Hamburg. Im Rahmen des Chopin-Festivals im Museum für Kunst und Gewerbe gab der russische Pianist Dmitry Ablogin ein beeindruckendes Konzert.
Im ersten Stock des Museums für Kunst und Gewerbe gibt’s eine wahre Schatzkammer für Musikfans: Da sind herrliche historische Instrumente zu entdecken und bestaunen. Und manchmal sogar live zu hören, etwa wenn das Hamburger Chopin-Festival mal wieder zu Gast ist. Am dritten Abend der diesjährigen Ausgabe spielte der Pianist Dmitry Ablogin auf zwei der alten Schmuckstücke und auf einem heutigen Instrument – und es war spannend zu beobachten, was dieser Wechsel mit dem eigenen Hören macht.
Ablogin begann sein Programm auf einem Brodmann-Hammerflügel, der um 1815 in Wien gebaut wurde. Der Sound ist zunächst ein kleiner Schock, wenn man das massige Volumen moderner Flügel im Kopf hat: Das kleinere Brodmann-Instrument scheint eher schüchtern zu zirpen als aufzutrumpfen, sein Klang ist nicht brillant und strahlend, sondern ein bisschen milchig – und sehr filigran. Ablogin nutzt diese Voraussetzungen virtuos. Wenn er die Verzierungen in Chopins Rondo à la Mazur leichthändig aus dem Ärmel schüttelt und in die Tasten streut, als wären sie ihm gerade spontan eingefallen.
Dmitry Ablogin: Überwältigender Klavierabend im Museum für Kunst und Gewerbe – mit Schockmomenten
Ganz anders der Charakter der Nocturnes von John Field. Sie wirken wie verträumte Meditationen über die nächtliche Melancholie. Und auch da ist Dmitry Ablogin zu Hause. Er lässt die Melodien immer wieder innehalten und kurz in sich zusammensinken. Ganz so, wie es die Musik braucht. Aber er hat auch genau das richtige Instrument dafür unter den Händen: einen Londoner Broadwood-Flügel von 1841, in dessen gedecktem Ton eine sanfte Wehmut mitschwingt. Zauberhaft. Und anrührend.
Interessanter Wahrnehmungswandel: Als der Pianist dann noch einmal zum älteren Brodmann-Hammerflügel zurückkehrt, um Mendelssohns E-Dur-Sonate zu spielen, kommt einem der Klang plötzlich sehr viel voller vor als vorher. Die Ohren haben sich auf den niedrigeren Lautstärkepegel und auf die Farben der historischen Instrumente eingestellt. Das Gehör ist sensibilisiert – aber damit auch empfindlicher geworden.
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Deshalb wirkt die zweite Hälfte wieder wie ein kleiner Schock. Aber diesmal umgekehrt: Nach den zarten Sounds von Brodmann und Broadwood klingt der moderne Shigeru-Kawai-Flügel aus dem Jahr 2019 auf einmal ziemlich monströs.
Dass die Musik eine so überwältigende Wucht entfaltet, liegt aber auch am phänomenalen Pianisten, der alle Register zieht: Nachdem Dmitry Ablogin vor der Pause oft auf Pianonuancen gesetzt hat, erkundet er gerade in den späten Klavierstücken von Brahms auch erstaunlich kantige Kontraste und eine raue, bisweilen fast zornige Leidenschaft, wie man sie bei diesen gern als „altersmilde“ betrachteten Werken selten zu hören bekommt.
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