HAMBURG. Sie ist Teil eines coolen britischen Klassik-Clans. Entsprechend charismatisch war der „Rising Stars“-Klavierabend der Pianistin.
Auf der Bühne des Kleinen Saals strahlten acht sattblaue, senkrecht aufgestellte Neonröhren den Star im Zentrum an, neben einem Flügelbein lag das Mikro für kurze Ansagen griffbereit. Etwas anders und weniger formal als sonst war einiges an diesem Abend, aber: warum nicht? In der „Rising Stars“-Konzert-Tourreihe, mit der die Elbphilharmonie in dieser Woche Nachwuchstalenten Chancen bietet, sind Namen, von denen man bald mehr hören dürfte. Und einer, der bereits jetzt einer ist.
Sie hat schon einen prominenten Plattenvertrag und ist Teil eines coolen britischen Klassik-Clans, sieben junge Talente, aus dem ihr jüngerer Bruder Sheku Kanneh-Mason am deutlichsten heraussticht. Soviel zum Anfang, damit es aber auch erledigt ist mit den Querverweisen. Die Pianistin Isata Kanneh-Mason hat Trittbrett-Touren nicht nötig. Sie kann was, sie hat was, sie will was, ihr sehr eigenes Potenzial und Charisma sind unüberhörbar und präsent.
Isata Kanneh-Mason: Zunächst ein wenig Pflichtstück-Aroma
Interessanterweise war es ausgerechnet das „einfachste“, auf jeden Fall aber das konventionellste Stück, in dem ihr Recital schwächelte und sie nicht zu sich und in diese Musik hineinfand: Mozarts c-Moll-Sonate KV 457. Das war zu sehr „Jugend musiziert“-Finale, zu wenig Eigenes, keine überraschend herausgearbeiteten Ecken, keine anziehenden Kanten. Schön und klar gespielt, wogegen prinzipiell nichts einzuwenden ist. Doch sein Pflichtstück-Aroma wurde dieser Start in den Abend nicht los.
Und auch die F-Dur-Ballade von Chopin, mit der sie sich – vor Gershwins 1. Prelude als süffig runtergegroovte Zugabe – aus dem Hauptprogramm verabschiedete, blieb formschön im Rahmen des Erwartbaren. Gut erzogene Salonmusik, wenn auch auf sehr hohem Niveau. Kanneh-Masons Ding sind offenkundig viel eher die anders anstrengenden Herausforderungen: Alle Hände voll zu tun, rein ins Risiko. Je kleiner die Chancen, karambolagefrei durchzukommen, desto größer ihr Spaß.
Brodelnde Akkordbrühe mit verwirbelten Rhythmen und heißen Blasen
Die drei der 24 Skrjabin-Préludes op. 11, die interessant irrlichterten und von ihr mit feinem Legato und sanften Farben kredenzt wurden, nahm Kanneh-Mason als Vorstufe zu Gubaidulinas „Chaconne“, aus sie bei aller formal vorhandener Strenge und Bach-Bewunderung einen wilden pianistischen Drahtseilakt machte. Gubaidulinas streng abgezirkelte Studie, dieses über 50 Jahre alte Frühwerk, war faszinierenderweise das genaue Gegen-Stück zum folgenden Avantgarde-Kracher: Eleanor Albergas „Cwicseolfor“, 2021 geschrieben, vertonte und verfestigte das unberechenbare Fließen von Quecksilber. Und genau so spielte Kanneh-Mason diese fantastisch brodelnde Akkordbrühe auch, aus der immer wieder verwirbelte Rhythmen und heiße Blasen hervorstiegen.
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In Rachmaninows Études-tableaux op. 39 durfte und musste danach noch einmal die extremromantische Deuterin von Seelenzuständen und Verzweiflungsausbrüchen ran. Und auch in den Phasen komplexer Motiv-Verästelungen war Kanneh-Mason nicht nur liefernde Virtuosin, sondern mitfühlende Interpretin. Was an fatalistischer, melancholischer und dunkler Tiefe fehlte, machte diese Überzeugungsleistung fast wieder wett. Noch ist Kanneh-Mason keine durch und durch sensationelle Alleskönnerin, doch das sollte auch niemand ernsthaft von einer 25-Jährigen verlangen. Sie probiert aus, was geht. Und es geht schon jetzt erstaunlich viel.
Aktuelle CDs: „Muse“ Isata & Sheku Kanneh-Mason (Decca, ca. 18 Euro). „Summertime“ (Decca, ca. 8 Euro). Dokumentation: „7 Leben für die Musik – Die Familie Kanneh-Mason“ 3Sat, 5.2., 20.15 Uhr.