Hamburg. Die Schauspielerin brilliert als „Jeanne d’Arc au bûcher“. Es spielt das hr-Sinfonieorchester, und ein Dinosaurier ist auch dabei.

Elbphilharmonie, Etage 13. Am Saaleingang wünscht eine Besucherin der anderen „Viel Spaß!“ und eilt davon. „Die spinnt ja“, knurrt eine männliche Stimme. „Da stirbt jemand auf dem Scheiterhaufen. Von wegen viel Spaß.“ Der Herr sieht erstaunlich soigniert aus für eine so deftige Ausdrucksweise. Nach Bildungsbürgertum. Einstecktüchlein und so. Was der Empörte an diesem Abend erleben wird: Arthur Honeggers Scheiterhaufen-Stück „Jeanne d’Arc au bûcher“ ist tatsächlich ausgesprochen witzig. Streckenweise jedenfalls.

Elbphilharmonie: Marion Cotillard wird als Jeanne d‘Arc hingerichtet

Witzig, die Geschichte einer Hexenverbrennung? Der französische Komponist hat sein Werk 1935 als „Dramatisches Oratorium“ bezeichnet. Heißt: Diese „Jeanne d’Arc au bûcher“ hat alles, was das Herz begehrt. Sie ist Sprechtheater und Nummernrevue, Melodram und Sakralmusik, und Oper steckt auch darin. Sie auf eine deutsche Bühne zu holen, ist eine dramaturgische Großtat. Die Elbphilharmonie hat damit das hr-Sinfonieorchester und dessen Chefdirigenten Alain Altinoglu betraut. Der ist selbst Franzose, ebenso der Großteil der Solistinnen und Solisten, allen voran die Schauspielerin Marion Cotillard in der Titelrolle.

Cotillard ist Herz und Seele des Ganzen. „Ein Kind namens Jeanne, ein Mädchen namens Jeanne, eine Jungfrau namens Jeanne“, wird sie eingangs immer wieder angerufen. Welches Land hat schon eine solche Identifikationsfigur? Eine 17-Jährige, die, geleitet von göttlichen Visionen, ihr Land im Kampf gegen England anführt und eint? Dass sie genau dafür als Ketzerin, Hexe, Unbelehrbare zum Tode verurteilt und hingerichtet wird, gehört zu den faszinierenden Widersprüchen dieses Mythos.

Wenn das Schaf zum Richter berufen wird, meckert der Chor in der Elbphilharmonie

Es ist diese Widersprüchlichkeit, die Honeggers eklektisches Vorgehen rechtfertigt. Der Schriftsteller Paul Claudel, der das Libretto schuf, erzählt die Geschichte nicht chronologisch, sondern in lose gefügten Rückblenden kurz vor der Hinrichtung. In welcher Bedrängnis Jeanne ist, macht die Aufstellung der konzertanten Aufführung in der Elbphilharmonie schon optisch deutlich: Die zierliche Cotillard steht an der Bühnenrückwand, umgeben von Männern, die auf sie einreden und einsingen, in den Rängen hinter ihr der exzellent deklamierende Wiener Singverein.

Der ist das Volk. Er äfft und spottet besonders eindrücklich, wenn die Mitwirkenden des Tribunals vorgestellt werden. Das sind nämlich lauter Tiere. Da meckert der Chor, wenn das Schaf zum Beisitzer berufen wird. Die Besetzung des Vorsitzenden mit dem Schwein garniert Honegger mit einem ironisch-jazzigen Walzerschwung. Und wenn der Esel den Schreiberposten übernimmt, überschlagen sich die Ondes Martenot in einem „i-oooh“.

Konzert Elbphilharmonie 18.12.2024: Großer Saal / Honegger: Jeanne d’Arc mit Marion Cotillard
Die Hamburger Alsterspatzen und der Hamburger Knabenchor singen auch mit bei „Jeanne d‘Arc“ in der Elbphilharmonie. © Daniel Dittus | Daniel Dittus

Die Ondes was? Das Tasteninstrument ist gleichsam ein Dinosaurier in der elektronischen Musik. Platziert gut sichtbar am Bühnenrand, kommt der gleitende, jaulende Ton der Ondes Martenot immer wieder zum Einsatz. Das ist überaus illustrativ; auch vor dem Einsatz filmmusikalischer Elemente schreckt der Komponist nicht zurück.

Mehr Musik, mehr Theater, mehr Musiktheater

Ein vielgestaltiges Spektakel eben. Dennoch ist es im Kern tiefernst. Cotillard spielt die Angst und die naive Ehrlichkeit, aber auch die Standhaftigkeit dieses jungen Mädchens mit wenigen Gesten und drückt auch stimmlich nicht auf die Tränendrüsen. Die rhythmische Abstimmung mit der Musik – für eine Schauspielerin nicht gerade täglich Brot – gelingt mühelos. Cotillard singt sogar. Zögernd, tastend trägt ihre Jeanne ein Kinderlied vor. Eine Bitte um etwas Mehl, um ein Ei, um ein Gebet für Jeanne – dann bricht ihr die Stimme. Und wenn sich nach ihrem Tod die Flöte zu leisen Chorklängen in einer zarten Bewegung gleichsam zur ewigen Ruhe legt, verharrt der Saal in kollektiver Ergriffenheit.

In diesem Oratorium hat alles Platz, das Existenzielle und das Komische. So ist die Welt.

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