Hamburg. Zu Tränen gerührt und in Flirtlaune: Vicky Leandros verabschiedete sich erneut mit zwei umjubelten Konzerten in der Elbphilharmonie.

Die Uhr zeigt 15:07 Uhr, ein kurzes instrumentales Medley ihrer Band mit ihren größten Hits ist gerade verklungen, als sich die Tür am rechten Bühnenrand öffnet. Unter tosendem Applaus schreitet Vicky Leandros, bodenlanges funkelndes Kleid, auf die Bühne. Das Publikum feiert sie schon jetzt mit Standing Ovations. Und dann singt Vicky Leandros „Après toi“, jenen Chanson, mit dem sie im März 1972 für Luxemburg den Grand Prix d‘Eurovision in Edinburgh gewann.

Wer die Sängerin an diesem Sonntagnachmittag beim ersten von zwei Konzerten in der natürlich ausverkauften Elbphilharmonie erlebte, mochte kaum glauben, dass seitdem mehr als fünf Jahrzehnte verstrichen sind. Auch mit nunmehr 72 Jahren hat sie diese unglaubliche Bühnenpräsenz. Sie flirtet mit ihren Fans, nimmt sie mit auf eine musikalische Zeitreise um den Globus.

Dieser gefeierte Schlagerstar liebt noch immer das Leben

Alles begann in Hamburg, die Stadt, die Vicky Leandros ihre Heimat nennt. Sie erzählt, wie sie als Fünfjährige an die Elbe kam, mit ihren Eltern in die Straße Blumenau nach Eilbek zog. „Nach der Schule habe ich mir beim Bäcker immer eine Rumkugel ohne Rum geholt“, erzählt sie. Dann singt sie „Messer, Gabel, Schere, Licht“, ihren ersten Hit aus dem Jahr 1965, kurz an. In einer Kritik sei sie als „pummelige Eintagsfliege“ bezeichnet worden. „Mit Eintagsfliege konnte ich leben, aber meine Freundschaft zur Bäckerei hat gelitten“, sagt sie dann.

Vicky Leandros
Die ganz großen Emotionen: Vicky Leandros kann ihre Fans noch immer mit ihrer Stimme berühren, wie das umjubelte Konzert in der Elbphilharmonie zeigt. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Die musikalische Reise führt von Paris, wo sie mehrere Jahre lebte – der weltberühmte Jacques Brel-Chanson „Ne me quitte pas“ zählt zu den Höhepunkten des Konzerts – bis nach Japan: „Dort habe ich Hunderte von Konzerten gegeben.“ Auch dort landete sie mit „Machi Kutabireta Nichiyobi“ einen Hit, den Wunsch nach einem Lied in der Landessprache habe sie ihren Fans im Fernen Osten nicht abschlagen können.

Karaoke-Singen mit dem Publikum kann auch peinlich sein

Dann nimmt sie ihr Publikum mit „More Than That“ nach Amerika. Auf Wunsch der Plattenfirma hätte sie nach Los Angeles ziehen sollen: „Aber stattdessen bin ich zurück nach Hamburg geflogen.“ Ihre Wurzeln seien nun mal in Deutschland und in Griechenland, auch Mikis Theodorakis erweist Vicky Leandros ihre Reverenz.

Wie verzückt ihre Fans sind, zeigt sich bei der Karaoke-Nummer „Blau wie das Meer“. Vicky Leandros schreitet durch das Publikum, sucht Freiwillige, die mit ihr den Refrain singen, ein Mitarbeiter zeigt den Vers auf einem Plakat. Solche Aufrufe können schnell peinlich werden, wenn sich die Besucherinnen und Besucher verängstigt in ihre Sessel drücken. Doch diesmal gehen mehrere Hände in die Höhe, jeder Auftritt wird mit Applaus belohnt.

Schon im März 2023 verabschiedete sich die Sängerin in Hamburg

Den perfekten Soundteppich weben ihre Band, eine Backgroundsängerin und ein Streichertrio, viel mehr geht nicht. Und doch liegt etwas Melancholie in der Luft. „Meine Abschiedstournee“ steht auf den Karten. Vicky Leandros sagt dann auch, dass sie lieber jetzt aus eigenen Stücken gehen wolle – und nicht, wenn ihre Stimme das Publikum nicht mehr berühre: „Das bin ich Ihnen für Ihre Treue schuldig.“

Wer im März 2023 bei ihren Konzerten in der Elbphilharmonie war, kannte diese Sätze. Fast wortgleich verabschiedete sich Vicky Leandros auch damals, am Ende gab es sogar einen Blumenstrauß von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD).

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Aber bitte, wir wollen gerade in diesen schwierigen Zeiten nicht kleinlich sein. „Auf Wiedersehen“ heißt ja auch, dass man sich mal wieder sehen kann, zahlreiche Künstlerinnen und Künstler haben ihre Karriere beendet, um dann triumphal zurückzukehren. Und dass Vicky Leandros ihre Rente getrost noch um ein paar Jahre verschieben kann, zeigt sich beim letzten Block mit ihren deutschen Hits, allen voran „Ich liebe das Leben“. Nur nach Lodz geht es diesmal nicht, Theo bleibt zumindest beim Nachmittagskonzert daheim. Stattdessen klingt das Konzert aus mit „Hallelujah“, dem legendären Song von Leonard Cohen, inbrünstig von den Fans mitgesungen.

Vielleicht nimmt Vicky Leandros erneut Abschied vom Abschied. Und seien wir ehrlich: „Ich liebe das Leben“ wäre ein guter Soundtrack für das kommende Jahr.

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