Hamburg. Lehrkräfte an Gymnasien und Stadtteilschulen sollen Arbeitszeit ein halbes Jahr genau erfassen. Dahinter steht Hamburger Sonderfall.

Wie viel arbeiten Hamburgs Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich? Und ist es bei den Pädagogen an den Gymnasien und Stadtteilschulen der Hansestadt vielleicht viel mehr als vertraglich eigentlich vorgesehen? Anfang November startet eine groß angelegte Arbeitszeit- und Belastungsstudie in Hamburg, die zum Ziel hat, genau dieses herauszufinden. Dabei geht es auch um eine Hamburger Besonderheit.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Hamburg unterstützt die Untersuchung, die von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen unter Leitung von Dr. Frank Mußmann durchgeführt wird. Die GEW ruft alle Hamburger Lehrkräfte an Gymnasien und Stadtteilschulen auf, ihre Arbeitszeit vollständig und über das komplette zweite Schulhalbjahr 2023/2024 hinweg zu erfassen.

Schule Hamburg: Studie soll geplante und echte Arbeitszeit zeigen

Zunächst steht der Soll-Ist-Abgleich im Vordergrund, also die Überprüfung der echten Arbeitszeit gegenüber der geplanten. Hier wird es eine Gesamtschau geben, aber den teilnehmenden Hamburger Lehrkräften werde auch individuell ein Überblick über ihr ganz persönliches Soll und Ist geboten, hieß es am Freitag bei der Vorstellung der geplanten Studie. Darüber hinaus werde auch ein differenzierter Blick darauf möglich, in welchen Aufgabenbereichen der Lehrer es Mehrarbeit gibt. Die erhobenen Daten sollen dann mit dem Ergebnis von Studien in Niedersachsen, Frankfurt und Sachsen vergleichbar sein.

Ein weiteres Ergebnis nahm die GEW bei der Vorstellung der Studienplanung am Freitag gleich schon einmal vorweg: Es sei „davon auszugehen, dass diese Studie offenlegt, in welchem Maß Lehrkräfte über die Grenzen der geplanten wie auch der durch den Gesundheitsschutz vorgeschriebenen Arbeitszeit arbeiten“, hieß es. Dies sei das Ergebnis anderer vergleichbarer Studien gewesen, die gezeigt hätten, dass Pausen und unterrichtsfreie Zeiten nicht die notwendige Erholung ermöglichten.

Lehrer Hamburg: Arbeitszeitmodell an Schulen ist einzigartig

Hintergrund der Studie ist eine Hamburger Besonderheit: Im Jahr 2003 hatte der damalige Senator Rudolf Lange (FDP), im Senat von Ole von Beust (CDU) für Schule zuständig, ein bundesweit einmaliges Lehrerarbeitszeitmodell eingeführt – unter heftigen Protesten der Gewerkschaften. Es erfasst alle Aufgaben eines Lehrers, neben dem Unterricht also auch die Vor- und Nachbereitung, Klassenlehreraufgaben und Korrekturen, Konferenzen, Fortbildungen, Vertretungsstunden oder Fachleitungsaufgaben und soll die Arbeit gerechter verteilen. Zu diesem Zweck wurden die einzelnen Fächer und die Schulstufen mit Faktoren versehen, die den Deutschunterricht in der Oberstufe beispielsweise höher bewerten als Sport in der Grundschule.

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Auch Ferienzeiten flossen mit ein, sodass die Lehrkräfte während der Unterrichtswochen ein höheres Deputat haben. Später war das Lehrerarbeitszeitmodell noch einmal modifiziert worden, nachdem eine unabhängige Kommission unter dem Vorsitz der früheren nordrhein-westfälischen Kultusministerin Gabriele Behler es im Auftrag von Langes Nachfolgerin auf den Prüfstand gestellt hatte. Das Modell sollte für mehr Gerechtigkeit sorgen, doch Gewerkschaften und Opposition kritisierten von Beginn an, dass es die Belastung der Lehrkräfte unter dem Strich erhöhe.

GEW will „Realitätscheck“ für Modell – Überprüfung überfällig

„Nun fasst also die GEW Hamburg selbst mit an: die Überprüfung der Lehrerarbeitszeitverordnung, welche von Beginn an gefordert wurde. Nach 20 Jahren unsäglicher Auskömmlichkeit, Entgrenzung und Verantwortungslosigkeit wird es wirklich ‚Zeit für echte Zeit‘, um Faktoren und vereinzelt manchmal sogar Veränderungen unter der Hand einem Realitätscheck zu unterziehen“, sagte am Freitag auch Hamburgs GEW-Chef Sven Quiring. Hamburg stehe mit dem Jahresarbeitszeitmodell, der geplanten Faktorisierung einzelner Unterrichtsstunden und Tätigkeitsbereiche als Sonderfall zwischen den Wochenpflichtstundenmodellen der anderen Bundesländer, ergänzte Yvonne Heimbüchel, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hamburg.

Studienleiter Frank Mußmann will untersuchen, was sind die Vor- und Nachteile des Hamburger Faktorenmodells in arbeitszeitpolitischer Hinsicht sind und ob die eingeführten Zeitfaktoren nach über 20 Jahren noch zeitgemäß sind. „Es ist überfällig, dass ein Modell, das vor 20 Jahren eine normative Erwartung an den Zeitaufwand von Lehrkräften für unterrichtsbezogene Aufgaben formuliert hat, auf den Prüfstand kommt. Mich würde doch sehr wundern, wenn der Abgleich mit der Realität nicht dringende Anpassungsnotwendigkeiten im Modell aufzeigen wird“, so Torben Willander, Lehrer an einer Stadtteilschule.