Hamburg. Regisseur Emre Akal bewegt sich mit „Barrrbie ein Puppenheim“ gekonnt vom Pop zum Theater. Eine Frage bleibt jedoch offen.
Es ist Grillfest bei Barbie. Im Schaumstoffkleid mit einer brikettharten Sturmfrisur steht die Blondine am Grill. Ihr Pudel steht brav daneben. Zwei dauergrinsende Ken-Jungs hocken in blauen Anzügen auf einer Bank und laben sich an den Würstchen. Eine Welt, wie sie künstlicher kaum geht. Auf hölzerne weiße Umrisse ist das Haus projiziert. Ein rosaroter Lebkuchentraum mit viel Zuckerguss.
Oder ist es ein Albtraum? Der Abgrund zwischen der knallpinken, scheinbar perfekten Welt im Barbie-Land und der Realität wurde in der Filmkomödie von Greta Gerwig im vergangenen Jahr zum Kino-Superhit, die Puppe dort zu einer subversiv agierenden, feministischen Rebellin.
Nun hat sich der junge Regisseur Emre Akal die Identifikationsangebote Barbies als geliebtes Spielzeugwesen der Popkultur vorgenommen und kritisierte gleichzeitig, eine ein fragwürdiges Körperideal propagierende Konsumfigur, um mit ihrer Hilfe Henrik Ibsens Klassiker „Nora oder Ein Puppenheim“ (1879) zu überschreiben. Das Ergebnis nennt er anlässlich der Uraufführung im Thalia in der Gaußstraße „Barrrbie ein Puppenheim“.
„Barrrbie ein Puppenheim“ im Thalia in der Gaußstraße: Barbie als Macherin und Multijobberin
Die Inszenierung lebt von einem starken Formwillen. Lara Roßwag hat eine rosarote Welt geschaffen, die an die plakative 1980er-Neo-Geo-Kunst des Jeff Koons erinnert. Wie aus Knetgummi von Kinderhand gestaltet, wirken darin die Möbel. Dick aufgetragen wabert darauf der von dem Künstlerduo Mehmet & Kazim projizierte Zuckerguss über die Fassade. Die Figuren bewegen sich in dieser Umgebung ebenfalls unnatürlich und sprechen fast Dada-artige Texte, gespickt mit Filmzitaten.
Barbie, so erfährt man, ist eine Macherin und Multijobberin: In kurzen Szenen wird sie als Ärztin, Pilotin, Politikerin, Bauingenieurin präsentiert. Und zwischendurch muss die tapfer lächelnde Victoria Trauttmansdorff als Barbie ständig ein nervtötendes „Atmen“ wiederholen. Welchem inhaltlichen Zweck diese schillernde Oberfläche – abgesehen von Filmreferenzen – dienen soll, erschließt sich allerdings nicht.
„Barrrbie ein Puppenheim“: Biografien der Figuren werden entkernt
Doch dann folgt ein zweiter Teil. Und auf einmal ist man bei Ibsen, auch wenn die Figuren andere Namen tragen und sich weiterhin seltsam schablonenhaft in den voluminösen Kostümen von Annika Lu bewegen: Trauttmansdorffs Barbie ist verheiratet mit dem erstarrten Bankdirektor Heini, den Oliver Mallison als blässlichen Typen – einfach Ken – zeichnet. Julian Greis kommt als Hausfreund zu Besuch und sorgt für kurze emotionale Verwirrung. Die von Anna Blomeier gegebene alte Freundin heißt hier getreu dem Barbie-Kosmos Christie. Und dem von Tilo Werner gespielten Bankangestellten droht der Jobverlust, weshalb er auf eine kleine, fiese Erpressung sinnt, denn die Nora-Barbie verbirgt ein Geheimnis.
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Die Biografien der Figuren sind auf ihre reine Funktion entkernt. Entsprechend begrenzt sind auch die Spielmöglichkeiten. Auch wenn die Brikettfrisuren verschwunden sind, wirken die Bewegungen noch immer wie elektrisiert, als hätten die Figuren in eine Steckdose gefasst. Die schöne rosarote Projektionswelt ist einer grauen, dauerverregneten Tristesse gewichen. Er solle aufhören, sie Barbie zu nennen, beschwert sich Trauttmansdorffs Barbie in einem raren Anfall von Emotionalität: „Ich heiße Nora.“
„Barrrbie ein Puppenheim“: Hauptfigur bleibt zu sehr Oberfläche
Im dritten Teil wandelt sich die Künstlichkeit endgültig in einen Naturalismus. Man sieht die Eheleute in Alltagskleidung freudlos distanziert beim Abendessen. Die Kinder schauen im Wohnzimmer Barbie-TV. Und nun verkündet Trauttmansdorffs Nora, dass sie den Ehemann verlassen wird.
In seiner Inszenierung bewegt sich Regisseur Emre Akal durchaus mit einer gewissen Folgerichtigkeit und viel ästhetischem Können vom Pop zum Theater, von der Künstlichkeit zum Realismus und von der Spielzeugwelt zur Wirklichkeit. Es bleibt allerdings unklar, was ihn an dem Stoff eigentlich interessiert hat, außer dem Klassiker über eine Frauenfigur, die sich am Ende von der Rolle einer Puppe emanzipiert, eine schillernde, zeitgemäße Oberfläche zu verpassen.
Die hat allen Beteiligten sicher viel Spaß bereitet und bietet dem Publikum einige Schauwerte. Der Ibsen-Geschichte fügt sie allerdings keine neue Erkenntnis hinzu. Am Ende bleibt sie selbst doch zu sehr Oberfläche.
„Barrrbie ein Puppenheim“ weitere Vorstellungen 21.10., 6.11., 7.11., 23.11., jew. 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de
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