Hamburg. Norbert Klugmann hat einen Roman über die Unfallserie geschrieben. Über die Verursacher lustig machen will er sich aber nicht.

Die Zahlen schwanken. Rund 23-mal sind Autos schon bei Ein- beziehungsweise Ausparkunfällen in Schaufenster an der Waitzstraße in Groß Flottbek gekracht. Andere Experten haben schon 24 oder noch mehr Crashs errechnet, je nachdem, welchen Maßstab man anlegt. Manche Bagatellschäden wurden schon gar nicht mehr mitgezählt, denn mit der Zeit war man da großzügig geworden – oder auch einfach nur genervt.

Die spektakuläre und auch ziemlich mysteriöse Unglücksfolge hat Schlagzeilen gemacht, bundesweit sogar. Neben Unfallforschern und Gerontologen haben sich auch Satiriker und andere Witzbolde ausgiebig damit beschäftigt. Was bislang fehlte, war ein Roman zum Thema, doch auch der liegt nun vor. Der Hamburger Autor Norbert Klugmann hat ihn geschrieben, der programmatische Titel lautet: „Bitte parken Sie nicht in unserem Schaufenster“.

Waitzstraße in Hamburg – Albtraum aller Kfz-Versicherungen

Leicht und fröhlich kommt Klugmanns Buch daher, was nach den monatelangen Analysen und Diskussionen rund um Ursachen und Sicherheitsmaßnahmen vor Ort mal eine Wohltat ist. Die Waitzstraße sei „der Albtraum aller deutschen Kfz-Versicherungen“, heißt es da zum Beispiel lakonisch, oder auch, so mancher Wagen habe „den Sprung aus der Parkposition in den fünfstelligen Sachschaden geschafft“. Klugmann schreibt mit viel Humor, macht sich aber nicht wirklich über die Unfallverursacher lustig.

Immer wieder fahren Autos an der Waitzstraße in Geschäfte.
Immer wieder fahren Autos an der Waitzstraße in Geschäfte. © Unbekannt | Michael Arning

Das ist ihm wichtig. „Ich bin kein Zyniker“, sagt er beim Treffen vor Ort, „und aktuell ja auch schon 70 Jahre alt.“ In dem Buch gehe es viel um Generationenkonflikte, so Klugmann. Kinder, die oft ja auch schon Best Ager sind, müssen die Eltern vom Fahrverzicht überzeugen – mit mäßigem Erfolg. „Die Seniorinnen und Senioren haben das Gefühl, dass ihnen damit das ganze Leben abgenommen wird“, sagt der Autor, der schon rund 80 Bücher geschrieben hat, „das ist eine verdammt schwierige Situation.“

Waitzstraße: Skurrile Unfälle und alte Bekannte

Doch an erster Stelle stehen Komisches und Skurriles dicht gedrängt. Einige Kostproben: Als nach einem Unfall drei Ärzte aus den umliegenden Praxen herbeieilen, sind sie für die Augenzeugen wie alte Bekannte. „Jeder Passant, der am Wagen versammelt war, kannte sie mit Namen“, schreibt Klugmann, „einige hätten die Sprechstundenzeiten herbeten können.“ An anderer Stelle schildert er die Reaktion einer Fahrerin, dann geht es im Text weiter: „(…) wenn man bereit ist, jemanden, der einen Wagen nach fünf Metern Fahrstrecke gegen die Hauswand gesetzt hat, als Fahrerin zu bezeichnen.“ Auch ein Bauarbeiter versucht sich als Ersthelfer.

Dazu O-Ton Klugmann: „So schnell sieht man selten einen Menschen ein Gerüst hinabklettern, es sei denn, es ist Feierabend.“ Allerlei kuriose Typen bevölkern die Szenerie, darunter der ehemalige Oberstudiendirektor und achtfache „Hauptzeuge“ Dr. Schwupp, ein Doktor Endlos und der Bürgernahe Beamte Sott, der von Falschparkern mit Franzbrötchen bei Laune gehalten wird. Was davon wahr sein könnte, dürfen Ortskundige beurteilen. Die witzig-überdrehte Handlung spitzt sich zu, als sich ein vergleichbarer Unfall in Poppenbüttel ereignet.

Fortsetzung folgt: Manuskript gibt es schon

Es kommt zum Showdown unter betagten Autofahrerinnen und -fahrern in einer Kiesgrube: Senioren aus den Elbvororten und dem Alstertal treten gegeneinander an. Mehr wird noch nicht verraten. Inspirierend sei die Arbeit an dem Buch gewesen, berichtet Norbert Klugmann, das erste Feedback sehr gut. Kein Wunder, dass eine Fortsetzung nicht nur geplant ist, sondern als Manuskript sogar schon vorliegt.

Das Buch (Gmeiner Verlag, 283 Seiten, 14 Euro) ist erhältlich im Handel, bei abendblatt.de/shop sowie in der Abendblatt-Geschäftsstelle.
Das Buch (Gmeiner Verlag, 283 Seiten, 14 Euro) ist erhältlich im Handel, bei abendblatt.de/shop sowie in der Abendblatt-Geschäftsstelle. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia/Funke Foto Services

Klugmanns geistreicher, hintersinniger Humor scheint auch im Gespräch immer wieder durch. Nach dem Abitur hatte der gebürtige Uelzener „den allerersten Zug nach Hamburg“ genommen und die Stadt danach nie mehr verlassen. Lange Jahre als Journalist haben seinen Stil geprägt, und von Krimis über Romane zu Sachbüchern aller möglichen Themen gibt es kaum ein Genre, das er nicht beherrscht. Auf die Idee zu dem neuen Buch kam der Vater einer erwachsenen Tochter, nachdem ihn Freunde und Bekannte auf das Phänomen der Schaufenster-Unfälle angesprochen hatten. „Fragen dazu kamen aus dem ganzen Land“, erzählt er, „viele in Hamburg wissen nicht, wie bekannt diese Straße inzwischen überall ist.“

Unfälle an der Waitzstraße ohne Schwerverletzte

Der Bramfelder nimmt mitten in dem Mix aus Stadtmöbeln, Bügeln und Pollern Platz, die hier mittlerweile erfolgreich für Schutz sorgen. Genau neben ihm liegt der Eingang des Bekleidungsgeschäfts „Die Engelei“, das Ende Mai 2019 von einem besonders schweren Unfall betroffen war. Dass bei den ganzen Crashs an der „Waitze“ niemand schwer verletzt wurde, grenzt an ein Wunder – das weiß auch Norbert Klugmann.

„Wenn etwas wirklich Schlimmes passiert wäre, hätte ich das Buch niemals geschrieben“, sagt er ernst, „das wäre ausgeschlossen gewesen.“ Klugmann hat in diversen Hamburger Stadtteilen gelebt, aber „nie weiter westlich als Ottensen“. Die Gegend rund um die schicke Einkaufsstraße war ihm zwar aus früheren Jahren bekannt, aber erst für die Buch-recherche ist er wieder tiefer eingestiegen ins Milieu.

Waitzstraße: "Ich find's wunderschön hier"

Gespräche mit ein paar Anwohnern gehörten dazu, diverse Besichtigungen der Schauplätze und natürlich etliche Spaziergänge mit Schaufensterbummel, auf denen er die besondere Atmosphäre erspüren konnte. Sein Fazit? Klugmann blickt über die Fahrbahn, auf der wieder mal jede Menge Autos im Schneckentempo voranschleichen. Auf der gegenüberliegenden Seite knallt die Sonne auf die Köpfe der Café-Besucher, einige blättern in Zeitungen, andere klatschen mit Bekannten. „Ich find’s wunderschön hier“, sinniert Klugmann, „viel schöner als erwartet.“ Geradezu persönlich-intim gehe es entlang der Straße zu, gleichzeitig herrsche aber „weniger ,closed shop‘, als ich gedacht hatte“.

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Wie zur Bestätigung stoppt eine Passantin auf ihrem Weg zum Auto kurz an Klugmanns Tisch, um einen Blick auf das neue Werk zu werfen. Amüsiert deutet der Autor auf den SUV der Dame und sagt: „Sie parken mitten in meinem Buch, ist Ihnen das klar?“ Die Angesprochene guckt etwas irritiert und ruft beim Weitergehen fröhlich: „Na, das ist ja schön.“ Als sie ihren Wagen startet und anfährt, lächelt Nobert Klugmann hintersinnig und sagt dann leise: „Na, hoffentlich geht das gut.“