Hamburg. Über drei Stunden Trachten, Jodeln und Schwyzerdütsch – und das alles in einer alpinen Berglandschaft mitten in Hamburg.
Räumlich und akustisch durfte sich der Große Saal der Elbphilharmonie an diesem Abend sogar einmal in eine alpine Berglandschaft verwandeln. Das vom NDR-Moderator und Leiter der Hamburgischen Vereinigung von Freunden der Kammermusik, Ludwig Hartmann, perfekt zusammengestellte, aber wie gewohnt wieder mal weit über drei Stunden beanspruchende Programm „Schweiz“ bot sich förmlich dazu an, die Musikerinnen und Musiker von den „Hochebenen“ des Saals bis zur „Almwiese“ des Podiums wirkungsvoll zu verteilen. Platz war in den Sitzreihen ja genug, denn leider hatten sich viel zu wenige Menschen von dieser tollen Programidee anlocken lassen
So kam es, dass die Alphornistin Lisa Stoll die Schweizer Impressionen mit ein paar kraftvollen Fanfaren von ganz oben eröffnete und die Jodlerin Nadja Räss jodelnd eine kleine Wanderung die Treppen hinab zum Hackbrettspieler Nicolas Senn und der Kontrabassistin Madlaina Küng unternahm. Diese waren selbstverständlich alle in Trachten gekleidet, von denen die einem Irokesen-Schnitt ähnelnde weiße Kappe der Jodlerin besondere Aufmerksamkeit auf sich zog.
Elbphilharmonie Hamburg: „Schweiz“ begeistert von Folklore bis Hochromantik
Hartmann stimmte das Publikum im Gespräch mit der Cellistin Maja Weber des Stradivari Quartetts auf das bei uns weniger bekannte Repertoire der Schweizer Musik von der Folklore bis in die Hochromantik ein. Und Weber ließ es sich nicht nehmen, ihre Antworten auf Schwyzerdütsch zu geben, was kaum jemand verstand und der Vermittlung des Moderators bedurfte.
Fulminant war daraufhin die Begegnung mit zwei Sätzen aus dem Streichsextett g-Moll op. 178 des Schweizer Brahms-Zeitgenossen Joachim Raff, für das das Stradivari Quartett Verstärkung von Volker Jacobsen (Viola) und David Pia (Cello) erhielt. In einer exquisiten Klangkultur vermieden die Interpreten bei dem aus nervösen Bewegungen in den tiefen Streichern emporwachsenden Allegro alles gar zu Grobe, weil die lyrischen Themen hier beherrschend blieben und sogar der zweite, sehr rasche Satz in einem zarten Pizzicato aller sechs Musiker gemeinsam ausklang.
„Schweiz“ in Hamburg: Kleiner Ruckler bei der Moderation kann Stimmung nicht trüben
Hartmann, dem bei solch bewegenden Schweizer Klängen die Höhenluft vielleicht ein wenig zu Kopf gestiegen war, sorgte für großes Vergnügen, als er an diesem Abend zweimal aus Versehen das im Programm eigentlich vorgesehene Klavierduo Soós/Haag anzusagen versäumte und stattdessen die Streicher auf die Bühne bat.
Beim ersten Mal traute sich aber keiner aufzutreten, bis der allein gebliebene Moderator seinen Fehler bemerkte und in einer improvisierten Moderation charmant aufzufangen bemüht war.
Horn, Hackbrett, Blockflöte – „Schweiz“ erzeugt besonderen Klang in der Elbphilharmonie
Die Klavierduo-Ländler aus dem Zyklus „Vom Luzerner See“ op. 47 vom 1921 gestorbenen Schweizer Hans Huber klangen zwar ein bisschen nach Brahms, blieben aber gar zu brav und schlicht gebaut, sodass man stets vorausahnen konnte, welche Wendung als Nächstes folgte. Ganz anders klang der Kopfsatz des vom Stradivari Quartett fantastisch gespielten Streichquartetts c-Moll vom Schweizer Mendelssohn-Zeitgenossen Theodor Fröhlich, der in seiner Brillanz und Virtuosität nichts von der Tragik ihres Schöpfers verriet, der sich in jungen Jahren das Leben genommen hatte.
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Nicht mit einem Horn, sondern einer Blockflöte meldete sich der großartige Blockflötist Maurice Steger wieder von höher gelegenen Ebenen der Elbphilharmonie mit zwei Sätzen „Aus dem Fluyten Lusthof“ des Renaissancekomponisten Jacob van Eyck. Zeitgenössische Schweizer Musik wie die von Maja Weber bei Laurent Mettraux in Auftrag gegebene Paraphrase oder das Konzert für Alphorn in F und Streicher von Carl Rütti bestimmten den zweiten Teil dieses Abends, der einem eindrucksvoll weniger bekannte Seiten unserer Schweizer Nachbarn vor die Augen und vor allem in die Ohren geführt hat.