Hamburg. Emmerich Kálmáns beliebte Operette erzählt von großer Liebe über gesellschaftliche Grenzen hinweg. Stark inszeniert, gespielt und gesungen.

  • In der Staatsoper ist derzeit keine Operette zu erleben, aber im Allee Theater
  • „Die Csárdásfürstin“ ist auf einem Pulverfass entstanden und wurde mitten im Ersten Weltkrieg uraufgeführt
  • Dem Allee Theater ist eine vergnüglich-nachdenkliche, kurzweilige Produktion gelungen

Sylva und Edwin lieben sich. Nur gibt es da ein Problem. Sie ist Varietétänzerin, er von blauem Blut. Der Herr Papa, die Frau Mama würden einer solchen Heirat niemals zustimmen. Die ach so adeligen Eltern arrangieren ohne Edwins Wissen eine standesgemäße Heirat mit der Komtesse Anastasia Stasi, und setzen schon mal eine Heiratsanzeige auf.

Sylva, der Edwin hoch und heilig die Ehe versprochen hat, reagiert sauer, als sie das erfährt, und begibt sich dann doch auf ihre eigentlich wegen der Heiratsaussichten abgesagte Amerika-Tournee. Na ja, wie das bei einer echten Operette so ist, und auch bei Emmerich Kálmáns „Die Csárdásfürstin“, sie kriegen sich doch. Die Fürstin-Mama war nämlich auch einmal Varietésängerin und hat sich durch Heirat „hochgeadelt“. Da gab der Fürst-Papa seinen Widerstand auf.

Diese „Csárdásfürstin“ ist ein Glücksfall für das Allee Theater

Klingt märchenhaft, hat aber doch bis zum Happy End ein paar Ecken und Kanten. Und die gab es jetzt bei der neuen Inszenierung von Intendant Marius Adam in der Hamburger Kammeroper im Allee Theater auch zu sehen.

Operette? Derzeit Fehlanzeige im „großen“ Opernhaus an der Dammtorstraße. Da liegen Vorstellungen einer vier Jahre alten „Fledermaus“-Inszenierung schon lange zurück. Nichts Neues in Sicht. Dafür kommt man jetzt im Allee Theater mit der „Csárdásfürstin“ voll auf seine Kosten. Nichts wird hier verniedlicht, verharmlost oder driftet gar in Klamotte oder Kitsch ab.

„Die Csárdásfürstin“ ist auf einem Pulverfass entstanden. 1915 mitten im Ersten Weltkrieg uraufgeführt. Krieg spielte damals wie heute eine große Rolle und zieht sich auch durch „Die Csárdásfürstin“. Die fürstlichen Eltern zu Lippert-Weylersheim schicken ihren Sohn Edwin in den Krieg, um ihn von seiner Varietétänzerin zu entfernen. Als sie das Verlobungsfest ihres Sohnes mit der Komtesse Stasi feiern, ist auch das Thronfolger-Paar eingeladen, das dann aber nach Sarajewo abreisen muss, wo der Thronfolger ermordet wurde, was den Ersten Weltkrieg auslöste. Eine kurze Szene in Marius Adams Inszenierung, eine der nachdenklichen Noten, die die Operetten-Seligkeit hinterfragen.

Pressefoto Die Csárdásfürstin
In „Die Csárdásfürstin“ steht der Liebe einmal mehr allerhand im Weg – die Eltern ebenso wie die Ständegesellschaft schlechthin. © Patrick Sobottka | Patrick Sobottka

„Die Csárdásfürstin“: Diese Inszenierung ist auch was fürs Auge

Freilich fehlt die humoristische Sicht nicht. Zwei kleine Szenen hat Marius Adam vor die eigentliche Handlung geschaltet. Zuerst taucht die große Sängerin Sylva bei einer Pressekonferenz auf. Sie kommt aus dem Zuschauerraum, gejagt von einer gierigen Reporter-Meute. Sylva hatte eine große Karriere. Sie wird sie aufgeben, für die Liebe. Auch das macht nachdenklich, warum geht nicht beides?

Dann ein kleiner Blick in die Zukunft. Edwin hat widerwillig der Heirat mit Stasi zugestimmt. Aber er liest gelangweilt ein Buch, während Stasi mehr schlecht als recht Geige übt, die berühmte Melodie aus der Operette: „Machen wir’s den Schwalben nach“, zwischendrin fragt sie Edwin x-mal, ob er wisse, wie lieb sie ihn habe. Selbstversicherung, die sich entlarvt.

Zwei Vorhänge sind gefallen und flugs befinden wir uns im Budapester Orpheum, der Wirkungsstätte der Csárdásfürstin Sylva. Bühnenbildnerin Kathrin Kegler hat nach hinten sich perspektivisch verjüngende flache Treppen entworfen. Das schafft Raum. Virtuos werden zu Kalmáns Musik die Beine geschwungen, sportlich legen die Sänger das aufs Parkett und werden dabei von einem noch virtuoseren Tänzerpaar unterstützt. Das ist was fürs Auge.

Marius Adams Personenprofilierung ist zwingend und quicklebendig

Um das „Csárdásfürstin“-Original auf Allee-Theater-Format (zwei Stunden) zu bringen, hat Marius Adam klug den Rotstift angesetzt und den Text stellenweise geschmackvoll modifiziert. Seine Personenprofilierung ist zwingend und quicklebendig. Edwin pendelt zwischen Muttersöhnchen-Pflicht und blind machendem Liebesverlangen (sympathisch authentisch: Ljuban Živanović), ist aber auch Sylva (stimmlich mit viel Schmelz: Anete Liepina) ganz ergeben, die ihn ein wenig divenhaft wie ein Hündchen dressiert.

Edwins guter, schlauer (adliger) Kumpel Boni (quirlig-charmant: Berus Komarschela) fädelt das Happy End ein, indem er vorgibt Sylva in Amerika geheiratet und so geadelt zu haben, was die Eltern leichter (nach Scheidung der beiden) der Hochzeit mit Edwin zustimmen lässt. Außerdem zieht der alte Feri, Ex-Liebhaber der Fürstin, im Hintergrund die Fäden (brillant mit Operettenfeeling: Titus Witt).

Mehr Hamburg-Kultur

Dirigent Ettore Prandi bewies einmal mehr seine Instrumentations- und Reduktionskunst bei der Einrichtung für nur fünf Instrumente. Der Operetten-Esprit kam facettenreich herüber, das Mini-Orchester aus Klarinette und Streichern begleitete ebenso sensibel wie charmant. Dem Allee Theater ist eine vergnüglich-nachdenkliche, kurzweilige Produktion gelungen: DAS Musiktheater-Highlight in Hamburg zu Weihnachten.

Sternstunde oder Reinfall? Jeden Monat rezensieren wir für unsere Abonnentinnen und Abonnenten mehr als 100 Konzerte, Theatervorstellungen, Choreografien, Bücher, Ausstellungen, Serien oder Filme. Hier finden Sie alle Kritiken – was Sie in Hamburg gesehen, gehört oder gelesen haben müssen!