Hamburg. Der Barmbeker Jung singt und spricht im Schmidts Tivoli über den Verlust geliebter Menschen, Streaming-Plattformen und Hasch in Thailand.
Die Uhr zeigt 21.53, der Beifall für das Abschiedslied für seine im März 2020 verstorbene musikalische Weggefährtin Regy Clasen ist gerade verebbt, da wird es im Schmidts Tivoli ganz still. Michy Reincke spricht wieder über Trauer und Tod, nun über den Verlust seines Tontechnikers Peter Schneekloth, der Ende November starb.
„Peter hat schon für meine Band Felix de Luxe Mitte der 1980er-Jahre den Ton gemischt“, sagt Reincke – und kämpft mit den Worten. Mit Schneekloth, sagt er dann, verbinde ihn weit mehr als unzählige Konzerte: „Peter und seine Frau haben abends für mich gebetet, als ich in einer sehr schwierigen Lebensphase steckte.“ Heiter und unterhaltsam könne er an diesem Abend mit seinen Bandkollegen nur sein, weil genau dies im Sinne seines Freundes gewesen wäre.
Michy Reincke – vom Schmidts Tivoli per „Taxi nach Paris“
20 Minuten später singen und tanzen seine Fans, als gäbe es kein Morgen. Michy Reincke bittet in sein „Taxi nach Paris“, seinem bekanntesten Lied. Nur wenige beherrschen genau dies wie er: den Wechsel zwischen Trauer, Melancholie, Sentiment und Lebensfreude, ohne dass es in irgendeiner Form aufgesetzt wird. Das Wort authentisch, längst zur Worthülse mutiert, zu ihm passt es.
Seit 1996 bittet Reincke, ein Barmbeker Jung, der sich mit 15 das Gitarrespielen beibrachte, in den Schulferien quer durch Europa trampte, um in Fußgängerzonen Bob-Dylan-Lieder zu singen, nun ins Schmidts Tivoli zu seinen Weihnachtskonzerten – unterbrochen nur von der Corona-Pause. Auch in diesem Jahr sind die beiden Konzerte ausverkauft, für viele gehört das Tivoli-Gastspiel zum weihnachtlichen Ritual wie das Schmücken des Tannenbaums.
Michy Reincke unterfüttert sein Programm mit Anekdoten
An die erratischen Titel seiner Programme haben sich seine Fans längst gewöhnt. In diesem Jahr heißt das Motto: „Wenn das in die falschen Hände gerät.“ Er hinterlegt es mit skurrilen Alltagsbeobachtungen und Anekdoten. Etwa die lang zurückliegende Thailand-Reise mit seiner ersten Frau. „Ich habe ihr erklärt, dass wir angesichts der drakonischen Strafen in Thailand für ein paar Wochen auf Hasch verzichten müssen.“ Nach Ankunft, sagt Reincke, habe sie im Hotel einen „DIN A4 großen transparenten Beutel mit Gras aus dem Koffer geholt. Ich habe sie gefragt, ob sie den Verstand verloren hätte.“ Und zitiert dann unter dem Gelächter des Publikums ihre Antwort: „Du hast doch nur gesagt, dass wir hier nichts kaufen dürfen.“
Musikalisch streift Reincke durch alle Schaffensphasen seiner nunmehr mehr als vier Jahrzehnte währenden Karriere. Frühwerke wie „Valérie“ wechseln mit Liedern aus den 2010er-Jahren wie die wunderbare Ballade „Du brauchst keine Angst zu haben“ und neuen Songs wie „Die Gärten von Babylon“.
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Unterstützt wird Reincke wie jedes Jahr von seiner fulminanten Band, ergänzt mit dem Bläsertrio Boxhorns. Bereits nach dem zweiten Lied stellt er seine Musiker vor, nennt indes zuerst den Ton- und den Lichttechniker. Respekt vor seiner Crew war ihm schon immer wichtig.
Michy Reincke wirft Spotify Ausbeutung vor
Nein, auch im gereiften Alter von 65 Jahren lässt er sich nicht verbiegen. Er kämpft weiter gegen die Streaming-Plattform Spotify, der er auch an diesem Abend „Ausbeutung“ vorwirft. Und überhaupt würden doch nur CDs den Klang facettenreich widergeben. Passend dazu verkauft Reincke im Tivoli seine Alben für nur zehn Euro das Stück.
Reincke, das zeigt dieser Abend erneut, bietet viel mehr als die nunmehr 40 Jahre alte Fahrt in einem „Taxi nach Paris“. Den Titel hat Reincke übrigens seinen einstigen Bandkollegen zu verdanken. Ursprünglich sollte der Song „Ich traf Joe Strummer in Paris“ heißen, Reincke faszinierte damals der Ausflug des 2002 verstorbenen Sängers der Punkband The Clash, der 1982 kurz vor Beginn der geplanten Tour inkognito den Marathon in Paris lief, ohne sein Management zu informieren. Dass Reincke damals Bandmitglieder überzeugten, den Refrain noch einmal zu überdenken, zählt zu den glücklichen Zufällen in seinem Leben.
Am Mittwoch, 18. Dezember (19.30 Uhr) gastiert Michy Reincke mit seiner Band in der Hauptkirche St. Katharinen, Katharinenkirchhof 1 (U-Bahn Rödingsmarkt), Restkarten für 37,80 Euro.