Vor 30 Jahren gründete die Hamburgerin einen Verein, der schon fast 50 Schulen am Hindukusch baute. Jetzt feiert sie ihren 90. Geburtstag. Nölle kann auf ein gewaltiges Werk blicken.
Hamburg. Afghanistan – das ist für viele Deutsche ein unangenehmes Kapitel, das sie gern umblättern möchten. 56 Bundeswehrsoldaten sind im Einsatz am Hindukusch gefallen, und nach Schätzungen von Wirtschaftsexperten des DIW könnte das deutsche Engagement am Ende mehr als 20 Milliarden Euro gekostet haben. Die Nachrichten aus Afghanistan sind meist trübe: Kämpfe, Anschläge, Korruption, Regierungsversagen. Doch es gibt auch ein ganz anderes Afghanistan. Und es gibt Erfolgsgeschichten, die die gebürtige Hamburgerin Ursula Nölle, die jetzt in Oststeinbek wohnt, zu erzählen weiß. Seit 1984 war sie bereits mehr als 30-mal in Afghanistan, wo man sie als „Mama Nölle“ kennt. Manchmal ist sie mutterseelenallein hingefahren.
Ursula Nölle ist die Gründerin, Ehrenvorsitzende und Mutterfigur des Vereins zur Unterstützung von Schulen für afghanische Flüchtlingskinder. Für Uneingeweihte klingt das zunächst ein wenig nach gut gemeintem, aber wenig erfolgreichem Gutmenschentum. Doch Ursula Nölle und ihre Mitarbeiter, voran die Vereinsvorsitzende Marga Flader, können auf ein gewaltiges Werk blicken: 47 Schulen hat der Verein schon in Afghanistan errichtet, zudem elf Erweiterungsbauten. Zwölf weitere Schulen wurden aufwendig saniert, Brunnen und Wasserbecken gebaut, ferner ein Ausbildungszentrum für die Lehrerfortbildung erstellt und Förderkurse für ältere Mädchen und Frauen organisiert. Zuletzt entstand in Masar-i-Scharif in der Provinz Balkh eine weitere Schule mit 22 Klassenräumen samt Kindergarten und Labortrakt. Später soll noch ein Studentenwohnheim hinzukommen. Zehntausende Kinder lernen in den Schulen des Vereins, in der uralten Karawanenstadt Andkhoi sind 40 Prozent von ihnen Mädchen. Am 27. September jährt sich die Gründung des Vereins zum 30. Mal. Und am 19. Oktober wird „Ulla“ Nölle 90 Jahre alt. Ihre Energie ist ungebrochen, im Frühjahr war sie zuletzt in Afghanistan. Den Olof-Palme-Preis hat sie gleich zweimal bekommen, obendrein das Bundesverdienstkreuz am Bande und auch Erster Klasse. Begonnen hatte alles, als sie 1983 mit ihren beiden Töchtern ein Flüchtlingslager in Pakistan besuchte und das unbeschreibliche Elend sah. Nach einem Gespräch mit einer pakistanischen Lehrerin beschloss sie spontan, eine Schule in Peschawar zu unterstützen. Das führte dann zu ihrem Engagement im kriegszerrissenen Afghanistan.
Anstoß war die Liebe ihrer Tochter Christine zu diesem Land – die Orientalistin Prof. Dr. Christine Nölle-Karimi, die unter anderem Farsi spricht und mit einem afghanischen Elektroingenieur verheiratet ist, lehrt heute in Wien. „Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann muss ich das unbedingt machen. Und dann muss ich auch leider andere davon überzeugen“, sagt Ursula Nölle. Geboren wurde sie in Hamburg, sie begann Biologie zu studieren, musste dann aber die Gärtnerei ihres Großvaters nach dessen Tod weiterführen. Danach wurde sie Turnlehrerin und übte diesen Beruf 26 Jahre lang aus. Mit ihrem Mann, einem Ingenieur, ging sie in die USA, blieb dort acht lange Jahre („Europa fehlte mir!“), bekam fünf Kinder und hat inzwischen 13 Enkel sowie vier Urenkel. Ihr Mann starb vor vier Jahren. Nach dem Besuch im Lager in Peschawar „saß da was im Herzen“. Und sie gründete den Verein. 1986 war dann die erste Schule eingerichtet; zunächst auch in Peschawar in einem Flüchtlingslager. Als die sowjetischen Truppen 1988 abzuziehen begannen, kamen erste Projekte in Afghanistan hinzu. Dort war die Elite geflohen, lagen die Schulen in Trümmern. Das Geld für die Finanzierung ihrer Schulen wurde anfangs in bar über die Grenze gebracht, oft „um den Bauch gebunden“. Manchmal gab Ursula Nölle das Geld einfach einem Teppichhändler in Peschawar, der es in Afghanistan abliefern sollte. Und es klappte immer – die Hamburgerin entwickelte ein „unglaubliches Geschick, die richtigen Leute zu finden“, wie Marga Flader sagt, die den Verein seit 2003 leitet. „Wir arbeiten mit der Bevölkerung eng zusammen – da heißt aber nicht, dass wir nicht gefährdet wären“, sagt Ursula Nölle. Im Jahre 2007 wurde der Regionaldirektor des Vereins erschossen. Nicht jedem gefällt, dass dieser Verein die Bildung vor allem von Mädchen entwickelt und sie zu einem selbstbestimmten Leben führt.
Sehr viel habe sich getan. Kabul sei keine Ruinenstadt mehr, es gebe gute Schulbücher und eine gute Medienlandschaft, die Menschen gingen zur Wahl. „Der Frauenanteil im Parlament ist größer als bei uns. Und die Mehrheit der Afghanen will weiter in diese Richtung gehen.“ Nach Einschätzung von Nölle und Flader sind die radikalislamischen Taliban nicht mehr wie noch 1996 in der Lage, die Macht in Afghanistan zu übernehmen. Und es sind vor allem die jungen Menschen, die Nölle, Flader und andere Helfer motivieren.
„Wir haben Schülervertretungen – und gerade die Mädchen sind sehr selbstbewusst“, sagt Marga Flader. „Ich frage: Was wollt ihr werden?“, sagt Ursula Nölle. „Und bekomme zur Antwort: ‚Ärzte, Ingenieure, Juristen!‘“ Es sind inzwischen Lehrerinnen an den Schulen, die selbst Schülerinnen in den vom Hamburger Verein gebauten Schulen waren (www.afghanistan-schulen.de).