Hamburg. Anti-Gender-Initiative erwägt Eilantrag beim Landesverfassungsgericht – es geht um Chancen der Digitalisierung.

Die erste Hürde haben die Gegner des Genderns in Hamburgs Schulen und Behörden locker genommen, die nächste Hürde könnte ungleich schwerer zu überwinden sein: Denn das Volksbegehren fällt wegen gesetzlicher Fristen fast vollständig in die Sommerferien. Sofern die Fraktionen von SPD und Grünen einen Kompromiss mit der Volksinitiative „Schluss mit der Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ ablehnen – wovon nach jüngsten Aussagen auszugehen ist –, müsste die Volksinitiative bis Mitte Januar 2024 das Volksbegehren beantragen. Das Begehren beginnt in diesem Fall ab dem 10. Juli 2024 mit der Briefeintragung. Eine Woche später starten die Hamburger Sommerferien. Das Quorum der 66.000 Unterschriften dürfte dann deutlich schwerer erreichbar sein.

Deshalb hoffte die Initiative auf die Segnungen der Digitalisierung – aber wohl vergeblich. Eine digitale Eintragung mit Personalausweis und Geheimnummer kommt auch im Jahr 2024 in Hamburg nicht infrage. Dies zumindest geht aus der Antwort des Senats auf eine Schriftliche Kleine Anfrage der CDU-Abgeordneten André Trepoll und Richard Seelmaecker hervor.

Digitalisierung in Hamburg: „Darüber hinaus hat sich der Senat hiermit nicht befasst.“

In der Begründung des Senats heißt es juristisch: „Die Vorschrift zur Ermöglichung einer Eintragung im technischen Verfahren (§ 9 Absatz 2 Satz 2 VAbstG) wurde durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Volksabstimmungsgesetzes vom 12. Juni 2007 (HmbGVBl. S. 174) eingeführt. Eine nähere Ausgestaltung in der Volksabstimmungsverordnung sowie die Entwicklung und Implementierung eines technischen Verfahrens ist bisher nicht erfolgt.“

Im Klartext bedeutet das: Die Möglichkeit zur Digitalisierung besteht theoretisch seit 2007, aber die praktische Umsetzung fehlt. Zur Begründung heißt es, das letzte Volksbegehren habe im Herbst 2014 stattgefunden. „Ein technisches Verfahren sollte eine Nutzung über den temporären Einzelfall hinaus gewährleisten. (...) Darüber hinaus hat sich der Senat hiermit nicht befasst.“ Wer nicht auf einer der Listen oder der Eintragungsstelle unterschreibt, kann Briefwahl beantragen – per Telegramm, Telefax oder E-Mail.

Muss das Gericht entscheiden?

Die Volksinitiative zeigte sich überrascht von der Ankündigung des Senats, „die seit 16 Jahren im Volksabstimmungsgesetz vorgesehene Möglichkeit einer digitalen Unterstützung eines Volksbegehrens weiterhin nicht umzusetzen“. Die Initiative teilte auf Anfrage des Abendblatts mit: „Einfach ausgedrückt lautet die Antwort also: Haben wir nicht. Machen wir nicht.” Damit verstoße der Senat gegen das Volksabstimmungsgesetz. Die Initiative spricht sogar von einer „Blockade“.

„Das Gesetz stellt die Unterstützung in elektronischer Form nicht in das Belieben des Senats. Es ist als Recht der Bürger geregelt, der dadurch eine gesetzgeberische Aufgabe im Rahmen der Hamburgischen Verfassung wahrnimmt”, sagt Jens Jeep, der neue Vertrauensperson der Volksinitiative ist.

Digitalisierung in Hamburg: AusweisApp macht digitale Unterschrift möglich

Die Gender-Gegner erhöhen nun den Druck auf den Senat und drohen, das Landesverfassungsgericht anzurufen. „Für die Frage, ob der Senat seinen gesetzlichen Verpflichtungen aus dem Volksabstimmungsgesetz nachkommt, ist das Landesverfassungsgericht zuständig“, sagt Jeep. „Ich hoffe nicht, dass es nötig wird, dort einen Eilantrag zu stellen, um den Senat zu verpflichten, bis zum Beginn der Briefeintragungsfrist des Volksbegehrens am 10. Juli 2024 die technischen Voraussetzungen bereitzustellen, damit jeder Bürger Hamburgs seinem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf Volksgesetzgebung nachkommen kann. Und zwar so, wie es im Jahr 2023 selbstverständlich sein sollte: digital und online.”.”

Die technischen Möglichkeiten dazu existieren seit Langem: Mit dem elektronischen Personalausweis hat jeder Bürger die Möglichkeit, durch Scannen mit einer geeigneten App und Eingabe seiner PIN Dokumente online rechtssicher zu unterzeichnen. Die dazu nötige „AusweisApp2” des Bundes lässt sich auf jedes Smartphone laden. „Sie muss nicht erst von Hamburg entwickelt werden, wie die Aussage des Senats suggeriert“, kritisiert die Initiative.

Die Initiative sieht keine Probleme bei der digitalen Umsetzung, weder vom Aufwand noch von den Kosten: „Alles, was die Verwaltung tun muss, ist daher das Bereitstellen einer Webseite, auf die am Computer oder mobil zugegriffen wird und die sodann zur Unterstützung des Volksbegehrens die AusweisApp2 öffnet.“

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CDU-Politiker André Trepoll kritisiert die mangelnde Digitalisierung in Hamburg: „Dafür, dass der Senat sich regelmäßig für seine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung rühmt und betont, wie wichtig ihm die Bürgerbeteiligung ist, ist es ein Armutszeugnis, dass er bislang weder die Volksabstimmungsverordnung angepasst noch die Einführung eines technischen Verfahrens in Angriff genommen hat“, sagte er dem Abendblatt.

Der Senat müsse endlich seinen Worten Taten folgen lassen. „Es ist bitter, wenn Hamburg mit dieser Leistung sogar noch im bundesweiten Digitalisierungsindex gut abschneidet – ich möchte gar nicht wissen, wie es dann in den übrigen Bundesländern aussieht.“ Die CDU hatte die Volksinitiative unterstützt und selbst Unterschriften gesammelt.