem Sauerländer, der die Hirne erreichen mag, aber nicht die Herzen. Und der dann doch zu viele Fehler macht.
Nur: Wer außer Merz soll gegen Scholz antreten?
Das Problem der Union lautet: Wer soll es dann machen? Dass sich viele berufen und befähigt fühlen, bedeutet ja noch nicht, dass sie es am Ende auch sind. Die schwarz-grünen Ministerpräsidenten agieren eher geräuschlos, haben aber ein Problem: ihren Koalitionspartner. Viele Konservative wählen deshalb rechts, weil sie mit den Grünen und ihrer Politik hadern, mit der Migration, der Gesellschafts- und der Energiepolitik.
Diese Leute werden weder Hendrik Wüst noch Daniel Günther wählen. Die Union ist ja auch deshalb so schwach, weil sie in den Merkel-Jahren ihre eigene Programmatik fast komplett abgeräumt hat, um koalitionsfähig mit den Grünen zu sein. Das war nach dem Geschmack des Zeitgeistes – einige Zeitenwenden später zeigt sich: Es könnte falsch gewesen sein.
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Daniel Günther hat einen Fehler gemacht, als er sich 2022 in Kiel gegen ein Bündnis mit der FDP und für eine Koalition mit den Grünen entschied. Boris Rhein sieht es offenbar so und wechselt jetzt die Pferde. Er will in Hessen mit der SPD statt den Grünen koalieren. Damit könnte er in der Hierarchie der Herausforderer nach vorne rücken – und Günther in Kiel unter Zugzwang setzen ...