Hamburg. In Hamburg fallen doppelt so viele Stunden wie vor Corona aus. Der Blick auf die Schulformen offenbart deutliche Unterschiede.

Wenn Eltern ihre Zufriedenheit mit der Schule ihrer Kinder bewerten, spielt der Unterrichtsausfall eine zentrale Rolle. Je mehr Stunden gar nicht oder nicht regulär gegeben werden, desto größer ist der Ärger. Die aktuellen Hamburger Daten zur ersten Hälfte des Schuljahres 2022/23, die jetzt vorliegen, zeigen einen erneuten Anstieg des Stundenausfalls.

Laut der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Birgit Stöver betrug der Anteil ersatzlos ausgefallener Unterrichtsstunden 1,61 Prozent über alle staatlichen allgemeinbildenden Schulformen hinweg.

Schule Hamburg: Unterricht fällt doppelt so oft aus wie vor Corona

In absoluten Zahlen ausgedrückt, fielen exakt 88.273 Stunden aus. Das bedeutet eine Steigerung um 0,4 Prozentpunkte gegenüber dem ersten Halbjahr des Schuljahres 2021/22 und sogar eine Verdoppelung gegenüber der Zeit vor der Corona-Pandemie: Im ersten Halbjahr des Schuljahres 2019/20 lag der Anteil ersatzlos ausgefallener Stunden bei 0,79 Prozent.

„Dabei ist zu berücksichtigen, dass in diesem Halbjahr (des Schuljahres 2022/23, die Red.) die Schulen mit einer starken Welle von Infektionskrankheiten zu kämpfen hatten“, fügt der Senat in seiner Antwort erläuternd hinzu.

Schule: Am höchsten ist der Unterrichtsausfall in Hamburg an Stadtteilschulen

Der Blick auf die Schulformen offenbart deutliche Unterschiede: Der Stundenausfall an den Grundschulen ist mit 0,32 Prozent praktisch unverändert gegenüber dem Vorjahr und fällt an den Sonderschulen mit 0,67 Prozent (plus 0,22 Prozentpunkte) relativ moderat aus.

Dagegen verzeichnen die Gymnasien einen Zuwachs um 0,59 Prozentpunkte, sodass 1,92 Prozent aller Stunden ersatzlos ausgefallen sind. Am größten ist das Problem des Stundenausfalls an den Stadtteilschulen: Mit einem Plus von 0,7 Prozent wurden 2,76 Prozent des Unterrichts nicht gegeben.

Auch wenn die Durchschnittswerte auf den ersten Blick vergleichsweise niedrig erscheinen, so weichen die Zahlen von Schule zu Schule doch erheblich ab. An elf der 58 staatlichen Stadtteilschulen ist im ersten Schulhalbjahr mehr als jede 25. Stunde ersatzlos ausgefallen:

  • Elisabeth Lange (Eißendorf) 4,35 Prozent ausgefallene Stunden,
  • Erich Kästner (Farmsen) 5,20 Prozent,
  • Geschwister Scholl (Osdorf) 6,75 Prozent,
  • Gretel Bergmann (Neuallermöhe) 5,51 Prozent,
  • Altona 4,11 Prozent,
  • Bergedorf 4,90 Prozent,
  • Finkenwerder 5,51 Prozent,
  • Fischbek-Falkenberg 4,60 Prozent,
  • Flottbek 5,78 Prozent,
  • Helmuth Hübener (Barmbek-Nord) 4,90 Prozent
  • Poppenbüttel 4,67 Prozent.

An 102 der 194 Grundschulen in Hamburg fiel nicht eine Stunde aus

Sechs der 67 Gymnasien haben einen überdurchschnittlich hohen Unterrichtsausfall verzeichnet:

  • Charlotte Paulsen (Wandsbek) 5,33 Prozent,
  • Johanneum (Winterhude) 6,22 Prozent,
  • Goethe (Lurup) 4,01 Prozent,
  • Eppendorf 5,09 Prozent,
  • Heidberg (Langenhorn) 4,43 Prozent
  • Hochrad (Othmarschen) 4,71 Prozent.

Bemerkenswert ist, dass nur zwei der 194 Grundschulen mehr als vier Prozent ausgefallene Stunden aufweisen: die Standorte Appelhoff (Steilshoop) 4,99 Prozent und Neubergerweg (Langenhorn) 5,12 Prozent.

Andererseits ist an 102 Grundschulen – mehr als der Hälfte aller Standorte – nicht eine einzige Unterrichtsstunde ausgefallen. Diese makellose Bilanz weisen nur vier weiterführende Schulen auf: die neu gegründete Campusschule HafenCity, das Abendgymnasium Vor dem Holstentore (St. Pauli), das Heisenberg- (Eißendorf) und das Matthias-Claudius-Gymnasium (Wandsbek).

1100 Lehrerstellen stehen zur Vermeidung von Unterrichtsausfall zur Verfügung

Zur Vermeidung von Stundenausfall und zur auch kurzfristigen Gewährleistung von Vertretungsunterricht erhalten alle staatlichen Schulen über den regulären Bedarf hinaus zusätzliche Lehrerstellen zugewiesen.

Gymnasien und Stadtteilschulen werden mit 104 Prozent der rechnerisch aufgrund der Schülerzahl erforderlichen Stellen ausgestattet, bei Grundschulen sind es zwischen 104 und 110 Prozent. Diese Vertretungs- und Organisationsreserve umfasst insgesamt 493 Stellen.

Laut Arbeitszeitverordnung ist für jede Vollzeitstelle zudem eine Wochenstunde für Vertretung vorgesehen. Das entspricht einem Volumen von rund 570 Vollzeitkräften. Insgesamt stehen den Schulen laut Senat rund 1100 Stellen zur Vermeidung von Ausfällen zur Verfügung. Damit könnten 12,4 Prozent des Regelunterrichts vertreten werden.

An acht Schulen in Hamburg musste fast jede sechste Stunde vertreten werden

Darüber hinaus erhalten die Schulen sogenannte Vertretungsmittel, die bei Bedarf von der Behörde abgerufen werden müssen. Für alle staatlichen allgemeinbildenden Schulen standen 76,798 Millionen Euro zur Verfügung, von denen 61,269 Millionen Euro zum Stichtag 6. Juli 2023 abgerufen worden waren. Das zur Verfügung gestellte Geld verfällt nicht, sodass aus den Resten mehrerer Jahre insgesamt 48,215 Millionen Euro schulischer Reserven zu Buch stehen.

Wie nötig die zusätzlichen Ressourcen sind, zeigt auch ein Blick auf die Schulen mit den höchsten Anteilen an vertretenen Stunden. An diesen Standorten mussten und konnten mehr als 15 Prozent, also fast jede sechste der regulären Stunden, vertreten werden: die Grundschulen Fährstraße (Wilhelmsburg) 15,87 Prozent, Großlohering (Rahlstedt) 16,68 Prozent, Osterbrook (Hamm) 17,91 Prozent, Sinstorfer Weg (Marmstorf) 18,61 Prozent, Charlottenburger Straße (Jenfeld) 15,26 Prozent, Öjendorfer Damm (Jenfeld) 17,97 Prozent und Stengelestraße (Horn) 15,55 Prozent. Der Spitzenwert wird für die Schule Beim Pachthof (Horn) mit 21,52 Prozent angegeben.

Auch der Anteil des Vertretungsunterrichts ist gestiegen

Auch der Anteil des Vertretungsunterrichts ist im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit gestiegen: von 6,78 Prozent im ersten Halbjahr des Schuljahres 2019/20 auf jetzt 7,75 Prozent. Idealerweise wird eine Unterrichtsstunde, die nicht von der regulären Lehrkraft gegeben werden kann, fachidentisch von einem Kollegen oder von einem anderen Lehrer der Klasse gegeben, der die Schülerinnen und Schüler also kennt.

Weniger gut ist die Vertretung durch einen Arbeitsauftrag, wobei die Schüler in der Regel ohne Lehrkraft im Klassenraum sind, oder durch Aufteilung oder Zusammenlegung von Klassen. Im ersten Halbjahr 2022/23 wurden auf diese drei Arten der Vertretung 147.956 Stunden gegeben – das entspricht einem Anteil von 2,7 Prozent. Vor vier Jahren lag die Quote noch bei lediglich 2,2 Prozent.

CDU: „Von dem Ziel, Unterrichtsausfall nachhaltig zu reduzieren, ist nichts zu spüren“

„Im Rahmen der Verhandlungen zum Schulfrieden 2019 hatten wir uns darauf verständigt, den Unterrichtsausfall nachhaltig zu reduzieren. Heute – vier Jahre später – ist davon nichts zu spüren“, kritisiert die CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver.

Das Ziel des zwischen SPD, Grünen, CDU und FDP vereinbarten Schulfriedens, den Anteil des „Unterrichts nach Stundentafel“ zu erhöhen, sei ebenso wenig erreicht worden wie die Absenkung des Anteils „Vertretung durch Arbeitsauftrag“, der mittelfristig sogar halbiert werden sollte.

Zwar sei es sehr vielen Schulen gelungen, ganz ohne Unterrichtsausfall auszukommen. Dafür gebe es andere Standorte mit einem Anteil von mehr als fünf Prozent ersatzlos gestrichener Stunden und einem hohen Anteil an Vertretungsunterricht.

Zum höchsten Wert von 21,52 Prozent Vertretungsstunden sagte Stöver: „Das bedeutet, dass mehr als mehr als ein Fünftel des Unterrichts an dieser Schule nicht planmäßig erteilt wurde. Das ist ein Unding und aus Sicht der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern nicht hinnehmbar.“

Die für 2021 angekündigte neue „Vertretungsrichtlinie“ kommt erst 2024

Die CDU-Politikerin fragt, „welche Anstrengungen die Schulbehörde unternimmt, um der negativen Entwicklung entgegenzuwirken“. Stöver weist darauf hin, dass der Senat bereits 2019 in einer Stellungnahme für die Bürgerschaft erklärt hatte, dass eine Neufassung der „Richtlinie zur Vermeidung von Unterrichtsausfall und zur Organisation von Vertretungsunterricht“ in Arbeit sei. Die gültige Version stammt aus dem Jahr 1998.

Zunächst teilte der Senat mit, die Neufassung solle zum 1. August 2021 eingeführt werden. Doch seitdem wurde der Termin für Fertigstellung und Start Jahr um Jahr verschoben – zunächst auch mit dem Hinweis auf die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie.

In der Antwort auf die aktuelle Stöver-Anfrage erklärt der Senat nun, dass der zuletzt vorgesehene Termin, 1. August 2023, erneut nicht gehalten wird. „Geplant ist, die Vertretungsrichtlinie zum 1. August 2024 in Kraft zu setzen“, heißt es in der Senatsantwort.

CDU: Verlässlich stattfindender Unterricht nur „eine leere Floskel“?

Wegen der Herausforderungen durch die Aufnahme der insbesondere aus der Ukraine geflüchteten Schülerinnen und Schüler sowie durch das Inkrafttreten der neuen Bildungspläne, so der Senat, seien die Beratungen mit den Schulpraktikern zum Thema Unterrichtsausfall noch nicht abgeschlossen.

Stöver reicht das als Erklärung nicht: „Ich erwarte von der Behörde, dass sie jetzt endlich deutlich macht, dass sie ernsthaft an der Erreichung des Ziels, den Unterrichtsausfall zu reduzieren, interessiert ist.“ Sonst sei der Standardsatz des Senats bei Kleinen Anfragen, dass verlässlich stattfindender Unterricht eine wesentliche Grundlage für erfolgreiches Lernen sei, „eine leere Floskel“.