Hamburg. Der neue Tunnel koste bis zu 14 Milliarden Euro und verursache gigantische Probleme, warnt „Prellbock“. Was die Bahn dazu sagt.
Kosten in Milliardenhöhe, kaum verkehrlicher Nutzen, dafür aber über mehr als zehn Jahre gigantische Baugruben und „unerträgliche Belastungen“ für die Bürger – mit diesen Argumenten hat die Bürgerinitiative Prellbock Altona den Kampf gegen den geplanten neuen S-Bahn-Tunnel aufgenommen.
„Böswillig könnte man sagen: Das ist ein vorsätzliches Programm zur Schwächung des Wirtschaftsstandortes Hamburg“, sagte Prellbock-Sprecher Michael Jung mit Blick auf die enormen Auswirkungen der Bauzeit. Die Initiative schätzt die Kosten für den „Verbindungsbahnentlastungstunnel“ (VET) auf neun bis 14 Milliarden Euro und ruft Senat und Deutsche Bahn auf, das Mammutprojekt zu stoppen und Alternativen zu prüfen.
S-Bahn Hamburg: Initiative warnt vor „Monstertunnel“ und Milliardenkosten
Dieser rund sechs bis acht Kilometer lange Tunnel soll grob der Verbindungsbahn folgen – vom Hauptbahnhof über Dammtor zum neuen Bahnhof Diebsteich. Wenn die täglich 645 S-Bahnen auf diesem Abschnitt unter der Erde fahren würden, könnte der oberirdische Fern- und Regionalverkehr vier statt zwei Gleise nutzen – daher der Name „Verbindungsbahnentlastungstunnel“.
Angestoßen hatte die Planung 2019 das Bundesverkehrsministerium. Bund, Bahn und Hamburger Senat sehen im VET „ein Schlüsselprojekt zur Umsetzung des Deutschlandtakts“, mit dem die Kapazitäten auf der Schiene verdoppelt werden sollen, wie die Deutsche Bahn jetzt auf Anfrage erneut betonte. Sie hat kürzlich eine Machbarkeitsstudie veröffentlicht, wonach das Projekt technisch machbar ist. Darin werden fünf alternative Trassen beschrieben.
Verkehrssenator Anjes Tjarks will sich bis Ende des Jahres auf eine Trasse festlegen
Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) will bis Ende des Jahres entscheiden, welche Trasse weiter verfolgt wird. Danach werde die Planung vertieft und Kosten benannt – in der Studie sind sie noch geschwärzt. In einem Zwischengutachten aus dem Jahr 2020 war von gut drei Milliarden Euro die Rede.
Diese Schätzung sei „definitiv nicht zu halten“, glauben die Prellbock-Vertreter. Sie orientieren sich am Bau der zweiten S-Bahn-Strecke in München, deren Kosten bei vergleichbaren Bedingungen schon von 2,5 auf 8,5 Milliarden Euro gestiegen seien, während sich die Fertigstellung von 2028 auf 2036 verzögere. Zu erwarten sei, dass die Gesamtkosten noch auf 14 Milliarden stiegen: „Dies dürften auch die Gesamtkosten für den VET werden“, so Prellbock. Die Ini hat auf Anfrage an den Bund erfahren, dass der neue Tunnel frühestens 2040 fertig sein soll, der Umbau der Verbindungsbahn dann 2045.
Initiative kämpft gegen die Verlagerung des Fernbahnhofs Altona nach Diebsteich
Eigentliches Anliegen von Prellbock ist der Kampf gegen die Verlagerung des Fernbahnhofs Altona nach Diebsteich. Die Vertreter halten den geplanten neuen Bahnhof für unterdimensioniert und glauben, dass der Tunnel das korrigieren solle. „Diebsteich-Desaster: Heilung durch VET-Monstertunnel?“, lautet daher die Überschrift über dem Termin am Mittwoch.
Dass durch den Tunnel auf der Verbindungsbahn neue Schienenkapazitäten frei werden, bestreitet die Initiative zwar nicht. Sie macht aber geltend, dass die bisherigen S-Bahn-Stationen Sternschanze und Holstenstraße in dem Zuge zu Regionalbahnhöfen werden sollen, an denen alle Nahverkehrszüge halten – das führe zu Verzögerungen und fresse den teuer erkauften Vorteil größtenteils wieder auf. Zwei Gleise mehr für den Dammtor-Bahnhof wären aus ihrer Sicht die bessere und günstigere Lösung.
„Hauptproblem für den Hamburger Bahnverkehr sind in Wahrheit die Elbbrücken“
Zudem sei die Verbindungsbahn gar nicht das Hauptproblem am überlasteten Bahnknotenpunkt Hamburg, sondern das seien die Norder- und Süderelbbrücken, so Michael Jung. Auch ein zusätzliches Gleis samt neuen Brücken über die beiden Elbarme, wie Verkehrssenator Tjarks es anstrebt, löse das Grundproblem nicht. Wenn ein Schiff gegen die Brücken fahre – so geschehen Anfang 2022 – oder es zu einem Brand an den Brücken komme – wie im August 2022 –, könne das Hamburgs Schienenverkehr Richtung Süden komplett lahmlegen.
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Prellbock fordert daher, ebenso wie Die Linke in der Bürgerschaft und Politiker unterschiedlicher Parteien aus dem Süden Hamburgs, als Alternative eine westliche Elbquerung von Hausbruch nach Altona – mindestens für die S-Bahn, eventuell auch für den Regionalverkehr. In Kombination mit einem Ausbau der Güterumgehungsbahn könne so ein Ring entstehen, der es ermögliche, den Hauptbahnhof zu umfahren. Bahn und Senat wirft die Initiative vor, den gesamten Schienenverkehr stattdessen durch den jetzt schon völlig überlasteten Bahnhof zu drücken.
Bahn: Westliche Elbquerung „nur mit größten technischen Herausforderungen realisierbar“
Eine Studie zu einer westlichen Elbquerung wird derzeit noch von der TU Hamburg-Harburg erarbeitet. Wie ein Bahnsprecher dem Abendblatt sagte, zeige sich aber bereits, „dass der Tunnel nur mit größten technischen Herausforderungen realisierbar wäre, da es sich im Gegensatz zum VET um einen Fernbahntunnel handelt, der auch einen wesentlich größeren Tunnelquerschnitt erfordert“. Der verkehrliche Nutzen sei „deutlich geringer“, und das nötige Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,0 werde nicht erreicht.
Dagegen könne der geplante Tunnel die Auslastung auf der Verbindungsbahn von heute 140 auf 80 Prozent reduzieren. Da aber künftig deutlich mehr Verkehre auf der Schiene in Hamburg gefahren werden solle, werde zusätzlich geprüft, „inwieweit die Güterumgehungsbahn hier zusätzlich Kapazitäten schaffen könnte“, so der Bahnsprecher.
VET benötigt fünf Baugruben von 220 Meter Länge und 20 bis 40 Meter Tiefe
Nicht wegzudiskutieren sind dagegen die enormen Auswirkungen beim Bau des VET. Unter Verweis auf die Machbarkeitsstudie zählt Prellbock auf: Fünf offene Baugruben von 220 Meter Länge, 50 Meter Breite und 20 bis 40 Meter Tiefe für den Bau der Stationen Hauptbahnhof, Dammtor und Diebsteich sowie zwei weitere, zum Beispiel an der Sternschanze oder am Schlump.
Allein der Hachmannplatz vor dem Hauptbahnhof werde auf Jahre eine einzige Baustelle sein, der Bahnhof von Osten nicht zugänglich und der bestehende S-Bahn-Verkehr massiv eingeschränkt. Wie berichtet, müssen zudem das Museum für Kunst und Gewerbe und das Ohnsorg-Theater für mindestens fünf Jahre ausziehen, da der Tunnel quasi durch ihre Keller führt.
S-Bahn Hamburg: 250.000 Lkw-Ladungen Aushub würden durch die Stadt fahren
Hinzu kämen ein gigantisches, dreistöckiges Abzweigebauwerk am Kaltenkircher Platz mit einer bis zu 50 Meter tiefen Baugrube, sechs Notausstiegsschächte mit bis zu 30 Meter tiefen Gruben sowie sechs bis zu 200 Meter lange Start- und Zielschächte für die Tunnelbohrmaschine. Schätzungsweise 250.000 Lkw-Ladungen à 30 Tonnen Aushub müssten durch die Stadt gefahren werden – neben den Baustellen eine weitere enorme zusätzliche Belastung für den Verkehr, so Prellbock.
„Vorübergehende Einschränkungen während der Bauzeit werden sich bei einem Verkehrsprojekt dieser Größenordnung nicht vermeiden lassen“, sagt die Bahn dazu. „Die Zielstellung für die weitere Planung ist es aber, Beeinträchtigungen so weit wie möglich zu minimieren.“