Hamburg. Der Influencer und Moderator hat einen Band mit Horror-Kurzgeschichten veröffentlicht. Dabei wird es gruselig, ekelig, aber auch philosophisch.

„Die Erde war lebendig, sie konnte sehen. Und sie sah scheiße wütend aus“. Egal ob Spinnen-investierte VR-Dystopien, außerirdische Alien-Invasionen oder die KI-gesteuerte Apokalypse: In dem neuen Buch „Böse Geschichten für schlechte Menschen“ legt Simon Krätschmer, Streamer und Mitbegründer der Hamburger Produktionsfirma Rocket Beans TV, eine Sammlung voller absurder und horrender Kurzgeschichten vor, die mal zum Gruseln, mal zum Hinterfragen der eigenen moralischen Konstrukte anregen.

Was lauert in den dunklen Ecken des Verstands? Krätschmers Horror ist nicht unbedingt gruselig im herkömmlichen Sinne: Statt monströsen Killern oder paranormalen Entitäten gibt es als ganze Toilettenräume getarnte Menschenfresser-Aliens oder riesige jagende Hände (ja, richtig gelesen). Dabei lässt sich auch viel über den Autor selbst in Erfahrung bringen: „In dieser Sammlung schrecklicher Geschichten werden Sie etwas über sich selbst lernen und mehr über mich, als mir lieb ist“, heißt es im Nachwort. Deutlich wird beim Durchforsten der 23 Kurzgeschichten beispielsweise Krätschmers Liebe für dystopische Videospiele und nerdige Ideen abseits des Mainstreams.

Neues Buch von Simon Krätschmer: Horror, gespickt mit Anspielungen auf Popkultur

Anspielungen und Entlehnungen aus bekannten Games und Filmreihen lassen sich immer mal wieder entdecken und sorgen für „Aha“-Momente. Ob seine Protagonisten Überlebensstrategien aus dem Zombie-Klassiker „Dawn of the Dead“ anwenden oder sich in gruseligen Herrenhäuser aus „Resident Evil“ gegen Riesenspinnen behaupten müssen – bekannte Szenarien werden neu interpretiert, frisch weiter gedacht oder kurzweilig und horrend verzerrt.

Böse Geschichten für schlechte Menschen
„Böse Geschichten für schlechte Menschen“ von Simon Krätschmer, WeCreate Books Verlag, 308 S., 23 Euro. © WeCreate Books | WeCreate Books

Die größte und deutlichste Inspiration für das Buch bleibt doch wohl Stephen King, wie Krätschmer im Abendblatt-Gespräch verrät: „Meine Lieblingsgeschichte ist von Kings Reihe ‚Der dunkle Turm‘ inspiriert.“ Der voyeuristische Blick durch die Fenster des Turms in „Der Turm ohne Türen“ geht in unzählige Welten und Paralleluniversen, irgendwie miteinander verbunden und doch unendlich weit entfernt. So wird der Turm zum Fundament des Buches, bietet in seinen Fenstern haufenweise kurze Ausschnitte aus fremden Welten und Galaxien – Kurzgeschichten halt.

Affe, Parasit, Mensch: Absurde Lösungsansätze für den parasitären Befall des Planeten

Bezeichnend: Krätschmer nennt Menschen (inklusive sich selbst) meist nur Affen. Daraus (und aus den Geschichten) lässt sich eine generelle Enttäuschung, ja auch Wut auf die menschliche Rasse herauslesen, die den Planeten, aber auch sich selbst gegenseitig immer auszubeuten scheint. „Wenn ich mir die Welt heutzutage angucke, dann bin ich oft tagelang mies gelaunt“, sagt Krätschmer. Zerstörte Umwelt und zerstörte Leben stehen im Buch an der Tagesordnung. Die Lösung? „Ich schreibe es mir von der Seele.“ Im Buch gipfelt das oft in eine komplette Auslöschung dieser „Parasiten“, die sich Menschen nennen. Gewürzt ist hier alles mit ein wenig Nihilismus, ein wenig Absurdismus, ein wenig Fatalismus und garniert mit außerweltlichen Simulationstheorien.

Statt Menschenhass scheint jedoch eher eine übergeordnete Enttäuschung über das kollektive Versagen der Menschheit durch, die nicht in Frieden miteinander lebt. So weit, so nachvollziehbar. Interessant werden die Geschichten oftmals durch ihre absurden Lösungsansätze: Die Erde als außerirdische Sonde schüttelt den „Parasiten“ Mensch einfach ab, still beobachtende Augen am Himmel sorgen für neuen Zusammenhalt der menschlichen Rasse, oder eine KI errechnet in Thanos-Manier eine Halbierung der Menschheit als einzigen Ausweg.

Was hilft gegen Weltschmerz und Imposter-Syndrom? „Lest mehr und schreibt mehr“

„Der Mann, der Geld verlor“ wiederum ist im ersten Moment eine recht durchschaubare Kapitalismuskritik, funktioniert aber vor allem sprachlich wunderbar. Als Erstlingsautor schafft es Krätschmer, die wichtigste Regel für Kurzgeschichten einzuhalten: Sie sind aufs Nötigste komprimiert und sprachlich direkt, aber eben auch frisch (und gerne mal derb) formuliert.

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Auch sein irgendwann kaputter Laptop hat einen entscheidenden Teil zum Ton des Werks beigetragen: „Ich habe mich immer wieder an der Kante geschnitten, der Laptop hat beim Schreiben quasi mein Blut gefressen.“ Höchst passend. Und wieso jetzt ein Buch? Krätschmer kämpft trotz seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Medienbetrieb immer wieder mit dem Imposter-Syndrom (sich trotz Fachkenntnissen wie ein Hochstapler fühlen): „Das verfliegt aber irgendwann.“ Das Schreiben funktioniere dabei wie ein Ventil. „Lest mehr und schreibt mehr. Wenn ich das schaffe, kann das jeder. Das möchte ich den Leuten mitgeben“, sagt Krätschmer.

Geht man nun also mit einer einsetzenden Depression aus dem Leseprozess hervor? Keineswegs. Im einen Moment schämt man sich zwar bei der Lektüre, ein Teil der menschlichen Spezies zu sein (ein bisschen Demut schadet nie), in der nächsten Geschichte freut man sich dann doch Teil dieses Universums zu sein und nicht in einer Arachniden-verseuchten oder KI-gesteuerten Dystopie zu leben. Zumindest noch nicht.

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