Vom beschaulichen Lugano hat es sie nach 50 Jahren an die Elbe gezogen. Ein Gespräch über Kinder und Kollegen, Karrieren und Krankheiten.
Hamburg. Die Bibliothek im Augustinum ist ein gemütlicher Raum mit ein paar Sesseln, in dem man gut schmökern kann. Walter Giller tritt ein, er trägt ein Schlüsselband um den Hals. Weil er ja, wie er sagt, das Apartment neben dem seiner Frau bewohnt. Nadja Tiller kommt etwas später, perfekt zurechtgemacht. Wir trinken Kaffee, essen Weingummi und bewundern die Schiffe, die vor dem Fenster durch die Eisschollen pflügen. Hund Mimsy schläft vor dem Fenster. "Sie hört und sieht nicht mehr gut und ist schon zwölf", sagt Walter Giller. "Aber sie sieht noch aus wie elf."
Hamburger Abendblatt: Nach fast 50 Jahren am Luganer See sind Sie nach Hamburg ins Augustinum gezogen, weil hier "mehr los" ist.
Nadja Tiller: Das kann man wohl sagen.
Abendblatt: Und was ist bei Ihnen so los?
Tiller: Wir gehen gerne ins Theater, waren schon zweimal im Ballett, unter anderem in "Endstation Sehnsucht"; wir haben in der Oper "Lucia di Lammermoor" gesehen, und im St.-Pauli-Theater waren wir natürlich auch ...
Abendblatt: Wenn Sie nicht in Lugano gewohnt hätten, sondern in Berlin oder Köln, hätten Sie dann nervöser beobachtet, was sich so in der Branche tut?
Tiller: Ja, das ist gut möglich. Wir waren sehr weit weg. Das merken wir ja jetzt hier ...
Walter Giller: Wir haben hier mehr Stress und Unruhe als in 50 Jahren Lugano. Dabei freuen wir uns natürlich, dass man noch Interesse an uns hat und wir noch nicht mit kleinen Geschenken auf die Straße gehen müssen.
Tiller: Als Rückzugsraum mit den Kindern war Lugano sehr gut. Obwohl uns die Leute dort auch kannten, haben sie uns als ganz normale Nachbarn behandelt. Das war sehr angenehm. Die Kinder wussten auch gar nicht um unsere Position. Unser Sohn ging später auf die Universität in Sankt Gallen, erst da wurde ihm bewusst, dass wir bekannt sind ...
Giller: ... und da wollte er sich umtaufen lassen, weil er so oft darauf angesprochen wurde. Aber er hat es dann doch nicht getan.
Abendblatt: Ich habe Ihr erstes Abendblatt-Interview mitgebracht, Frau Tiller. Das erschien am 2. Mai 1955. Da erzählen Sie, wie Sie 1948 bei Probeaufnahmen durchfielen - weil Sie "nicht photogen" seien. Inzwischen aber würden Sie "ständig auf Vamp dressiert". Wie zum Beweis zeigt ein "Bild"-Interview Sie 1969 im Spitzenbody mit Netzstrümpfen und einer blonden Lockenperücke, da sehen Sie aus wie eine Mischung aus Uschi Obermaier und Loreley.
Giller: Na, das ist doch was.
Abendblatt: Wieder ging es um den verführerischen "Vamp". Wenn man dieses Image einmal hat, ist es dann schwer abzulegen?
Giller: Das ist doch völlig in Ordnung!
Abendblatt: Sie waren damals aber nicht so ganz zufrieden, Frau Tiller.
Tiller: Na ja, ich habe mich damals gefunden. Aber ich habe auch nicht verstanden, warum Romy Schneider sich so wahnsinnig dagegen wehrte, dass sie mit den Sisi-Filmen so großen Erfolg hatte. Sie hat ja später mehrmals bewiesen, dass sie toll und anders war ...
Abendblatt: Sie selbst, Herr Giller, waren im deutschen Nachkriegsfilm oft der ein bisschen schnoddrige Charmeur mit Schnauze. Ein "Spaßvogel in Flegelrollen", schreibt das Lexikon der deutschen Film- und TV-Stars, "dabei wurden seine besseren Möglichkeiten im Charakterfach oft verschenkt". Der Tagesspiegel lobte 1983: "Keiner kann so lässig auf einem Barhocker sitzen und plaudern wie Walter Giller."
Tiller: Oh ja.
Abendblatt: Das war ein Kompliment für Ihre TV-Show "Locker vom Hocker". Lesen Sie das mit Stolz?
Giller: Ich wüsste nicht, worauf ich stolz sein sollte. Vielleicht auf unseren Hund.
Abendblatt: Das glaube ich aber keinem Schauspieler, der schon für sein Lebenswerk geehrt wurde wie Sie, dass er nicht stolz ist auf seine Arbeit.
Giller: Das sehe ich nicht so. Ich erinnere mich auch nicht, ein besonders künstlerisches Leben geführt zu haben. Nee. Ich war kein Star, ich war ein guter Zweiter. Zum Beispiel in "DM-Killer", Hauptrollen Curd Jürgens und Daliah Lavi. Oder neben Gert Fröbe in Wolfgang Staudtes "Dreigroschenoper". Was eigentlich ein Schuss in den Ofen war. Ist auch nie im Fernsehen gelaufen.
Abendblatt: Sie beide hatten ja nicht nur Bekanntheit durch den Film, sondern Sie hatten auch die Bühne.
Giller: Ja, das war meine große Liebe. Durch den Film habe ich mich schmählich korrumpieren lassen. Das Theater ist ganz wunderbar, es ist für mich eins der schönsten Häuser der Welt, egal was für eine Schmiere es ist. Da sind Fachleute aus vielen Berufen versammelt, die alle ihre Sache können. Und die alle gemeinsam den Fimmel haben, dass sie am Theater sein wollen.
Abendblatt: Im Film "Das Bernsteinamulett" haben Sie im Rollstuhl gesessen, Frau Tiller, und gesagt, Sie würden gerne nur noch im Rollstuhl drehen. Ist das Galgenhumor angesichts der Beschwerlichkeiten des Alters?
Tiller: Nein, es war einfach wunderbar bequem. Und mir gefiel die Rolle. Wir waren für die Dreharbeiten in New York, Daniel Brühl spielte meinen Enkel.
Giller: Netter Bursche.
Abendblatt: Noch mal zum Galgenhumor, Herr Giller. Sie haben in einem Interview gesagt: "Ich gucke morgens, ob meine Frau noch lebt. Ist das der Fall, dann ist das schon mal was."
Giller: Ja. Die Kiste ist doch näher als die Wiege. So ist es eben. Wir versuchen auch nicht, das lächerlich zu machen.
Abendblatt: Sie haben einen Herzschrittmacher, hatten Lungenkrebs, Ihre Frau hat Brustkrebs überstanden ...
Giller: Neun Jahre hat der Herzschrittmacher gehalten. Ich bin extra sparsam mit meiner Energie umgegangen.
Abendblatt: Sie sagen, "Krebs ist unser Haustier". Rücken Krankheiten und Tod in einem Altenheim automatisch viel näher?
Tiller: Ja, weil man von viel mehr alten Menschen umgeben ist. Soweit ich weiß, sind hier 150 Einheiten und ungefähr 40 davon bettlägerig.
Giller: Wenn man sich mit Mitbewohnern unterhält, hat jeder sein Päckchen. Aber es wird nicht groß darüber gesprochen. Man trifft sich zum Beispiel bei Veranstaltungen und Vorträgen. Wir haben hier einige hochgebildete Mitbewohner, die Vorträge über Musik oder Thomas Mann halten.
Abendblatt: 2008 haben Sie zusammen ein Hörspiel gemacht: "Begegnung am Nachmittag" von Henning Mankell. Eine Frau will nach langer Trennung die Scheidung von ihrem Mann, und beide arbeiten noch einmal ihre gemeinsame Zeit auf. Warum hat Sie das gereizt?
Tiller: Na ja, es gibt gewisse Parallelen.
Giller: Eifersucht zum Beispiel. Ein Thema, das überall vorkommt. Es gibt keine Ehe, die über 50 Jahre hält, ohne dass Eifersucht ein Thema wäre. Es kommt in dem Hörspiel alles wieder hoch.
Abendblatt: Das Paar schafft noch mal Ordnung in seinem Leben.
Tiller: Ja, das ist teilweise hart, wie sie sich angehen. Aber es klingt versöhnlich aus.
Giller: Die Kunst des Älterwerdens besteht wirklich darin, mit Dingen zu leben, mit denen man nicht fertig geworden ist. Das können ganz profane Dinge sein. Mit manchen Militärerfahrungen werde ich nicht fertig. Mit manchen privaten Sachen werde ich nicht fertig. Und mit der Schoah werde ich nicht fertig. Das möchte man alles zu einem Abschluss bringen. Man möchte ja auch nur Dinge zum Abschluss bringen, die einem etwas bedeuten. Man schafft es nicht bei allen.