Hamburg. Krimi um einen toten Kapitän zu Weihnachten: Beim Karaoke-Singen von „Last Christmas“ war noch alles gut. Und was passiert dann?

Was man von diesem Krimi lernt: In Bremen haben Weihnachtsmärkte anscheinend auch nach dem 23. Dezember noch geöffnet. Das suggeriert zumindest dieser Krimi. Total realistisch ist dagegen das meteorologische Setting. Kein Schnee hier, nirgends; es muss auch keiner frösteln. Zumindest, was die Temperaturen angeht. Eine Leiche gibt es natürlich. Nicht auf dem Weihnachtsmarkt, sondern im Einfamilienhaus.

Zuerst soll man an eine komplizierte Patchwork-Wirklichkeit glauben. Hendrik Wilkens (Matthias Freihoff), Kapitän zur See, liegt zu Weihnachten totgeschossen in seinem Zimmer. Ein schönes Haus in einem eher hochpreisigen Viertel, aber fröhlich ist hier jetzt keiner mehr, als die Ermittlerinnen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) anrücken, um den Mordfall aufzuklären.

Der neue Bremer „Tatort“ (Drehbuch: Daniela Baumgärtl/Kim Zimmermann, Regie: Sebastian Ko) wagt nicht viel und ist genau deswegen gewinnend: Schnell offenbart sich dem Duo, dass es sich keinesfalls um einen Raubmord handelt. Den hat jemand inszeniert. Um ein Familiendrama zu vertuschen? Bingo! Es gilt, die Verhältnisse zu klären. Und die sind dann weniger anstrengend, als man kurz annahm. Der tote Seemann wurde früh Witwer, heiratete danach einen Mann, den Allgemeinmediziner Bjarne Wilkens (Rainer Sellien). Er zog Fabienne (Pia Barucki) und Marco Wilkens (Robert Höller) als zweiter Papa mit auf – eine heile Familie.

„Tatort“ aus Bremen im Ersten: „Last Christmas“-Karaoke zu Heiligabend

Eigentlich. Es muss anders sein, sonst wäre Kapitän Wilkens jetzt nicht tot. Warum hat er einmal im Monat 2000 Euro von einem Geldautomaten im Steintorviertel abgehoben? Welche Rolle spielt der Matrose Andy (Jernih Agapito), der den feucht-fröhlichen Heiligabend samt „Last Christmas“-Karaoke mit der Familie verbrachte?

Tatort: Stille Nacht
Erst Karaoke, dann toter Papa zu Heiligabend: Fabienne Wilkens (Pia Barucki) hat Stress über die Feiertage. © Radio Bremen/Claudia Konerding | Radio Bremen/Claudia Konerding

Selbst autistische Einlagen und Moormanns Standardgrummeln (Jasna Fritzi Bauer kommt so langsam im Favoritenkreis der ARD-Primetime-Krimis an) sorgen für die Wiedererkennbarkeit der Bremer Polizeiarbeit, die im „Tatort“-Kosmos übrigens die aus Hamburg zuletzt nicht immer, aber öfter mal ausgestochen hat. Während Selb bei ihren Recherchen im Matrosenmilieu auch mal flirten und am verkaterten Tag nach einer Feier mit Seeleuten sogar gut gelaunt singen darf, rückt Moormann der trauernden Familie, die ganz schön viel zu verbergen hat, nur vordergründig unbarmherzig zu Leibe.

ARD-„Tatort“ aus Bremen mit Jasna Fritzi Bauer: „Das heißt nicht, dass wir einander umbringen“

Die gequälte Kapitänstochter Fabienne („Warum habe ich ihn nicht umarmt. Aber das ist Familie, das heißt nicht, dass wir einander umbringen“) stellt völlig richtig fest, dass Disharmonie das ist, was in den besten Familien vorkommt. Als sie den Ermittlern aber einmal entgegenwirft, wie es um die Ausbeutungsverhältnisse auf den Schiffen steht, ist man versucht, kurz aufzustöhnen. Aber ein Themen-„Tatort“ ist „Stille Nacht“ nicht, gut so. Im letzten Drittel nimmt dieser Krimi Fahrt auf, als die Ermittlerinnen dahinterkommen, dass ein vor einiger Zeit tödlich verunglückter Matrose mit dem Ableben des Kapitäns in Verbindung steht.

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Als Weihnachtskrimi ist der „Tatort“ bestens geeignet. Die auftretenden Personen sind allesamt auf die ein oder andere Weise einsam und dass in der Schlussszene schon wieder „Into Your Arms“ von Nick Cave läuft, stört gar nicht. Ganz im Gegenteil: Dem Ende eines Kriminalfalls wohnt immer Traurigkeit inne. Aber dieser Song ist immer, immer ein Trost.

„Tatort: Stille Nacht“ 8.12., 20.15 Uhr, ARD

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