Hamburg. Das Chineke! Orchestra begeistert das Hamburger Publikum. Mit dabei: eine Solistin, die mit dem Orchester eine ganz besondere Beziehung hat.

Die Hamburger sind fortschrittlich? Das hören wir doch mal gern. Zumal aus dem Mund von Chi-Chi Nwanoku, der Gründerin, künstlerischen Leiterin und ersten Kontrabassistin des mutmaßlich spannendsten Klangkörpers, den die Klassikszene derzeit zu bieten hat. Das Chineke! Orchestra ist in der Elbphilharmonie zu Gast, zum vierten Mal schon. Und weil das Publikum so fortschrittlich ist, wie Nwanoku in ihrer launig-souveränen Ansprache sagt, traut sich das Ensemble, „gefährliche Programme“ zu spielen. Will sagen: Musik abseits gut verkäuflicher Blockbuster-Kategorien.

Elbphilharmonie: Das Konzert des Chineke! Orchestra ist eine grandiose Party

Los geht es mit „Prisms, Cycles, Leaps“ von Derrick Skye. Das Stück ist neun Jahre alt, der Komponist zarte 42, beide passen zum Profil des Orchesters wie bestellt. Chineke! steht nämlich für Diversität in mehrfacher Hinsicht, eben nicht nur, was die Hautfarben der Mitglieder – und des Dirigenten Kevin John Edusei – angeht, sondern insbesondere auch die Programme.

Der Komponist Skye, selbst Afroamerikaner, vereint in „Prisms, Cycles, Leaps“ Klänge aus Afrika, Indien und vom Balkan. Die Geigen erzeugen mal eine Atmosphäre von Wüstenwind, indem sie übers Griffbrett hauchen, dann wieder malen sie kleine melodische Arabesken, die Holzbläser wiegen sich in Schlangenbeschwörer-Motiven, es wird viel geklatscht. Und zwar höchst komplex geklatscht, durchaus in mehreren Rhythmen gleichzeitig. Die sich dann auch, wie man das aus der Minimal Music kennt, sacht gegeneinander verschieben. Trance und Schwung sind keine Gegensätze.

Die Solistin hat früher einmal selbst im Orchester mitgespielt. An der Bratsche

Das fortschrittliche Publikum jubelt, überhaupt ist die Stimmung bestens. Die Solistin für Prokofjews 3. Klavierkonzert, Isata Kanneh-Mason, wird begeistert begrüßt. Hat doch Nwanoku gerade erzählt, dass die junge Pianistin, Spross einer Londoner Familie mit insgesamt sieben musizierenden, teils hochdekorierten Kindern, einst selbst als Bratschistin bei Chineke! mitgespielt hat. Den halsbrecherischen Solopart des Klavierkonzerts lässt Kanneh-Mason mit einer solchen Anmut und scheinbaren Leichtigkeit aus den Fingern tropfen, dass sich Lyrizismus und szenischer Witz mühelos entfalten können. Ihre Virtuosität ist dabei Grundzutat, Voraussetzung, aber in keinem Moment Selbstzweck.

Der gefährlichste Teil des Programms kommt zum Schluss, nämlich die Uraufführung des „Konzerts für Orchester“ von Brian Nabors (Jahrgang 1991 und Afroamerikaner wie Skye). Mit dem Titel greift der Komponist in die oberste Schublade, schließlich gibt es so ikonische Werke dieses Namens von Bartók und Lutosławski. Nabors wird dem Gedanken, dass das Orchester selbst der Solist ist, auf seine durchaus heutige und gut hörbare Weise gerecht, mit viel Rhythmus, raffinierten Klangfarben und ohne Scheu vor filmmusikreifem Schmelz. Und irgendwo findet sich immer noch eine weitere Wendung ins Helle.

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Als Zugabe servieren sie ein Best-of aus den Werken von Sky und Nabors, dieses Mal zum Mitklatschen, charmant moderiert von Edusei. Strahlende Gesichter, Standing Ovations. Mindestens so sehr wie ein Konzert ist dieser Abend eine Party voller Jugendlichkeit, Weltoffenheit und Zuversicht. Was für ein Trost in diesen Tagen.

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