Hamburg. Vor dem Schriftsteller-Kongress in der Fabrik spricht die Hamburger Autorin im Abendblatt über rechte kulturelle Einflussnahme.
Die Schriftstellervereinigung PEN Berlin veranstaltet am 2. November in der Fabrik ihren inzwischen dritten Kongress. „So kommen wir weiter“ ist sein Titel, angekündigt sind Reden und Diskussionsrunden mit unter anderem Eva Menasse, Etgar Keret, Alain Claude Sulzer und Zoë Beck. Unter den Organisatoren ist auch die Hamburger Autorin Simone Buchholz.
Ein Thema des Kongresses ist die innere Zensur beim Schreiben – inwiefern kennen Sie diese, Frau Buchholz?
Ich würde natürlich gern sagen, dass ich keinerlei Schere im Kopf habe und vollkommen frei erzähle, aber ich schreibe nicht im luftleeren Raum – ich schreibe eher in und aus meinem Erfahrungsraum und hoffentlich auch mit dem gesamtgesellschaftlichen Erfahrungsraum im Kopf. Das hat zur Folge, dass etwa in meinen Kriminalromanen keine Frauen und Kinder gefoltert wurden, weil ich erstens keine stereotypen Opfernarrative reproduzieren will, und zweitens wollte ich mich nie mit voyeuristischer Gewalt gegen Schwächere an einen Massengeschmack anbiedern. Ich versuche eher, in meinen Geschichten Strukturen und Narrative aufzubrechen, das tue ich auch ganz bewusst, und vielleicht ist diese Art von konstruktiver Zensur – also nicht immer das schreiben, was mir zuerst in den Kopf kommt, sondern noch mal zwei, drei Runden nachdenken – auch ein ganz guter Motor für meine Arbeit.
Wie woke ist die Literatur?
Die Literatur als solches gibt es für mich nicht, aber ich kann von mir selbst ausgehend über diesen Beruf sagen, dass ich nichts falsch finde an dem Anspruch, wachsam zu sein für Ungerechtigkeiten und gewalttätige Machtstrukturen. Und nichts anderes bedeutet ja das Wort „woke“, das nebenbei nicht neu ist, sondern schon in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung genutzt wurde, um einen gerechteren, wacheren Blick zu fordern. Das ist doch der Kern guten Erzählens: wachsam sein, mitfühlend, aufmerksam, feinnervig – aber auch widerspenstig, widerständig, trotzig, radikal. Für mich kann ich sagen: Egal, zu welcher politischen Strömung ihr gehört, von mir kriegt ihr eure Gewissheiten im Zweifel um die Ohren gehauen, manchmal zart und manchmal hart.
Simone Buchholz und PEN Berlin: Sollen Nazis verboten werden?
Der PEN-Kongress beschäftigt sich nicht nur mit Fragen zur literarischen Produktion und zum schriftstellerischen Selbstverständnis. Was war Ihnen wichtig bei der Programmplanung?
Uns war wichtig, möglichst vielen der aktuell relevanten Debatten eine Bühne zu geben, und das in unterschiedlichen Formaten, damit es nicht langweilig wird. Ivan Krastev und Fintan O’Toole etwa geben uns, mit Blick auf die US-Wahl, einen Leitfaden zum Weltuntergang an die Hand, der Autor Philipp Ruch und der Jurist David Werdermann werden mit dem Publikum darüber streiten, ob Nazis verboten werden sollen oder nicht, die großartige ugandische Autorin Stella Nyanzi wird von den furchtbar repressiven Gesetzen zu Homosexualität in ihrem Heimatland berichten, das Finale bildet dann die Festrede des israelischen Schriftstellers Etgar Keret, danach gibt der Musiker und Freigeist Daniel Kahn ein kurzes Konzert. Durch diesen vollen Tag führt charmant die renommierte Journalistin Bascha Mika, damit alle zwischendurch auch mal durchatmen können.
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- Ein Roman, der ein bisschen wehtut – und ganz viel Mut macht
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Wie „kommen“ Kultur und Gesellschaft, um den Slogan der Tagung zu bemühen, denn künftig „weiter“?
Indem alle immer weiter mit allen reden. Kultur ist Dialog, Zivilisation ist, einander auszuhalten, auch wenn die einen die anderen für zu anders halten. Das ist das Gegenteil von Autoritarismus, Unfreiheit, Diktatur und Gewalt, und weil wir gesellschaftlich genau da ja nicht hinwollen, hilft nur reden, reden, reden. Und dazu geben wir mit dem PEN Berlin Kongress Gelegenheit.
Simone Buchholz über die AfD: „Enthemmte Jung-Nazis denken, sie können da auch mal zuschlagen“
Thema auf der Bühne wird auch der gesellschaftliche Rechtsruck sein. Was wissen Sie über kulturelle AfD-Einflussnahmen?
Gerade in Bundesländern mit hohen AfD-Zahlen ist die freie Szene unter Druck, also Lesebühnen, Theater, Ausstellungsräume, Kinos, und zwar nicht nur finanziell, wenn Förderung gestrichen wird, sondern auch ganz konkret, wenn es dunkel wird und durch AfD-Rhetorik enthemmte Jung-Nazis denken, sie können da auch mal zuschlagen. Und von Kolleginnen, die in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten, weiß ich, dass da teilweise in vorauseilendem Gehorsam Kulturprogramme gekürzt und Sendeplätze gestrichen werden. Das finde ich empörend, hat der Rundfunk doch einen Bildungsauftrag und keinen Quotenauftrag .Das ist übrigens ein weiteres Panel unseres Programms: Kulturarbeit im Osten unter Druck – da berichten dann Leute davon, die sich damit besser auskennen als ich.
Wie wichtig ist es für eine Vereinigung wie PEN Berlin, in Ostdeutschland präsent zu sein? Welche Möglichkeiten gäbe es da?
Heterogenität, also Diversität im Denken, in Identität und Herkunft ist ein Kern unserer Arbeit, denn, wie gesagt: Wir sind eine Dialogmaschine, nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Das heißt, dass wir natürlich nicht nur ein westdeutscher Laden sind, sondern auch viele Mitglieder haben, die entweder in Ostdeutschland geboren wurden oder jetzt in Ostdeutschland leben, was aber sowieso eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Ich persönlich finde Bayern ja sehr viel merkwürdiger als alle anderen Bundesländer, da wird aber auch nicht permanent drauf hingewiesen. Um noch mal extrapräsent zu sein, haben wir immer und überall die Möglichkeit, Veranstaltungen zu organisieren, wie jetzt etwa den Kongress in Hamburg, oder aber auch die 37-teilige Diskussionsreihe, die wir im August und September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg auf die Beine gestellt haben.
Wie bewerten Sie den gesellschaftspolitischen Stellenwert der Literatur?
Ich habe da diese steile These: Das Erzählen, also Literatur, entstand vor sehr langer Zeit an den Lagerfeuern, als ein paar Freaks, die zu kurzsichtig waren zum Jagen, zu zart besaitet, um Tiere zu zerlegen, und zu schlecht in Verhandlungen, um Felle an den Nachbarstamm zu verticken, aus ihrer Not heraus irgendwas finden mussten, damit sie auch nützlich sind und nicht vom Rest der Gruppe gefressen werden. Und die haben eben angefangen, am Feuer Geschichten zu erzählen. Also würde ich sagen: Solange wir, die Nachfahren dieser Freaks, gute Geschichten erzählen, haben wir vielleicht nicht automatisch gesellschaftlichen Stellenwert, werden aber nicht gefressen und dürfen weitermachen.
Der PEN-Berlin-Kongress findet am 2.11. ab 13 Uhr in der Fabrik Altona statt. Tickets kosten 14, ermäßigt 10 Euro. Alle Infos unter www.penberlin.de