Hamburg. Der Hamburger Künstler Simon Hehemann lädt bei seinen „Spacewalks“ zur Auseinandersetzung mit dem Werden und Vergehen des Menschen ein.

Ob Galerist Ralf Krüger wusste, was er sich antut? 2009 war es, da packten ihm die Künstler Simon Hehemann und Stefan Vogel seine Räume mit Autoreifen voll. „Wir wollten sehen, wie viele da reinpassen“, erzählt Hehemann grinsend. Student sei er damals gewesen, Geld rar, und die Reifen als Kunstobjekte à la Fluxus lagen da irgendwie nahe. Schließlich hatte US-Künstler Allan Kaprow damit eine ganze Fabrikhalle gefüllt. Der Hamburger Galerist musste die durch Sonneneinstrahlung hervorgerufenen Ausdünstungen zwei Wochen lang ertragen, während die Künstler ihren Urlaub bei guter Bergluft genossen.

Ralf Krüger hat es seinem Schützling offensichtlich nicht krummgenommen. Und Simon Hehemann (42) ist mittlerweile erwachsen geworden. Spiel- und Tüfteltrieb sind aber nach wie vor stark ausgeprägt. Sein Publikum und die Kritik überrascht er mit immer neuen außergewöhnlichen Installationen, die zwischen Bild, Collage und Performance oszillieren. Aktuell bespielt er „The Space“ im Springer Quartier mit seiner bislang spektakulärsten Ausstellung „Spacewalks“.

Caspar David Friedrich: 700 Wände der Schau finden ein Zuhause in der Ausstellung „Spacewalks“

Ein verschachtelter „Koloss“ aus weißen Holzwänden füllt den hinteren Teil des Ausstellungsbereichs fast vollständig aus. Insgesamt sechs ineinander übergehende Räume hat der Künstler gebaut und gestaltet. Im ersten lädt eine weiße hölzerne Treppe zum Aufstieg: Ist man oben angekommen, steckt der Kopf in einem dunklen, komplett mit Spiegeln ausgestatteten Paralleluniversum, eine elektrische Miniatureisenbahn kreist um einen herum. Man fühlt sich wie ein Planet in einer Umlaufbahn. Das Sich-Spiegeln steht für Hehemann für Erkenntnisgewinn. Aber was die einzelnen Besucher mit seinen Objekten assoziieren, steht jedem frei. Hehemann: „Das ist das Spannende daran: Dass aus jedem Gespräch neue Aspekte entstehen können.“

Spacewalks bei The Space
Außenansicht der Ausstellung „Spacewalks“ von Simon Hehemann: Sechs ganz unterschiedlich gestaltete Räume gehen ineinander über. © Sarice Brudet | sarice brudet

Einen Monat lang hat er geschraubt, gehämmert, gelötet, aufgebaut und nachgebessert, mit einem Team von zehn Leuten. „So aufwendig habe ich noch nie gearbeitet“, sagt Hehemann, der sein Atelier im Künstlerhaus Sootbörn in Niendorf hat. Mit viel Stauraum für Material wie die gut 700 Holzwände, die für die Installation benötigt wurden. Sie stammen aus der großen Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in der Kunsthalle. So geht Nachhaltigkeit.

Simon Hehemanns Pflanzen gedeihen prächtig im „Psycho-Planetarium“

Der zweite Raum wird durch eine vielschichtige Glasarchitektur bestimmt, in der sieben Diaprojektoren für Lichtspiegelungen und Schattenspiele an den Wänden sorgen. Mehrere ausladende Sukkulenten und Farne hängen in Töpfen von der Decke, einige von ihnen werden wie ein Mobile durch einen kleinen Motor ständig in Bewegung gehalten. „Die Pflanzen stammen aus meinem Atelier und haben hier eine neue temporäre Heimat“, erklärt Hehemann. Sie scheinen gut zu gedeihen in dem fast subtropischen Klima.

Die Installation ist für ihn eine Architektur des Denkens: die Bruchstellen im Glas, die Verwinklungen, die transparente Vielräumigkeit symbolisieren Erleben, Einprägen, Erinnern in verschiedenen Lebensabschnitten, das Werden und Vergehen des Menschen beschäftigen ihn in seinen Arbeiten. Dazwischen tauchen verschieden große beschriftete Papierkügelchen auf, die an Minihimmelskörper erinnern. „Psycho-Planetarium“ nennt es der Künstler.

Was hilft gegen die ewige Nabelschau? Des Künstlers Ego-Zentrifugen

Wie Hehemann die verschiedenen Objekte und Bilder in selbst gebauten Holzrahmen miteinander verknüpft, lässt einen immer wieder staunen. Das Tüfteln hat er nach eigener Aussage von seinem Großvater, einem Elektriker, übernommen, mit ihm lötete er Schaltkreise in der Werkstatt zusammen, und durch ihn wurde auch sein Interesse an Physik eingepflanzt. Mit seinem Vater teilte er die Begeisterung fürs Zeichnen. Beides verbindet der Künstler nun in seinen Installationen.

Porträts Simon Hehemann
Der Hamburger Künstler Simon Hehemann inmitten seiner Installation. © Alex Beran | Alex Beran

Nach so viel Action kommen die Besucher in zwei eher meditative Räume: In einem kleinen, stark ausgeleuchteten Segment hängen an den Wänden Schaukästen mit Schwarz-Weiß-Fotografien von Mönchen. Vor ihre Köpfe hat der Künstler kleine Glasbehälter befestigt, die mit einem Gemisch aus Wasser und Motoröl befüllt sind – und sozusagen das Denken der „betrunkenen Mönche“ begrenzen. Dazwischen hängen schallplattenartige Zeichnungen, die sogenannten Ego-Zentrifugen: Gekrümmte Glasscheiben verzerren den Mittelpunkt jeder einzelnen Scheibe; sie symbolisieren, dass eine Sicht durch andere Lupen, die Einnahme anderer Perspektiven wichtig sind, um von der permanenten Nabelschau loszukommen.

Mehr zum Thema

Den Schlusspunkt setzt der aus Mohnkörnern gestaltete Zen-Garten: Zwei motorbetriebene Gerätschaften ziehen kleine Harken durch das feinkörnige Gemisch, dazwischen hat der Künstler kleine bunkerartige Bauten angeordnet. Alles wird durch ein fahles mondscheinartiges Licht beschienen, was der Szenerie eine fast unheimliche Note gibt. Über dem Ganzen schweben feine Drähte, die an Stromleitungen erinnern. Und tatsächlich sind sie dem Eindruck Hehemanns während vieler Motorradfahrten auf Autobahnen entsprungen.

Spacewalks bei The Space
Willkommen im etwas unheimlichen Zen-Garten aus Mohnkörnern und mit Bunkerbauten. © Sarice Brudet | sarice brudet

Und so ist dieses besondere Kunstwerk ein spannungsreiches Wechselbad aus ganz persönlichen Empfindungen und abstrakten Gedankengängen des Künstlers. Dabei ist es beeindruckend zu erleben, wie Hehemann selbst immer wieder innehält, um über Kunst und was sie uns sagen kann und will, zu sinnieren. Ein Raumspaziergang mit ihm ist daher dringend zu empfehlen.

„Simon Hehemann. Spacewalks“ bis 23.11., The Space (U Gänsemarkt), Fuhlentwiete 3, Di–So 12.00–18.30, Eintritt frei, www.thespace.city