Ursula Nölle baut mit ihrem Verein Afghanistan-Schulen seit drei Jahrzehnten Lehrstätten für Kinder. Auf der Oststeinbeker Kulturwoche ist nun ein Film über ihre Reise nach Afghanistan zu sehen.
Oststeinbek. Alles begann im März 1983. Was als Urlaub in Pakistan geplant war, veränderte Ursula Nölles restliches Leben. Eine schicksalhafte Begegnung ließ die heute 89 Jahre alte Oststeinbekerin nicht mehr los. Sie gründete den Verein Afghanistan-Schulen und hat bis heute mithilfe staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen 50 Schulen im Nordwesten Afghanistans gebaut, in denen mehr als 40.000 Schüler lernen.
Ihren diesjährigen Besuch in Afghanistan hat Nölle filmen lassen. Die Dokumentation „Ulla Nölles letzte (?) Reise nach Afghanistan“ führt sie und ihr Team von Oststeinbek über Kabul und Mazar-e-Sharif nach Andkhoi. Dieser und ein weiterer Kurzfilm – von afghanischen Schülerinnen gedreht – werden nun bei der Oststeinbeker Kulturwoche, die anlässlich der 40-jährigen Zusammengehörigkeit der Orte Oststeinbek und Havighorst begangen wird, gezeigt. Die Vorführung ist am Montag, 1. September, um 18 und 19 Uhr im Brigde-Raum der Oststeinbeker Volkshochschule (Möllner Landstraße 24b). Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten.
Zurzeit schreibt Nölle an einem Buch
Das Film-Projekt ist eines von vielen. Insbesondere dieses Jahr gibt es viel zu organisieren. Nölles Verein feiert 30-jähriges Bestehen, sie selbst ihren 90. Geburtstag. Auch ein Buch aus ihrer Feder ist in Arbeit. Trotz ihres hohen Alters denkt sie gar nicht daran, aufzuhören zu arbeiten. „Ich hoffe, dass ich noch ein weiteres Mal nach Afghanistan reisen kann. Ich fühle mich dort zu Hause. Allerdings bin ich nicht mehr so gut zu Fuß wie früher“, sagt Nölle.
Wer Ursula Nölle trifft, spürt aber die Energie und den unbedingten Willen, die sie zum Weitermachen antreiben. Dieser Wille war es wohl auch, der die frühere Turnlehrerin trotz des langjährigen Bürgerkriegs und der Taliban-Herrschaft in Afghanistan nicht aufgeben ließ, sich für die Schulbildung der dortigen Kinder einzusetzen. „Gerade in dieser Zeit war es wichtiger denn je, dass die Kinder und vor allem die Mädchen weiter zur Schule gehen konnten.“ Aufgeben sei keine Option gewesen. „Auch, weil ich so viel Zuspruch von den Einheimischen bekam und mit tollen Menschen zusammenarbeiten durfte.“ Bis heute nennen sie viele ihrer afghanischen Kollegen Mama. Sie seien ihre zweite Familie.
„Dabei wollte ich ursprünglich nur Urlaub mit meiner Tochter Christine machen“, sagt die 89-Jährige. 1983 besuchte sie ihre Tochter, die damals im pakistanischen Lahore studierte. „Als wir dann in Afghanistan in Jalalabad haltmachten, begegnete ich einer Frau“, sagt die Oststeinbekerin. Diese Frau hatte in einem Flüchtlingslager im pakistanischen Peschawar nahe der afghanischen Grenze mit dem Bau einer Schule für afghanische Flüchtlingskinder begonnen, mittendrin ging ihr jedoch das Geld aus. Daraufhin besuchte Nölle das Flüchtlingscamp in Peschawar. „Ich war überrascht, wie begeistert die Kinder dort lernten. Eigentlich hatte ich Menschen erwartet, die jegliche Hoffnung verloren haben.“
Nach dem Besuch kehrte Nölle zu der Frau in Jalalabad zurück und versprach ihr, das Geld für die Schule zu sammeln. Sie erinnert sich lächelnd: „Noch am Flughafen in München bekam ich die ersten 50 Mark von einer Frau, der ich von der Schule erzählt hatte.“ Nach nur wenigen Wochen hatte sie schon 800 Mark zusammen. „Ich begriff, dass ich einen Verein brauchte, um weitermachen zu können. 1984 gründete sie dann den „Verein zur Unterstützung von Schulen für afghanische Flüchtlingskinder“.
Alle vom Verein gebauten Schulen werden heute staatlich verwaltet
Ursula Nölle vernetzte sich mit einer Flüchtlingsorganisation vor Ort und begann zunächst, Schulen in Flüchtlingslagern in Pakistan einzurichten. Ab 1988 verlagerte sich ihr Engagement nach Afghanistan, wo heute rund 50 neu gebaute und sanierte Schulen stehen. Der Mädchenanteil dort beträgt etwa 40 Prozent. Auch der Verein wurde entsprechend umbenannt in Afghanistan-Schulen. „Die von uns gebauten Schulen sind mittlerweile öffentlich und werden vom Land selbst verwaltet. Wir unterstützen sie aber weiterhin und bauen neue oder erweitern die alten Gebäude.“ Der Bedarf wachse von Jahr zu Jahr.
So war das nicht immer. Als die Taliban die Macht übernommen hatten, schlossen sie alle Mädchenschulen. „Wir richteten dann zunächst heimlich Homeschools bei den Lehrern zu Hause ein, damit die Schülerinnen trotzdem weiter lernen konnten.“ Nach vielen Verhandlungen und Auseinandersetzungen mit den Taliban erreichte Nölle, dass Mädchen bis zur vierten Klasse in den Schulen unterrichtet werden durften. „Irgendwann haben sie uns auch erlaubt, sie bis zur zwölften Klasse zu unterrichten.“ Ein Erfolg, den Nölle vor allem dem Willen der Afghanen zuschreibt, die ihr Recht auf Bildung trotz aller Schwierigkeiten durchsetzen wollen.
Ob es während der vielen Afghanistan-Besuche auch brenzlige Momente gab? „Ja. Als ich mit meiner Tochter Ende der 80er-Jahre bei Bekannten in Kabul zu Besuch war, wurde ihr Haus beschossen. Die Kugel verfehlte meine Tochter nur knapp. Das war einer der schrecklichsten Momente meines Lebens.“ 2007 gab es einen weiteren dieser Momente. Ursula Nölle steht in ihrem Wohnzimmer und nimmt ein Foto von der Wand. Darauf sind sie und ein Mann vor einer Wüstenlandschaft zu sehen. „Der Regionaldirektor unserer Schulen in Andkhoi, Rahmanqul, wurde ermordet. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt.“ Der Schmerz über diesen Verlust ist ihr anzusehen.
Doch auch das hat Ursula Nölle, die unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse für ihr Engagement ausgezeichnet wurde, nicht aufgehalten. Dass inzwischen wieder Taliban in manche Regionen zurückgekehrt sind, beobachtet sie mit Sorge. „Aber ich glaube an die jungen Menschen in Afghanistan, die sich für ein demokratisches Land engagieren und die für ihre Rechte einstehen.“ Vor allem die Mädchen seien sehr selbstbewusst geworden, sagt Nölle erfreut. Bildung sei die wichtigste Grundlage dafür.
Der Fokus ihres Vereins liegt deshalb inzwischen auch auf der Weiterbildung. Dafür hat er 2006 ein Ausbildungszentrum in der Stadt Andkhoi errichtet. Junge Menschen bereiten sich dort auf die Universität vor, werden zu Näherinnen oder Elektrikern ausgebildet. „Vor allem ist uns wichtig, gute Lehrer auszubilden. Daran mangelt es immer noch“, sagt Nölle. Auch für die Kleinsten sorgt der Verein mittlerweile, indem er Kindergärten baut.
Den Vorsitz des Vereins hat Nölle abgegeben, ist aber noch Ehrenvorsitzende und arbeitet weiter im Arbeitskreis mit.
Informationen zur Arbeit des Vereins gibt es im Internet unter www.afghanistan-schulen.de.