Der Spitzenkoch aus dem Hotel Louis C. Jacob über den täglichen “Kampf auf dem Teller“, sein Lieblingsessen und Siezen in der Küche.

Nienstedten. "Kabeljau mit Curry-Pak-Choi, das ist ein Klassiker von mir. Ganz leichte Curry-Champagner-Sauce, gebratener Kabeljau, mit Curry nachgebraten, dazu ein bisschen Papaya-Chutney und Koriander - ein tolles Gericht. Heute wollen die Gäste mehr. Wir bekommen, nach Gesprächen mit meinem Lieferanten, den Kabeljau mit Kopf. Und verarbeiten auch die Backen und die Zunge. Die wird frittiert, mit Panko, einem sehr knusprigen japanischen Paniermehl. Dazu violette Karotten, die ich wie Spaghetti mache, mit einem Avocado-Chili-Dip. Die Backe wird mit Beurre blanc pochiert, in einer Thai-Sauce serviert, dann die knusprige Zunge, das sind fruchtig-alternative Komponenten zum Kabeljau, die aber nicht von ihm ablenken."

Wenn Thomas Martin, 45, Küchenchef im Hotel Louis C. Jacob in Nienstedten, übers Kochen redet, startet er vor dem inneren Auge seines Gegenübers einen kulinarischen Film, der oscarreif ist. Im Gourmet-Restaurant des Hotels mit Blick über die Lindenterrasse bringt er seit 15 Jahren Hochleistung, fünf Tage pro Woche. Das bedeutet bei 40 Gästen am Abend: deutlich mehr als 200 Teller, nicht mitgerechnet Amuse-Gueules und andere Grüße aus der Küche. Alles auf den Millimeter angerichtet, damit sich Geschmack, Duft, Konsistenz, Temperatur und Optik zum perfekten Kunstwerk vereinen, das den Gast verzaubert. "Das Glücksgefühl hat man, wenn plötzlich alles stimmt und im Kopf Empfindungen auslöst, die man gar nicht mehr beschreiben kann."

In der Küche ist das "professionelles, cooles Abarbeiten auf höchstem Niveau". Sein Job dabei: Qualitätskontrolle beim Anrichten und Abschmecken. Und das Gespräch mit den Gästen. Die Befriedigung in diesem Moment: dass alles so läuft wie geplant - oder besser. Und wenn die Karte für den aktuellen Monat steht, die etwa 20 Gerichte in vier Kategorien ("Bewährt", "Zeitgenössisch", "Natürlich" und "Selbstverständlich") enthält, beginnt die Entwicklung eines neuen Menüs. Da hat dann die Leidenschaft ihren Platz, beim fünf- bis zehnfachen Ausprobieren und heißen Diskutieren darüber. "Das Erarbeiten geht wunderbar im Team, ich hab ja starke Leute auf allen Posten."

Bis die ersten Gerichte am Abend serviert werden, haben Martin und seine Crew schon einen längeren Tag hinter sich, die Bestellungen der Gäste am Mittag inklusive. Angefangen hat sein Tag mit E-Mails, "etwa 100 pro Tag", mit Konferenzen, bei denen man sich auf die Gäste des Tages einstellt. Mit einem Rundgang durch die Küche, kritischen Blicken auf die Ware, Telefonaten mit Lieferanten. Wenn die Gäste gegen 22 Uhr glücklich beim Dessert anlangen, hat er noch zwei Stunden vor sich bis Schichtende.

"Kochen hat sich sehr verändert in den vergangenen sechs, sieben Jahren. Unsere Gäste reisen und erleben viel. Sie fordern Überraschungen, Kreativität, eine hohe Komplexität." Einfach eine Rotbarbe mit einer genialen Tomaten-Basilikum-Olivenöl-Sauce, das reicht nicht mehr. Selbst seine berühmten Schmorgerichte mit den göttlichen hocharomatischen Saucen hat er weiterentwickelt.

Thomas Martin spricht unaufgeregt; aber seiner Stimme merkt man an, dass sie sich mühelos zwischen klappernden Töpfen und zischenden Pfannen in der Küche durchsetzt, wenn's hektisch wird. "Ich bin ein sehr ruhiger Chef in der Küche, da wird wenig gesprochen, wir siezen uns bei der Arbeit." Die Atmosphäre ist so vorzeigbar, dass er sonntags eine Handvoll Gäste zuschauen lässt, am "Küchentisch". Der ist Monate im Voraus ausgebucht.

Ein Spitzenkoch muss heute auch Entertainer sein - kochen vor Kameras, Kochbücher schreiben, mit den Gästen reden. Der gebürtige Mannheimer ist da zurückhaltend: "Man ist ja Koch geworden, weil man sich mit Menschen nicht unterhalten wollte, sondern als Handwerker in der Küche stehen und etwas machen." Inzwischen ist er da lockerer, sein Kochbuch ("Meine Jacobsleiter") kam nach 13 Jahren, "weil Teilnehmer meiner Kochkurse nach Rezepten fragten". "Aber an freien Tagen hab ich gern meine Ruhe und mach nicht gleich wieder zehn andere Projekte." Die täglichen Hochstressphasen balanciert er sorgfältig aus: kleine Denkpausen im Job, an freien Tagen Fahrrad fahren und schwimmen, wovon die für einen Koch beneidenswerte Figur zeugt. Gern mal ein Glas Rotwein.

In der Familienküche in Sülldorf hat übrigens seine Frau Katharina das Sagen, "da schnippele ich nur". Die privaten Mahlzeiten des Sternekochs, "ganz oft vegetarisch", können sehr prosaisch ausfallen, "es gibt Abende, da sitzen wir zu dritt auf dem Sofa vor dem Fernseher, meine Frau isst Nudeln, ich Schwarzbrot mit Hüttenkäse und ganz viel Piment d'Espelette (französischer Pfeffer) drauf, viel zu scharf. Und unser Sohn Max hat Sushi bestellt." Die Hamburgerin hat er getroffen, als beide noch bei Lothar Eiermann lernten. Er als Koch am Fischposten, sie Hotelfachfrau. "Da hat man beim Filetieren schon mal hingeschaut." Bei Dieter Kaufmann in der "Traube" in Grevenbroich waren die beiden schon ein Paar.

Neue Ideen bringt er oft vom Urlaub in Frankreich mit. Und bleibende Eindrücke. Das Beste, was er jemals gegessen hat? "Ein wunderbares Confit de canard (eingemachte Ente), herrlich knusprig und drinnen so saftig. Oder in Bordeaux ein Neunauge in Rotwein geschmort. Und hier in Deutschland der Grünkohl bei meinem Zahnarzt."

Seit elf Jahren pflegen Thomas Martin und sein Team ihren Michelin-Stern. Interessiert ihn noch ein zweiter? "Unser Ziel ist es, die Gäste glücklich zu machen und den Kampf auf dem Teller immer zu gewinnen." Und dann kommt noch ein knappes: "Ja."

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