Hamburg. Jasmin Tabatabai, Beethovens „Eroica“ und Berichte von dem Seenotrettungsschiff „Sea-Watch 3“ bewegen. Bloß die zweite Hälfte gerät ermüdend.
Mit Grandezza scheitern, das ist in der Kunst nicht das Schlechteste. Das Ensemble Resonanz verdankt sein Ansehen – und nebenbei seinen Rang als Residenzensemble der Elbphilharmonie – nicht nur seinen musikalischen Qualitäten, sondern auch seinem Mut zum Experiment. Und zum Experimentieren gehört bekanntlich, dass es auch mal danebengehen darf. Wie beim zweiten „resonanzen“-Abend der Saison im Großen Saal der Elbphilharmonie, überschrieben „euroica“.
Elbphilharmonie: Jasmin Tabatabai und das Ensemble Resonanz erschüttern, danach wird‘s mau
Für das Motto des Abends haben die Programmverantwortlichen zwei Namen zusammengezogen, die jeder für sich genommen schwer tragen an alldem, was ihnen so zugeschrieben wird. Nämlich den von Beethovens Dritter, genannt „Eroica“, wörtlich die Heldenhafte. Und den des Staatengebildes Europa, das schon kraft der Schiller-Beethoven-Hymne alle Menschen verbrüdern soll.
Tut es das auch? Wirklich alle? Oder nur die Glücklichen, die ihren sicheren Platz auf der Insel schon haben? Diese Frage stellt das Programm in der ersten Hälfte mit künstlerischen Mitteln, indem es Text und Musik verschränkt: Die Schauspielerin Jasmin Tabatabai trägt „21 Tage auf See – An Europas Grenzen“ vor, einen Bericht von Clemens K. Thomas und Jochen Voit nach Tatsachenberichten von dem Schiff „Sea-Watch 3“, dessen Odyssee im Mittelmeer 2019 wochenlang die Schlagzeilen beherrschte. Im Wechsel damit dirigiert Riccardo Minasi die Sinfoniesätze plus einige Schlaglichter und Umschreibungen.
Elbphilharmonie: Unter Minasis Dirigat tanzt und wogt die „Eroica“, tröstet und triumphiert
Das ist so packend ineinander verwoben, dass man beim Hören Raum und Zeit vergisst. Meisterhaft komprimiert und rhythmisiert der Text die Schilderungen von fünf Menschen, die damals an Bord waren, und überlässt es den Zuhörenden, die Leerstellen mit eigenen Bildern zu füllen. Tabatabai braucht nie in die Pathos-Kiste zu greifen, sie lässt das Erschütternde an diesen Miniaturen für sich sprechen. Und die Sinfonie tanzt und wogt, Minasi spielt raffiniert mit dem Zeitmaß, sie zerreißt vor Schmerz, sie tröstet, und ja, sie triumphiert auch.
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Pause. Im Foyer schließen die Menschen wieder an die eigene Wirklichkeit an, mit warmem Licht, Wein und Gesprächen. Wer sich jetzt noch eine Podiumsdiskussion antut, der will es wirklich wissen. Es bleiben nur wenige. Das angekündigte Interaktive besteht darin, dass Fragen online gestellt werden. Weil der Moderator Thilo Braun selbst so viel redet, kommt keine wirkliche Debatte zustande. Ermattet und arg spät verlässt das Publikum den Saal. Wie schade, dass die faszinierende erste Hälfte des Abends schon so lange her ist.
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